„The Daily“ war der ansonsten recht konsumfreudigen Zielgruppe der iPad-Besitzer so lieb wie Leibweh. 22 Monate lang veröffentlichte Murdochs Digitalelite im kleinen Kundenkreis von angeblich 100.000 Lesern, während zehn Prozent für alle frei zugänglich waren aber auch keinen interessierten. Umso besser daher, dass der Bildschirmkäse im virtuellen Abfalleimer landete.
Wir brauchen so viele Käufer wie möglich, also geben wir uns von Anfang an blöd – so oder ähnlich müssen Murdochs Strategen getickt haben, als sie vergangenes Jahr ihr vermeintliches Prestige-Projekt mit Schlagzeilen à la „Say Cheese!“ zur Beschreibung der Fotografenflut nach einem gewonnenen Sportereignis oder „Chicago Bull“ über die Wahl von Rahm Emanuel zum Bürgermeister Chicagos starteten. Man überschlug sich förmlich mit immer heißeren Luftnummern in alles verschlingenden riesigen Lettern auf wenig beeindruckenden Bildern, nie jedoch provozierte das mehr als gelangweilte Müdigkeit – das neue Konzept war ein alter Hut. Anders ließe es sich kaum erklären, dass seitens der Leserschaft von „The Daily“ über anderthalb Jahre hinweg kaum etwas anderes zu hören war als dass es sich in Sachen multimedialem Erlebnis um eine gelungene Form der Aufbereitung gehandelt habe.
Vom 2. Februar 2011 bis zum 15. Dezember 2012 veröffentlichte „The Daily“ für schlappe zwanzig US-Dollar jährlich seine täglichen Inhalte ohne jemals von irgendwem zitiert worden zu sein, erregte mit keinerlei Artikeln irgendwelches positives oder negatives Aufsehen oder gab sich auch nur ein einziges Mal die Mühe eines lesenswerten Interviews oder einer exklusiven Reportage. Und als dann Mitte Februar Chefredakteur Jesse Angelo mit seinem für einen Profi peinlichen Bittbrief („Findet mir den ältesten Hund Amerikas oder den reichsten Mann Süd-Dakotas“) ans eigene Team auch noch öffentlich eingestand, über keinerlei Führungsqualitäten zu verfügen, war klar, dass das Ende nahte. Schon nach zwölf Monaten setzte der krisengeschüttelte Verleger den iPad-Käse daher auf die Abschussliste.
Die Kritik der Leser war heftig. So ließen sich zwar aus allen kostenfreien wie kostenpflichtigen WWW-Inhalten mittels gängiger Erweiterungen oder am iPad mittels alternativer Browser lästige Werbungen ausblenden, aus dem kostenpflichtigen „The Daily“ aber nicht. Das virtuelle Käseblatt war voller Werbung und hatte inhaltlich nichts zu bieten, sodass der Browser Hauptinformationsquelle blieb. Schnell fragten sich die Abonnenten, wofür sie überhaupt bezahlten, denn mehr als werbeverseuchte heiße Luft wurde nicht geboten. So war es auch kaum verwunderlich, dass der jährliche Abo-Preis sich schnell halbierte.
Schade beispielsweise, dass nicht die New York Times hinter dem „The Daily“-Projekt stand. Denn diese Zeitung versteht es immer wieder, iTunes-Diktator Apple in Verlegenheit zu bringen, ohne sich dabei aber die Blöße eines kleinkarierten Propagandisten zu geben. So hätte zumindest festgestellt werden können, ob Apple als iPad-Zensor auftritt oder nicht. Dazu war das „The Daily“-Millionenteam aber nicht in der Lage. Murdoch behauptete, alleine die Vorbereitung des späteren Rohrkrepierers habe 30 Millionen US-Dollar veranschlagt, für den wöchentlichen Betrieb seien außerdem 500.000 weitere US-Dollar fällig gewesen. Wohin genau all das Geld floss, bleibt allerdings ein großes Rätsel. Ein Zehntel der genannten Summen erscheint immer noch viel zu viel, mag aber der späteren steuerlichen Abschreibung nicht im gleichen Maße dienlich sein.
Murdoch steht vor allem für eine „Qualität“, nämlich der Auslagerung derselben aus einer weder national noch medial begrenzten Presselandschaft. Zunächst wird das inhaltliche Niveau so auf eine fortwährende Grundempörung herabgesenkt, dass selbst Küchen- und Stammtischpropheten sich angesprochen fühlen, dann werden auch seriösere Titel hinzugekauft, die im Tenor zwar ins gleiche Horn blasen, aber viel Energie dazu verschwenden, dies zu kaschieren. Dabei heraus kommt überwältigender Unrat, an den sich ein unmündiges Publikum schnell gewöhnt, der aber vor allem geld- und damit machtpolitischen Zwecken dient, obgleich die dauerhaften chirurgischen Eingriffe von Fox und Co. den Patienten – nämlich Presse samt mündiger Medienkonsumenten – längst umgebracht haben und Murdoch selbst dabei zunehmend zum Opfer wird, siehe News Of The World – die Szenen einer sich für ihren Milliardärsgatten prügelnden Wendi Deng Murdoch bleiben bei allen Slapstick-Liebhabern unvergessen.
Und nun? Ob uns anstelle von Rupert Murdoch fortan womöglich Klaus Helbert vorm Niedergang der Presse bewahrt? Eine iPad-Version von X-News wäre doch nett! Überraschen würde das niemanden mehr. Denn das intellektuell unterversorgte und uninspirierte Publikum bekommt immer nur noch das, was es garantiert nicht will. Guter Journalismus kostet aber Zeit, Geld und Mut zur Werbedistanz.
David Andel