Die Meute

Wehe, wenn sie losgelassen!

Rechtspopulistische Parteien sowie deren WĂ€hler sind gehorsame Soldaten eines endlosen Krieges gegen eine niemals abnehmende Überzahl amorpher Feinde. Sobald diese jedoch auf das kampfuntĂŒchtige Heer des karriereoptimierten Gemeinplatz-Debattierclubs aus den Reihen so genannter Volksparteien treffen, entsteht ein asymmetrisches Schlachtfeld, welches das Kartenhaus einer bislang als Ordnung missverstandenen wie verkauften Kleptokratie in Sekundenschnelle zum Einsturz bringen kann.

Am 23. Juni haben England, Wales und die britischen Midlands gegen die EU-Mitgliedschaft gestimmt und damit das selbsternannt große Britannien aufs Wesentliche reduziert. WĂ€hrenddessen findet in den USA ein Wahlkampf zwischen Herrn Großmaul Pest und Frau Lobby Cholera statt. Eine sinnlose Auseinandersetzung, die die Interessen des BĂŒrgers nicht nur missachtet, sondern auch den oligarchischen Geist des Sternenbanners offenbart. Ist dies der Schwanengesang dessen, was die MilitĂ€rmĂ€chte mit angeschlossener Bevölkerung allen Ernstes noch zu verteidigen suchen?

Es ist wie eine missratene Ehe. Sie mag zwar von Anfang an falsch gewesen sein, wurde dennoch aber vor allem aus sachlichen GrĂŒnden geschlossen. Dann vergingen die Jahre, die Familie wurde derweil erweitert und die Zeichen des ehelichen Verfalls ignoriert oder bewusst falsch ausgelegt. Schließlich folgte die Katastrophe in Form einer Scheidung, die Schlammschlacht, der Kampf um jedes MöbelstĂŒck, jeden Cent und ĂŒberhaupt alles, was im Verlauf des PflichtbĂŒndnisses gemeinsam erzielt wurde. Das Nein der 17.410.742 wahlberechtigten BĂŒrger Britanniens zur jetzigen Form der EU bringt sowohl zum Ausdruck, dass diese EuropĂ€ische Union keinerlei BĂŒrgerunion, sondern ein rein wirtschaftlicher Interessenclub ist als auch, dass das Politik-Establishment vom dummen WĂ€hler erwartete, er werde den Vorgaben wie gehabt Folge leisten. Die Frage stellt sich dann jedoch, wieso dieser ĂŒberhaupt zur Wahlurne gebeten wird? Was genau ist noch essentiell demokratisch an einem Staat, wenn vom entmĂŒndigten BĂŒrger lediglich ein Abnicken erwartet wird oder sĂ€mtliche Parteien prinzipiell die gleichen Ziele verfolgen?

Am Volk desinteressierte Politik

Was ein Politiker genau ist und wie dessen Pflichtenkatalog aussieht, vermag niemand zu sagen, beobachten lassen sich aber mehrere Tendenzen. Ein Politiker verunmöglicht der Bevölkerung zunehmend ein Leben unter wĂŒrdigen UmstĂ€nden (Motto: der BĂŒrger muss seinen Beitrag leisten), reduziert fortwĂ€hrend die soziale Sicherheit der Bevölkerung (Motto: der BĂŒrger muss mehr Eigenverantwortung tragen), schmĂ€lert die PrivatsphĂ€re (Motto: es darf keine rechtsfreien RĂ€ume geben) und vermehrt die Kontrolle der Bevölkerung zu Ăœberwachungszwecken (Motto: Kampf gegen den Terror, Kampf gegen Drogen, Kampf gegen organisiertes Verbrechen, Kampf gegen KinderschĂ€nder usw.), sodass der BĂŒrger immer weiter zum steuerlichen Melkvieh wird und Parteien zu Molkereibetrieben. Gleichzeitig schafft ein Politiker sich selbst das vorzĂŒglichste aller sozialen Netze, sichert sich oftmalige Einnahmeerhöhungen und beklagt nur die Verantwortungslosigkeit anderer. Er ist damit das leuchtendste aller Beispiele fĂŒr den Bewohner einer Ellbogengesellschaft und liefert diesem stets neue Argumente fĂŒr rĂŒcksichtsloses Verhalten, die er selbstredend ĂŒber den Dingen stehend gleichzeitig anprangert.

Diese Regierung, die so hartnĂ€ckig auf das Vertrauen pocht, das wir ihr angeblich schulden, hat selbst lĂ€ngst allen demokratischen Mut verloren, ihren BĂŒrgern auch nur das kleinste Quentchen Vertrauen entgegenzubringen.

Der deutsche Arzt und Journalist Hoimar von Ditfurth ĂŒber die „obrigkeitliche Raserei“ der Politik im Zusammenhang mit der VolkszĂ€hlung von 1987

Menschen, die verheerende Ungerechtigkeiten aufs Tapet bringen, werden gern gejagt und inhaftiert, zumindest aber versucht man sie mundtot oder ihnen den Prozess zu machen. Beispiellos war das Drama um Edward Snowden, dem keine der so genannten Demokratien des großartigen Westeuropas Zuflucht bieten wollte, sodass er schließlich erst bei allseits verhassten FlĂŒchtlingen und dann im allseits verhassten Russland Unterschlupf fand. Ein Mann wohlgemerkt, der die Völker der Welt darĂŒber aufklĂ€rte, dass die angelsĂ€chsischen Spionagedienste NSA und GCHQ mehr oder weniger das gesamte Internet und zahlreiche weitere Kommunikationswege abhören oder es zumindest mit großem Eifer versuchen. Keiner der ehrenwerten Regierungschefs Europas brachte es fertig, Snowden fĂŒr sein Tun Lob auszusprechen, alle dachten sie nur an die Vorteile, die sich aus dieser Situation fĂŒr sie selbst oder die eigenen Dienste ergeben könnten, leisteten sie den WĂŒnschen des Sternenbanners nur unterwĂŒrfig Folge. Gepredigt wird der Wert der Zivilcourage, praktiziert aber die alltĂ€gliche Feigheit. Die Liste jener, die mit dem Handeln ihrer vermeintlich demokratischen Systeme nicht mehr einverstanden sind, wird immer grĂ¶ĂŸer, deren Bestrafung immer unverstĂ€ndlicher: gejagt werden die Kronzeugen, verschont die ÜbeltĂ€ter.

Einen Politiker im Ruhestand oder nach einem RĂŒcktritt findet man kaum mehr zuhause auf dem Schaukelstuhl, sondern vorwiegend als Raubritter unterwegs im Namen von Unternehmen und Organisationen, fĂŒr deren freie Bahn er direkt oder indirekt im Laufe seiner politischen TĂ€tigkeit zuvor gesorgt hat. Zur Maskierung dieses bewĂ€hrten Korruptionssystems zu Ungunsten aller BĂŒrger werden nicht nur meist unnĂŒtze Unternehmensposten oder -funktionen geschaffen, sondern zudem auch etliche Organisationen, die wiederum im Auftrage einstiger politischer GĂŒnstlinge hoch dotierte Reden an die nun abschöpfenden Parlamentsrentner vermitteln und ihnen so die zuvor versprochene SĂŒĂŸlupinenernte ermöglichen.

Wie die Vorstellung des vernetzten Politik-Managers vom idealen Volk oder Land aussieht, kann vorzĂŒglich dort beobachtet werden, wo die mediale Aufmerksamkeit schlĂ€friger ist. So sind die wirtschaftlichen und militĂ€rischen Verwicklungen zwischen Frankreich und dem kleinen afrikanischen Staat Gabun seit 56 Jahren derart von GĂŒnstlingswirtschaft und Korruption gezeichnet, dass das französische Nachrichtenmagazin Nouvel Observateur von einem â€žinzestuösen VerhĂ€ltnis“ spricht. Die 42-jĂ€hrige Herrschaft des Omar Bongo sowie die sieben Jahre Amtszeit seines Sohnes Ali Bongo garantieren Frankreichs Erdölkonzern Total (ehemals Elf) den ungestörten Zugriff auf die Erdölreserven des Landes, sodass im Gegenzug die in Gabun befindliche permanente französische MilitĂ€rbasis zur GewĂ€hrleistung der öffentlichen Ordnung beitrĂ€gt, was konkret die UnterdrĂŒckung der Bongo-Opposition heißt. Da ein Gutteil der Erdöleinnahmen wiederum an die Herrscherfamilie fließt, spenden die Bongos aus Dankbarkeit seit Jahrzehnten an konservative wie sozialistische Parteien Frankreichs betrĂ€chtliche Summen. Die Annahme wĂ€re jedoch verkehrt, wĂŒrde gemutmaßt, dass derlei KlĂŒngeleien in Europa oder den USA nur deswegen nicht stattfinden, weil es dort eine kritische und aufmerksame Presse gibt. Eher gehen hier Politik, politiknahe Presse und Wirtschaft fĂŒr alle außer dem BĂŒrger fruchtbare Kooperationen ein und jubeln ihm dann derlei LobbysĂŒppchen als unausweichliches neoliberales Nirwana unter.

Follow The Money

Eine BĂŒrgerlobby hingegen gibt es nicht, denn genau diese Rolle kĂ€me schließlich dem Politiker als Volksvertreter zu. Der BĂŒrger steht damit ungeschĂŒtzt im Regen und gibt sich unverĂ€ndert der Illusion hin, er könne mit seiner Stimme im oftmals auf ein Duopol reduzierten Parteiensystem Berge versetzen. In den USA und Israel werden Politiker mittlerweile so offenkundig von Geldgebern gesponsert, dass der geneigte WĂ€hler anstelle des Besuchs der Wahlurne nur noch dem Geld der Spender und deren Interessen folgen muss, um den Verlauf der spĂ€teren Politik vorausahnen zu können. Mit dem Vertreten bĂŒrgerlicher Interessen hat die Politik in diesen LĂ€ndern lĂ€ngst abgeschlossen. In Israel finanziert ein gewisser Sheldon Adelson nicht nur die fragwĂŒrdige Erscheinung des Benjamin Netanjahu, sondern gleich auch noch die grĂ¶ĂŸte Tageszeitung jenes Landes, das genau wie die USA nicht viel mehr als eine Armee mit angeschlossener Bevölkerung darstellt. In den USA wiederum fließen die Spenden direkt aus Saudi-Arabien in die Kasse der gutgeölten Clinton-Wahlmaschine.

Recht so!

Stets faszinierend ist die Reaktion von Politikern im Falle eines öffentlich gewordenen Fehlverhaltens. Das ist nicht nur bei kleinen Fischen wie dem CSU-Politiker Hans Wallner oder dem SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy so, sondern gilt skandalĂŒbergreifend. Eine regelrechte Welle wenig amĂŒsanter akademischer â€žDoktorspielchen“ gab es die vergangenen Jahre bei den Damen und Herren Jorgo Chatzimarkakis (FDP), Wolfgang Dippel (CDU), Bijan Djir-Sarai (FDP), Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Siegfried Haller (SPD), Margarita Mathiopoulos (FDP), Silvana Koch-Mehrin (FDP), Matthias Pröfrock (CDU) und Annette Schavan (CDU) zu vernehmen. Niemand aus den Reihen dieser „Copy & Paste“-Akademie nahm sofort seinen Hut und ging, sondern alle warteten bis zum letzten Ende auf die Vorlage „eindeutiger“ Beweise. Der im Skandalsumpf von Kiel versunkene Uwe Barschel war trotz inflationĂ€rer Ehrenworte außerstande seine Schuld einzugestehen und beendete sein Leben schließlich in einer Genfer Badewanne. Der US-amerikanische homophobe Methodist und Waffennarr Larry Craig wurde 2007 in einer so genannten Schwulenklappe erwischt, wo er sich ausgerechnet einem Polizisten gegenĂŒber „ungebĂŒhrlich“ benahm und verhaftet wurde. US-PrĂ€sident Richard Nixon war unfĂ€hig, einen aus seinem unmittelbaren Umfeld erfolgten Auftrag zum Einbruch als seiner Aufrichtigkeit unzutrĂ€glich anzuerkennen, musste zurĂŒcktreten und schaffte es somit auf eine der oberen Stufen des Treppchens der grĂ¶ĂŸten politischen Skandale. Und sein Amtskollege Bill Clinton sah 25 Jahre spĂ€ter seine außereheliche Affaire mit der damals 22-jĂ€hrigen Praktikantin Monika Lewinsky als sexuelle Begegnung der dritten Art.

Tales Of Greed And Dissatisfaction

Politiker sind zwar keine Heilige, nur was genau sind sie? Problematisch wird der Ansatz des gewöhnlich Sterblichen vor allem dann, wenn unheilige Politiker dem Volk abverlangen, es mĂŒsse heilige Werte anstreben: Verzicht, LeidensfĂ€higkeit, mehr Leistung und weniger Leben – GĂŒrtel enger schnallen, vorbei die Zeit der Made im Speck – sagt die Made im Speck. WĂ€hrenddessen gibt es eine bemerkenswerte politische Tendenz zur Bereicherung, auch bei jenen, die niemals durch herausragende politische Taten auffielen. Weder der als US-Pudel bekannt gewordene britische Irak-Kriegsherr Anthony „Tony“ Charles Lynton Blair noch der Hitler-Verniedlicher Joseph „Joschka“ Martin Fischer ließen es sich nehmen auf das goldene Rentnerkarussell aufzuspringen. Blair, jener tiefreligiöse – verheiratete – Politiker mit dem stets dĂŒmmlich grinsenden Fledermausgesicht suchte nicht nur Trost im Schoße der Gattin seines einstigen Förderers Rupert Murdoch, sondern reist nun ausgerechnet als Berater durch den Nahen Osten, wohingegen der lebendig gewordene Turnschuh unter anderem den Konzernen BMW, Siemens und RWE „zur Seite steht“. Da weder die Handlungen Blairs noch die Fischers auch nur ansatzweise als weise zu bezeichnen wĂ€ren, stellt sich natĂŒrlich die Frage nach deren BeraterqualitĂ€t.

Durch Verquickung von politischem Amt und TĂ€tigkeit in der freien Wirtschaft entstehen immer neue und grĂ¶ĂŸere nach Bestechlichkeit stinkende goldene Misthaufen. Mangels entsprechender gesetzlicher Verbote ist jedoch viel zu viel erlaubt und auf Gesetze gegen solche Verhaltensweisen darf sich der verzichtende, leidende, mehr leistende und weniger lebende BĂŒrger von solchen Politikern schwarz warten oder rot Ă€rgern – auch grĂŒn ist die Hoffnung da nicht. Das Prinzip ist einfach: Politiker sollen nur das Volk vertreten dĂŒrfen, nicht aber sich selbst oder andere Gruppierungen als das Volk. Mittlerweile wird leider jede noch so absurde Rechtfertigung dazu verwendet, jenes zunĂ€chst simple Politikprinzip auszuweiten und damit die Aufgaben des Politikers in die eines konzerngesteuerten Interessenmaklers umzumĂŒnzen, der angeblich eine völlig undefinierbare Mitte vertritt. Diese Mitte gibt es weder noch gab es sie jemals und tatsĂ€chlich fĂŒhren die Lobby-orientierten kleinen oder großen Koalitionen der vermeintlichen „eierlegenden Wollmilchsau“-Richtung zu nichts anderem als dem Anwachsen extremer RĂ€nder, heute nur noch dem rechten.

Falsche Linke gegen falsche Rechte

Die „Lobbyhure“ ist zwar keine ganz neue Politikergattung, sondern nur eine mit fortwĂ€hrend zunehmender Tendenz. Besagte Berufspolitiker sind derart in ein Netz von Interessengruppen verwoben, dass sie sich weder mehr bewegen mĂŒssen noch können – auch Bequemlichkeit regiert da mit. Entscheidungen zur Wirtschaftspolitik nehmen ihnen Industrie- und ArbeitgeberverbĂ€nde ab, die Außen- und RĂŒstungspolitik wird von der NATO vorgegeben und die Sicherheits- und Gesundheitspolitik dominieren vor allem regionale Unternehmen und Institutionen aus den Bereichen der Versicherungswirtschaft und Informationstechnologie. Der Ruhestand kann so schnell und vergoldet kommen und im Gegensatz zum Soldaten macht sich fĂŒr den im Rotlicht-Milieu der Lobbies agierenden Politiker der allenfalls noch kosmetische Dienst am Vaterland ausgesprochen gut bezahlt. Einziges Ärgernis bleibt hier der Wahlkampf, da dort kurzzeitig das bewĂ€hrte System zur Selbstbereicherung versagt und der Kontakt zum Volk gesucht werden muss. BewĂ€hrt hat sich deshalb auch das Dreschen rechter Parolen, denn traditionell lĂ€uft das Wahlvieh echten, falschen und auch vorĂŒbergehenden Nazis immer hinterher. Auch durch die Konzentration auf eine vom Volk entrĂŒckte EU-Karriere kann der lĂ€stige WĂ€hler abgestreift werden.

Ich bin Sozialist, weil es mir unverstÀndlich erscheint, eine Maschine mit Sorgfalt zu pflegen und zu behandeln, aber den edelsten Vertreter der Arbeit, den Menschen selbst, verkommen zu lassen.

Hitler-Lippenbekenntnis auf dem ehemaligen „Denkmal der Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) in Dortmund-Dorstfeld, 1935

Wie weit das Desinteresse des Politikers am WĂ€hler gehen kann, ist derzeit in der britischen Labour Party zu beobachten. Dort haben die Mitglieder fĂŒr einen Spitzenkandidaten gestimmt, den die alteingesessenen Lobbykraten in Politik und Presse aufgrund seiner offenkundigen Aufrichtigkeit abgrundtief zu hassen scheinen. Denn kaum war das Brexit-Referendum entschieden, sollte schon der Kopf Jeremy Corbyns rollen. In einer Zeit wohlgemerkt, in der es einer deutlichen Opposition gegen die rechte Politikposse zwischen Brexit und AusteritĂ€t bedurft hĂ€tte. Corbyn, der sehr genau wusste, dass mit Argumenten in einem demagogischen Krieg keine Schlacht zu gewinnen ist, warf man vor, er habe sich nicht ausreichend gegen Brexit eingesetzt, sei in nicht genĂŒgendem Maße FĂŒhrungspersönlichkeit, wĂ€re insgesamt nicht wahlfĂ€hig.

Ich bin ein Leninist. [
] Lenin [
] wollte den Staat zerstören, und das ist auch mein Ziel. Ich möchte alles zum Absturz bringen und die Errungenschaften der etablierten Gesellschaft von heute zerstören.

Selbstauskunft des Breitbart-Direktors Steve Bannon am 12. November 2013

Eine Leidensgeschichte der des beeindruckend standfesten Jeremy Corbyn nicht unĂ€hnlich fand kurz zuvor in den USA statt. Dort hĂ€tte es mit Bernie Sanders die Chance auf eine echte Alternative zum bisherigen transatlantischen TĂŒtensĂŒppchen aus Geheimdienst-Gruppensex und NATO-SĂ€belrasseln sowie den Globalisierungsfetischen CETA, TiSA und TTIP gegeben, nur wurde jene vom Lobby-Monster „Killary“ Clinton mit aller redlichen und vor allem unredlichen Gewalt verunmöglicht, was am Ende ihres Sieges gar zu einer Entschuldigung gegenĂŒber Sanders fĂŒhrte. Verhindert hat all dies sowie ein selten dĂ€mlicher E-Mail-Skandal die tragische Kandidatur Clintons nicht, sodass eine abzusehende aggressive MilitĂ€rstrategie der möglicherweise kommenden PrĂ€sidentin weltweit zu weiterem Leid und FlĂŒchtlingen fĂŒhren dĂŒrfte.

Sicher ist, dass die Spanier, Polen und Portugiesen, die wir bei uns zur Arbeit haben, weniger Probleme bereiten als Muslime oder Schwarze zu haben.

Wahlpropaganda von Jacques Chirac am 19. Juni 1991

Nach den allenfalls als politische Groschenromanhelden zu verstehenden Figuren Silvio BerlusconiJörg HaiderRoland KochRonald SchillGeert WildersBart de Wever sowie Nicolas Sarkozy sollten europĂ€ische Berichterstatter ein Kaliber wie Donald „Trumpeltier“ schon ausreichend gut kennen und vor allem nicht allzu lautstark kritisieren. Furchterregend an der US-Wahl ist nicht nur die unertrĂ€gliche Alternativlosigkeit, sondern auch der umfassende Mangel an GlaubwĂŒrdigkeit beider Kandidaten.

Im Kontext der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten ist bemerkenswert, dass die ostdeutschen LÀnder mit Ausnahme von Berlin nach wie vor durch sehr niedrige AuslÀnderanteile im Vergleich zu Westdeutschland geprÀgt sind. [
] Dies belegt, dass fremdenfeindliche Gewalt nicht durch einen hohen AuslÀnderanteil bedingt ist.

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit, 2016

Zusammenfassend darf gefolgert werden, dass selbst ein korrupter, koksender versteckter Homosexueller mit auslĂ€ndischem Elternteil oder Ehepartner beim rechten ProtestwĂ€hler Erfolg haben wird, solange er nur auslĂ€nderfeindlich auftritt. Ähnliches galt schon wĂ€hrend des Nationalsozialismus, bei dem alles erlaubt war, so nur Judenhass verkĂŒndet wurde. Ergo sind dem rechten WutbĂŒrger traditionelle Werte gleichgĂŒltig, er braucht nur sein Hassventil, es kann ihm daher alles angedreht werden. Und genau dies haben rechte Gruppierungen wie die nordbelgische Provinzpartei N-VA erkannt, die den BĂŒrger noch weit mehr zu entmĂŒndigen suchen als alle anderen, das Metier des geschickten SchĂŒrens des betrĂŒgerisch entflammten Hassfeuers jedoch in besonderem Maße beherrschen.

Links-Block verhindern! Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen!

Wahlslogan der hessischen CDU, 2008

So stört es den BĂŒrger ĂŒberhaupt nicht, wenn er von den Spionage-Cowboys aus NSA und GHCQ ĂŒberwacht wird und seine Regierung dies einfach aussitzt. Er gerĂ€t aber in VerzĂŒckung, verbietet sein Innenminister-Sheriff ein absonderliches Badegewand namens Burkini, so wie er bereits begeistert war, als ein VorgĂ€nger dieses kleinbĂŒrgerlichen RechtshĂŒters vor 50 Jahren das Oben-Ohne-Baden verboten hatte. Die BĂŒrger der Kolonialstaaten Belgien, Frankreich, Großbritannien und zahlreicher anderer LĂ€nder mit dĂŒsterer Vergangenheit vergessen allzu gern und schnell woher das Saatgut ihrer nationalen GrĂ¶ĂŸe und Macht stammt. Es fĂ€llt leicht, heute jene zu hassen, die man gestern noch ausgebeutet und umgebracht hat.

Naziropa
Naziropa

Wie irrelevant die politische Ausrichtung des ProtestwĂ€hlers fĂŒr den Populisten tatsĂ€chlich ist, wurde bei der Brexit-Kampagne ĂŒberdeutlich, fĂŒr die man sich dreist roter Omnibusse bediente, damit auch die Labour-Kundschaft sich angesprochen fĂŒhlte. Somit hatte man den ProtestwĂ€hler dort, wo man ihn haben wollte, ganz gleichgĂŒltig, was er sonst noch so dachte und wollte. Denn alles andere wurde selbstverstĂ€ndlich ausgelassen, der grĂ¶ĂŸere Kontext, die sachliche ErklĂ€rung der ZusammenhĂ€nge und Folgen. So bestand denn auch das Brexit-Theater lediglich aus einem Haufen LĂŒgen, dem die BefĂŒrworter des Verbleibs in der EU mangels verblichenem Kontakt zum Volk und aufgrund einer vom BĂŒrger entfremdeten EU nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Dem ProtestwĂ€hler wird vorgesetzt, was er hören will, in seinem Sinne gehandelt wird deswegen jedoch noch lange nicht.

Alternativlose Politik

Was genau zeichnet militĂ€rische Erfolge aus, denkt man an Vietnam, Irak, Iran, Syrien oder Libyen? Sind die MilitĂ€rfetischisten Israel und USA Vorzeigedemokratien der Demokratieillusionen? Tragen Unternehmer, die eine vom Steuerzahler finanzierte Infrastruktur fĂŒr ihre Zwecke nutzen ausreichend dazu bei, indem sie so erwirtschaftetes Geld in LĂ€ndern verstecken, in welchen sie niemals ein Unternehmen hĂ€tten grĂŒnden können? Bringen autofreundliche StĂ€dte ihre BĂŒrger auf vielfĂ€ltige Weise um oder verhelfen sie ihnen ausgerechnet dort zu mehr MobilitĂ€t, wo es bereits zahlreiche öffentliche Verkehrsmittel gibt? Vernichten Schulen systematisch kindliche KreativitĂ€t oder fördern sie per starrem Lehrplan verdeckte Talente? Ist das Ausbildungsprinzip insgesamt eher QualitĂ€tsgarant oder Fließband zur BeschĂ€ftigungstherapie der Ausbildungsindustrie selbst? Lebt der moderne Mensch fĂŒr die Arbeit oder arbeitet er ausschließlich zum Überleben? Ist VollbeschĂ€ftigung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen realistischer und vor allem auch menschlicher? War Atomkraft jemals etwas anderes als ein energiepolitischer Irrweg? Ergibt die Sommerzeit irgendeinen Sinn? Hat zunehmende BĂŒrgerbesteuerung jemals zur dauerhaft blĂŒhenden Wirtschaft eines Landes gefĂŒhrt? Gibt es Anzeichen fĂŒr behutsameres Vorgehen bei den vor der eigenen Gier auf Kosten des BĂŒrgers geretteten Banken? Ist die NATO eine militĂ€rische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder völkerĂŒbergreifend friedenssichernd? Ist die staatliche Subventionierung religiöser Systeme von kirchenĂŒbergreifendem Nutzen? KĂŒmmert sich institutionelle Religion um hungernde Kinder oder ist sie Hauptverursacher der Überbevölkerung? All diese Fragen stellt sich ein Politiker nie, sondern pflastert nur bisherige Irrwege immer neu – nicht die der Mitte allerdings, sondern die des Mittelmaßes. Die Politik zieht nach wie vor das Jahr 1950 dem Jahr 2016 vor.

Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine AufstĂ€nde, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt fĂŒr Schritt, bis es kein ZurĂŒck mehr gibt.

Bekenntnis des luxemburgischen Politikers Jean-Claude Juncker

Daher werden die Bevölkerungen der Welt auch inmitten einer bereits versagenden weil rĂŒckwĂ€rts gewandten Wirtschaft von Entwicklungen wie intelligenten Robotern oder kĂŒnstlicher Intelligenz vollverschuldet ĂŒberrascht werden, denn die jahrzehntelang wider besseres Wissen gewĂ€hlten Volksparteien erhalten den Aberglauben an die VollbeschĂ€ftigung auch dann immer noch aufrecht, wenn vom BrieftrĂ€ger ĂŒber den Chirurgen bis zum Piloten und Zahnarzt bereits alles menschliche Personal von Automaten ersetzt wurde. Und wenn die NATO-kriegsbedingte Völkerwanderung ihren Höhepunkt erreicht hat, sĂ€mtliche Bomben gefallen, sĂ€mtliche BodenschĂ€tze geplĂŒndert, sĂ€mtliche Grenzen und Ordnungen zerstört sind, wird auf den absurden Traum von Frieden durch Krieg ein bitterböses Erwachen folgen.

Inkompetenz als schlimmste Form der Korruption

Immer gern werden kritische Stimmen wie Michael C. Ruppert oder Daniele Ganser als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, denn es ist angenehmer, sich gewohnten Sichtweisen anzuschließen. Was allerdings ĂŒbel aufstĂ¶ĂŸt, das sind die fortwĂ€hrenden Verschwörungstheorien unserer etablierten Politiker, so auch jene im Falle von Brexit. Die Brexit-BefĂŒrworter waren teils etablierte, teils weniger etablierte rechtskonservative Politiker wie Londons ehemaliger BĂŒrgermeister und jetziger Außenminister des Vereinigten Königreichs Boris Johnson. Ihm wurde zu keinem Zeitpunkt zur Last gelegt, ein Verschwörungstheoretiker zu sein, die Argumente jedoch, die im Rahmen auch seiner Kampagne verlautbart wurden, waren nichts anderes als eine bemerkenswerte Sammlung abenteuerlicher Behauptungen.

Einige von ihnen, mit denen ich ĂŒber den Nahen Osten sprach, hatten offensichtlich keine Ahnung, wovon sie sprachen; doch wurden sie als Experten betrachtet. Einige waren – offen gesagt – wichtigtuerische Esel. (Wichtigtuerische Esel sind eine Kategorie, die es in jedem Parlament gibt).

Uri Avnery ĂŒber seine Begegnung mit Mitgliedern des US-Senats

Als ein belgischer Politiker, Mitglied der derzeitigen konsequent wirtschafts- und flandernhörigen liberal-konservativ-rechtsextremen Koalition, kurzerhand von der BildflĂ€che verschwand, schien dies zunĂ€chst niemanden zu stören, schließlich gĂ€be es fĂŒr einen Politiker ja keine konkrete Arbeitsverpflichtung. Erst als die zwischenzeitlich stark geschwĂ€chte verbliebene Tagespresse auf den Fall aufmerksam wurde, sah sich der ebenfalls auffĂ€llig oft abwesende MinisterprĂ€sident Charles Michel genötigt, seinen einfach mal so zur Bildungsreise angetretenen Kollegen, den ehemaligen Verteidigungsminister und jetzigen AußenhandelsstaatssekretĂ€r Pieter De Crem, zur RĂŒckkehr aufzufordern. Es ist wenig ĂŒberraschend, dass ein so offenkundig inkompetent agierender und von seinem Parlamentskollegen Wouter De Vriendt (Groen) gar als â€žĂŒberflĂŒssig“ bezeichneter Politiker wie De Crem schon seit lĂ€ngerem auf einen NATO-Posten hofft. Gleichzeitig wird der BĂŒrger von besagter Regierung des unangefochtenen Spitzenreiters aller HochsteuerlĂ€nder fortwĂ€hrend durch immer neue „Ideen“ zur Kasse gebeten – dieser kann sich daher nur im seltenen Ausnahmefall eine Bildungsreise und erst recht keine unentschuldigte Arbeitsplatzabwesenheit leisten.

Der Rechtsschreck des Mitte-Simpels

Die WohlfĂŒhlmitte beschert uns „Muttis“ und „Vatis“ vom Schlage Merkels und Kohls, aber auch nette „Onkels“ in Serie als BundesprĂ€sidenten – nur ist deren ewig gestrige Politik nicht von Vorteil fĂŒrs immer weiter nach Rechts rĂŒckende Wahlvieh, was es nun allmĂ€hlich merkt. Nicht notwendige AufklĂ€rung findet statt, sondern das Vorspiegeln ewig falscher oder lange ĂŒberholter Schlaraffenlandphantasien irgendwann aus der Nachkriegszeit. Dieses Zerrbild der Wirklichkeit wird alleine dem unkritischen WĂ€hler gegenĂŒber gepflegt, damit er vor allem eines nicht tut: Hinterfragen. In Deutschland heißt dies trotz zweier Weltkriege rechts wĂ€hlen – konservativ, national. Der deutsche Michel tritt auf der Stelle, gerne auch in Soldatenstiefeln.

Gemeinsam ist all den Muttis und Vatis jedoch, dass diese nicht nur ewig (Helmut Kohl 16 Jahre, Angela Merkel bislang 11 Jahre) regieren, sondern dass dieser totale Stillstand der Politik wesentlich auf einem verlogenen „Weiter so!“ basiert, tatsĂ€chlich aber den knallharten Vorgaben der Arbeitgeber- und IndustrieverbĂ€nde folge leistet, sodass sich beispielsweise Deutschland eine ganze Generation kaum weiterentwickelt hat, was sich nicht nur auf die Einnahmeseite der Mittelschicht auswirkt, sondern auch das tödlichste aller Gifte fĂŒr neue Ideen ist. Wer nicht denken will, der unterlĂ€sst es, denn je weniger gedacht und damit infrage gestellt wird, desto glatter verlĂ€uft das Karriereleben.

Ich bin echt gut darin, Menschen zu töten.

Bemerkung des FriedensnobelpreistrĂ€gers Barack Hussein Obama zu den zahlreichen DrohneneinsĂ€tzen wĂ€hrend seiner Amtszeit als US-PrĂ€sident

Die von solchen Regierungen nun schon seit Jahrzehnten gepflegte â€žStrategie der Spannung“ prĂ€sentiert dem Volk im Orwellschen Sinne eine permanente Bedrohung, gegen die nur jene „harte Maßnahmen“ helfen, die ohnehin von Anfang an geplant waren, um so ungestört weiter regieren zu können. Dies kann wie im Italien der Siebziger der Fall furchterregende Ausmaße annehmen, sodass davon auszugehen ist, dass einer fremdgesteuerten Regierung alle Mittel zum Erreichen vorgegebener Ziele recht sind. Auch andere LĂ€nder wie LuxemburgBelgien oder Deutschland sind nicht frei von solchen Einflussnahmen und dienen allesamt letztlich dazu, den BĂŒrger auf eine ewig rechte Linie zu trimmen.

Sie zerstörte zu viele gute und schuf zu viele schlechte Dinge in der Gesellschaft, hinterließ dann ein soziales und moralisches Vakuum, in welchem der selbstsĂŒchtige Reiche und der unvorstellbar Privilegierte zu einfach immer noch mehr von dem zerstören können, was sie nicht brauchen und dabei auch nicht sehen, was alle anderen brauchen.

Die Schriftstellerin Emma Darwin ĂŒber die zur schlechtesten Premierministerin des Jahrhunderts gekĂŒrte Margaret Thatcher

Sobald akzeptiert ist, dass der DurchschnittsbĂŒrger der irgendwann irgendwo irgendwie gefundenen Mitte spĂ€testens seit Thatcher, Reagan und Kohl sowie auch durch eine selbstenthauptete Presse tatsĂ€chlich zur rechten Politik erzogen und aus ihm der nötige gehorsame Untertan wurde, erscheint nachvollziehbar, weshalb er sich im Falle der Unzufriedenheit noch weiter rechts manifestiert, denn links vom Mitte-Fetisch werden je nach Zeitalter nur noch Hexen, Juden, Moslems, UnglĂ€ubige, Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, KulturschĂ€nder, Perverse, Arbeitsscheue und Sozialschmarotzer vermutet – der Tummelplatz des ewigen amorphen Feindes. Der Mitte-Simpel hat nie gelernt, was soziales, fortschrittliches, unkonventionelles oder gar völlig neues Denken ist, sondern er lebt vorgefertigt rĂŒckwĂ€rtsgewandt, möchte ihm eingebleute oder vertraute Werte bewahren oder zumindest die Illusion davon. Und Teil dieser Illusion ist eine absurde „völkische“ Reinheit, die es de facto schon seit Jahrhunderten nicht mehr gibt. Inwiefern der Hass auf Andersdenkende und Nicht-Hiesige dem Fortschritt der Menschheit dienlich oder ein nationales Reinheitsgebot von besonderem Wert sein soll, vermag der Mitte-Simpel natĂŒrlich nicht zu sagen. Auch nicht, welche konkreten Werte seiner „Leitkultur“ gegen wen verteidigt werden sollen, so es denn welche gibt. Die Monokultur des völkischen Inzests ist somit die Verweigerung eines kulturellen Erfahrungs- und Lernprozesses oder Ablehnungs- und Gegenkultur der RĂŒcksichtslosen und Fortschrittsfeinde, die die entgleiste Demokratie lĂ€ngst nicht mehr unter Kontrolle hat.

Religion als Hobby wie das Briefmarkensammeln

In der Tat haben religiöse Insignien und Kleidungsarten als Ab- und Ausgrenzungsmerkmale auf den Straßen aufgeklĂ€rter Staatsformen nichts zu suchen. Dazu gehören allerdings nicht nur KopftĂŒcher und Tschadore, sondern auch die Uniformen anderer religiöser Heere, also jene von Nonnen, Pfarrern, Rabbis, orthodoxen Juden und ebenso die der Soldaten der Heilsarmee. Viele Menschen fĂŒhlen sich auch oder gerade von all diesen Insignien belĂ€stigt, weshalb sie in letzter Konsequenz niemals auf die Straße gehören. Wer Mummenschanz praktizieren möchte, der sollte dazu zuhause oder an speziell dafĂŒr vorgesehenen Feiertagen genĂŒgend Gelegenheit haben. Welch grauenvoller Anblick muss ein Pfarrer fĂŒr die armen Buben sein, an denen sich ein als „Diener Gottes“ agierender Menschenpeiniger jahrelang vergangen hat, der jedoch trotz alledem ungeschoren davon kam und dann auch noch Unterschlupf unter just dem Kirchendach fand, das seinen Opfern einst als Schutzschild hĂ€tte dienen sein sollen? Oder wie geht es jenen irischen Frauen beim Anblick einer Nonne, die einst Sklavenarbeit leisten mussten, weil sie unehelich schwanger waren und daher als Schande fĂŒr ihre zurĂŒckgebliebene Gesellschaft galten? Und wie reagieren die Frauen, die abgetrieben haben, beim Anblick von Nonnen und Pfarrern, die diese dann als Mörderinnen beschimpfen, da sie „ungeborenes“ Leben gern höher schĂ€tzen als geborenes Leben im Kriegsfall?

In den westeuropĂ€ischen und erst recht in den US-amerikanischen Massenmedien werden die Schlagzeilen kaum mehr wahrgenommen: ein toter Araber, zehn tote Araber, hundert tote Araber, tausend tote Araber, zehntausend tote Araber, hunderttausend tote Araber: Drohnenexekutionen, KollateralschĂ€den, Vergeltungsmaßnahmen, völkerrechtswidrige Kriege – alles kein Problem. In Israel exerziert die Statistik vor, was Menschenleben wert sind: jĂŒdische israelische StaatsbĂŒrger hundert Prozent, nichtjĂŒdische arabische israelische StaatsbĂŒrger zehn Prozent und PalĂ€stinenser ganz ohne Wert. Laut B’Tselem (The Israeli Center for Human Rights in the Occupied Territories) wurden zwischen 1987 und 2012 nicht weniger als 8516 PalĂ€stinenser durch Israel getötet, darunter hunderte von Kindern. Im gleichen Zeitraum starben etwa 400 Israelis durch palĂ€stinensische SelbstmordattentĂ€ter. Im Jemen findet ein extrem zerstörerischer Aggressionskrieg durch Saudi-Arabien mittels US-amerikanischer Waffen statt, der vom europĂ€ischen Westen nicht nur toleriert, sondern auch gefördert wird. Wer daher heute in Gaza oder dem Westjordanland geboren wird und aufwĂ€chst, der weiß von Anfang an ĂŒber seine Startposition Bescheid – es ist die des Untermenschen, des AussĂ€tzigen, des Hoffnungslosen des 20. und mittlerweile auch 21. Jahrhunderts. Die BĂŒrger des Iraks und Syriens haben jahrzehntelang unverschuldet gelitten und die USA haben sich noch vor nicht allzu langer Zeit gerne der Waffenmacht eines Saddam Hussain als Stellvertreterarmee gegen den Iran bedient: das alleine waren acht Jahre Krieg. Und Syrien? Auch hier spielen der Westen und Israel die Rolle der anlass-, kenntnis- und glĂŒcklosen Einmischer. Gespielt wird stets im Turnier des großen Experiments: schauen wir mal, was dabei herauskommt, wenn wir diese oder jene Schachfiguren hin- und herbewegen. Daher wird weiter gemordet und gestorben, denn es ist ja alles weit weg – oder doch nicht? Die verhassten FlĂŒchtlinge sind keine ZĂŒchtungen multikultureller Kobolde zur VerĂ€rgerung rechter WutbĂŒrger, sondern werden in den Schreckensfabriken rechter Kriegsstrategen in Serie produziert.

Fern ist uns der Nahe Osten geografisch nicht, sondern der europĂ€ische Hinterhof – ganz so wie die USA SĂŒdamerika als den ihrigen sehen. Der Hinterhof Europas beginnt direkt hinter dem NATO-Mitglied TĂŒrkei, einem Staat, der schon seit geraumer Zeit völlig unberechenbar ist, den der Westen jedoch wie den unverhohlen religiösen Aggressor Saudi-Arabien aus unerfindlichen GrĂŒnden als Waffenpartner ins Herz geschlossen hat. Wer mit saudischen Politikern spricht, der begegnet höflichen und ausgezeichnet Englisch sprechenden Herren mittleren Alters im perfekt sitzenden westlichen Anzug. Und die sollen mit ihrem Erdölreichtum den islamischen Fundamentalismus in der Region finanzieren? Aber nein!

Blinde Augen gibt es immer dort, wo gĂŒnstige geostrategische Lagen vorliegen. Man weiß ja nie, mit Russland 
 Die Angelegenheit sollte klar sein: die USA haben im europĂ€ischen Hinterhof genauso wenig verloren wie Europa einen Krieg gegen Venezuela fĂŒhren wĂŒrde, um an dortige ErdölvorrĂ€te zu gelangen – und dazu dann auch noch um die militĂ€rische Hilfe der USA bĂ€te. Den EuropĂ€ern aber werden von ihren Regierungen die abenteuerlichsten US-militĂ€rischen Unterfangen angedreht, nur damit die transatlantischen Kuscheltiere glĂŒcklich werden. Wer jedoch bezahlt letztlich fĂŒr das menschliche Leid, die FlĂŒchtlinge, den Terror vor der HaustĂŒr?

Alt und dumm

Aus unseren Schulen geht ein kreativer und kluger Rebell allenfalls per Zufall hervor, eher verkĂŒmmert er aber dort. Das Schulsystem ist insgesamt so kaputt wie dessen Grundschullehrer am Abend. Wer Steve Jobs in Serie will, darf keine Zumwinkelchen fördern und wer keine Neonazis will, der muss jedem Menschen seine Chance auf individuelle Fortentwicklung geben. Der Wandel der StĂ€dte in den vergangenen Jahrzehnten fand niemals zu Lasten der Gutverdiener, sondern immer zu Ungunsten des gesellschaftlichen Bodensatzes statt. Damit einher ging ein fundamentaler Verlust an LebensqualitĂ€t, denn dort, wo es einst eine solide Mischung aus urigen Lokalen und Freizeitangeboten fĂŒr kleine Portemonnaies gab, befinden sich zunehmend seelenlose und seriengefertigte KonsumpalĂ€ste: StĂ€dte wie London oder Paris sind bemerkenswerte Beispiele fĂŒr gentrifizierte und damit austauschbar gewordene Wohnsilos fĂŒr finanziell Gutsituierte ohne jede FĂ€higkeit zur IndividualitĂ€t. Die seit Jahrzehnten schon in Vororte verbannte Arbeiterschaft geringen Einkommens darf sich mit den Brotkrumen der kulturellen Produktionsvielfalt unserer Metropolen abfinden, sodass auf lange Sicht das Leben dort nicht mehr lebenswert erscheint. Jacques Tati brachte es 1958 in â€žMon Oncle“ auf den Punkt – nun allerdings ist der Kontrast zwischen der vom Geld vereinnahmten Moderne und den perspektivlosen wie heruntergekommen VorstĂ€dten noch furchterregender. Genau dort findet sich das Saatgut von Hass und Gewalt – und einen besseren DĂŒnger als Hartz IV zur Aufrechterhaltung dieses Zustandes gibt es nicht. Das Hartz-„Konzept“ ist ein von Gerhard Schröder (SPD, spĂ€ter Ringier, Harry Walker, NEGP Company/Nord Stream AG/Gazprom, Libyan Investment Authority, Rothschild Bank, TNK-BP usw. usf.) eingefĂŒhrtes und nach dem 2007 in 44 Anklagepunkten der Untreue fĂŒr schuldig befundenen VW-Ex-Manager Peter Hartz benanntes Prinzip zur Durchsetzung industriefreundlicher Zwangsarbeit. Laut dem Demokratieforscher Wolfgang GrĂŒndinger ist es problematisch, wenn ehemalige Politiker als Lobbyisten in Bereichen tĂ€tig werden, fĂŒr die sie zuvor politisch verantwortlich waren. Der Verdacht liege nahe, â€ždass sie ihr Mandat darauf verwendeten, bestimmten Interessengruppen Vorteile zu verschaffen und sich damit als Kandidat fĂŒr spĂ€tere lukrative Stellen zu prĂ€sentieren.“. Auch hier wiederum wusch eine Hand die andere.

Das auch als „Revolving-Door“ oder deutsch „DrehtĂŒrprinzip“ bezeichnete Verfahren, das Politikern den nahtlosen Übergang in privatwirtschaftliche Bereiche ermöglicht, in deren Sinne sie zuvor politische Entscheidungen trafen, dĂŒrfte wesentliche Stimulanz des rechten ProtestwĂ€hlers sein, der nicht selten auch Opfer der „politischen“ Maßnahmen einer solch verabscheuungswĂŒrdigen Praxis ist und der spĂ€ter auch beobachten darf, wie sein gesamtes soziales Umfeld daran erkrankt. Es ist leicht, Brexit-WĂ€hler als dumm und alt zu verunglimpfen. Die Frage stellt sich nur, wohin dies in letzter Konsequenz fĂŒhrt. So haben die grĂ¶ĂŸten Brexit-Propagandisten Farage und Johnson das Schulsystem ebenso erfolgreich durchlaufen wie die allermeisten der einst schulpflichtigen WĂ€hler. Jene 17 Millionen Briten allesamt fĂŒr dumm zu erklĂ€ren hieße folglich, das gesamte Ausbildungssystem als sinnlos zu definieren, was dann weitere interessante Schlussfolgerungen nach sich zöge. Und die beiden End-Babyboomer Farage und Johnson als alt zu bezeichnen, ist ebenso absurd wie das demographische Ausloten jenes Wahlausgangs. Richtig, denn auch die Liste der Nazis und Neonazis mit akademischem Hintergrund enthĂ€lt einige bemerkenswerte Beispiele dafĂŒr wie geringes Alter keineswegs vor politischer Unkenntnis schĂŒtzt. NĂ€her liegt eher der Schluss, dass akademische Laufbahnen und Intelligenz sinnvoll voneinander zu trennen sind und auch Jugend keinerlei QualitĂ€tsmerkmal ist.

Mit Großbritannien wird es nicht anders sein wie im ĂŒbrigen Europa. Der von der diffusen Mitte verprellte WĂ€hler wĂ€hlt bevorzugt rechts außen und damit SchandmĂ€uler wie Farage, „alte Naive fĂŒr Deutschland“ wie Storch oder RegionalhĂ€uptlinge wie De Wever. Diese wiederum wollen aber vor allem an die schnelle Macht, ans schnelle Geld und denken unweigerlich nicht weiter als von heute auf morgen, wenn ĂŒberhaupt. „Was schert mich mein GeschwĂ€tz von gestern?“ pflegt man in solchen Kreisen gern zu bekennen und ein solcher Satz wird auch auf der großen Rechnung stehen, die die Briten die kommenden Jahrzehnte noch zu zahlen haben. Aber ihre UnabhĂ€ngigkeit werden sie erhalten. Eine eisige und unbequeme UnabhĂ€ngigkeit jedoch, die sie zunĂ€chst einmal Schottland und dann womöglich auch noch Nordirland kosten dĂŒrfte. Das verbleibende Kleinbritannien dann wird keine sonderlich große Rolle mehr im globalen Machtzirkus spielen und das wird vor allem London zu spĂŒren bekommen. Vorbei die Zeiten endloser Immobilien-AufwĂ€rtsspiralen, vorbei mit dem grĂ¶ĂŸten EU-Geldumschlageplatz, vorbei mit dem angelsĂ€chsischen Tor fĂŒr Politik und Wirtschaft zur EU.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn schon wenige Tage nach dem Referendum damit gerechnet wurde, dass erste Konsequenzen spĂŒrbar wĂŒrden. So wirkt es fast albern, wenn die asiatische HSBC-Bank verkĂŒndet, sie werde auch kĂŒnftig in London verbleiben oder andere Firmen verlautbaren, dass sie diesen oder jenen erst unlĂ€ngst errichteten Standort nicht kurzfristig schlössen. Warum sollte dies auch geschehen, wenn es weder noch den geringsten Anlass noch eine kurzfristige Alternative gibt? Sollen millionenschwere GebĂ€ude einfach verkauft oder abgerissen werden, um dann ausgerechnet in Amsterdam sein GlĂŒck zu versuchen?

Der Kater wird groß und langanhaltend sein. Die EU wird sich rĂ€chen und vor allem andere vom Austritt abhalten wollen. Genau dann wird mutmaßlich auch erst erkannt, welchen Wert die EU ĂŒberhaupt hat – nĂ€mlich im Verlustfalle. Ein schöneres Geschenk hĂ€tte man sich in Eurokratien nicht wĂŒnschen können. Die Briten werden als Exempel dafĂŒr dienen, was passiert, wenn man aus der EU-Reihe tanzt: teurerer Urlaub, teurere Waren, geringere FreizĂŒgigkeit, geringere Arbeitsrechte u. v. a. m. Hauptsache natĂŒrlich, der Metzger an der Ecke nimmt Abschied vom metrischen System. Auch das separatistische Flandern wird Federn lassen mĂŒssen, da es vom separatistischen Britannien nach geradezu erdolcht wurde, denn deren hauptsĂ€chlicher Handelspartner wird zwar auch weiterhin kaum einen Steinwurf entfernt sein, steuerlich jedoch auf dem Mond liegen.

Ganz alltÀglicher Wahlbetrug: Brexit-Bus (oben) auch in Labour-Rot (unten)
Ganz alltÀglicher Wahlbetrug: Brexit-Bus (oben) auch in Labour-Rot (unten)
Politische Generalausrede Brexit

Die AlbtrĂ€ume der Bevölkerung sind der Traum des Politikers. Brexit wird kĂŒnftig an allem Schuld sein: am mittlerweile leiderganz alltĂ€glichen Rassimus, an der Wirtschaftskrise, an der Loslösung Nordirlands und Schottlands und auch am kulturellen Niedergang der Insel – Subventionen werden fehlen, Exportoptionen und Reisemöglichkeiten nicht mehr bestehen, Versicherungen ihre europaweite GĂŒltigkeit verlieren und Zölle den schnellen Erwerb europĂ€ischer Produkte erschweren. Der vom Volk gesĂ€ttigte britische Politiker kann sich so noch mehr dem eigenen Vorteil und seiner Karriere-DrehtĂŒr zuwenden und alles, aber auch alles auf das Referendum abwĂ€lzen.

Diejenigen Politiker, die nun Großbritannien gerne noch ausreichend Zeit oder eine MeinungsĂ€nderung geben wĂŒrden, sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identisch mit jenen, die dem EU-Einfluss der USA und/oder den entsprechenden Interessengruppen unterliegen. Und diejenigen Briten, die nicht das Opferlamm jener Posse werden wollen, haben schon lĂ€ngst die Flucht zurĂŒck ins gemĂŒtliche alte Europa angetreten. Weder die Schweiz noch Norwegen werden als Vorbilder fĂŒr das neue, kleine Britannien des Jahres 2019 als kurzfristige Vorbilder funktionieren, denn keine Lösung darf allzu viel Zeit benötigen soll sie nicht Berge von Geld kosten. Der Fahrplan des Brexit-Zuges lĂ€sst sich nicht endlos aufschieben, die ZugfĂŒhrer aber kennen noch nicht einmal die Haltestellen.

Whatever Happened To The Likely Lads (1973)

Die britische TV-Serie „Whatever Happened To The Likely Lads“ (Was auch immer mit den liebenswerten Kumpeln geschah) handelt von den Freunden Bob und Terry und erfreute sich bei einem breiten britischen Publikum von 1964 bis 1974 großer Beliebtheit, da sie vor allem auch eine verĂ€nderungsreiche Phase der Nachkriegszeit Großbritanniens wiedergab. So ist der nachfolgende Dialog zweifelsfrei auf den EU-Beitritt Großbritanniens am 1. Januar 1973 zurĂŒckzufĂŒhren, zu welchem schon am 5. Juni 1975 ein erstes Referendum stattfand.

Zur Vorgeschichte: nach einem aufgrund des fĂŒr Terry nicht ausreichend mĂ€nnlichen Personals gescheiterten Frisörbesuch befanden sich die Kumpel auf der Flucht vor einer Kneipenbekanntschaft, die ihnen aus purer GehĂ€ssigkeit die Ergebnisse eines erst am Abend im Fernsehen zeitversetzt ausgestrahlten FußballlĂ€nderspiels in Bulgarien mitteilen wollte. Mit noch nassen Haaren im nĂ€chsten Pub gelandet, kam das GesprĂ€ch dann vom Fußball in Bulgarien auf den Balkan – eins fĂŒhrte zum andern: ein Fernsehdenkmal fĂŒr den unbekannten ProtestwĂ€hler.

Bob: Balkan. Da, wo es die ganzen schrecklichen Flutkatastrophen gibt. Tragisch. Tausende obdachlos.

Terry: Das ist doch eher zu unserem Vorteil, halt dumm gelaufen.

Bob: Wie kann man nur sowas schrecklich unmenschliches sagen?

Terry: Naja, die wissen dort schon mit Fluten und sowas umzugehen. Die sind das gewohnt. Katastrophen gehören da zum Leben.

Bob: Und was willst Du mit dieser lÀcherlichen Bemerkung jetzt wieder sagen?

Terry: Naja, all die LĂ€nder da, so wie Persien oder Bulgarien und der Nahe Osten, die sind unstabil. Wenn die keine Fluten haben, dann Erdbeben. Wenn keine Erdbeben, dann Taifune. Das macht die Leute da so unstabil. Darum sind die immer so hysterisch. Immer rauf und runter – ’nen Krieg anfangen, Regierungswechsel oder sonst was wollen.

Bob: Und daraus willst Du allen Ernstes eine nationale IdentitÀt basteln?

Terry: Ganz sicher, denn das ist so. Jetzt nimm mal die Briten zum Vergleich. Wir haben keine Erdbeben oder Flutwellen. Und wenn bei uns im Februar die bittere KĂ€lte aus dem Nordosten kommt, dann fliehen wir auch nicht gleich in den SĂŒden. Deswegen ist der britische Charakter so stabil, deswegen sind wir so verdammt entspannt und ruhig in Krisenzeiten.

Bob: Aber Deiner Meinung nach gibt es bei uns doch gar keine Krisen.

Terry: Ham’ wir nicht. Aber wenn, dann bleiben wir ruhig.

Bob: Weißt Du, ich lerne heute ’ne Menge von Dir. Ich wette, Du könntest mir gleich die ganze Welt erklĂ€ren.

Terry: Ich bin vielgereist, kenne die Welt ein bisschen, weißt Du.

Bob: Was hÀltst Du beispielsweise von den Koreanern?

Terry: Kann man nicht trauen, brutale Leute. So wie alle anderen Orientalen.

Bob: Da verurteilt jemand gleich ein Drittel der Weltbevölkerung in nur einem Satz. Und die Russen?

Terry: Finster.

Bob: Ägypter?

Terry: Feige.

Bob: Ich dachte, das sind die Italiener fĂŒr Dich.

Terry: Nein, nein, nein. Die sind nur schmierig. NatĂŒrlich nicht so schmierig wie die Franzosen.

Bob: Deutsche?

Terry: Arrogant.

Bob: Spanier?

Terry: Faul.

Bob: DĂ€nen?

Terry: Pornografisch.

Bob: Das sind wohl alle. Und Amerikaner?

Terry: Naja, die sind protzig, oder?

Bob: Bleiben also nur die Briten?

Terry: Naja, ich hab’ nicht die Zeit fĂŒr die Iren oder Waliser, die Schotten aber sind schlimmer als die Koreaner.

Bob: Und die Leute aus dem SĂŒden unseres Landes konntest Du auch nie ausstehen.

Terry: Ehrlich gesagt kann ich niemanden von außerhalb dieses Ortes ausstehen. Eine ganze Reihe von Familien aus unserer Straße kann ich schon nicht ertragen. Wenn ich es mir recht ĂŒberlege, so mag ich schon die Leute von nebenan nicht.

Bob: Verstehe. Also vom entfernten blauen Pazifik bis zur kargen Einöde der Mandschurei bis 127, Inkerman Terrace kannst Du niemanden ausstehen. Wie Du ĂŒberhaupt jemals ein deutsches MĂ€del heiraten konntest, werde ich wohl nie verstehen.

Terry: Das Scheitern meiner Ehe bestĂ€tigt nur meinen Punkt. Die und wir vertragen sich nicht. England sollte sich des Risikos meines Scheiterns mit Europa beherzigen. Gott hat nicht aus Versehen aus diesem Land eine Insel gemacht, weißt Du.

Bob: Verstehe. Zusammengefasst bewahren die Briten wÀhrend einer Krise die Ruhe, der Rest der Welt ist instabil und alle Frisöre sind Tunten.

Whatever Happened To The Likely Lads (1973)
Die Achillesferse des Eurokrates

Wenn ein submental verfetteter Unsympath wie der verhinderte Hyde-Park-SchwĂ€tzer und mittlerweile von seinem Amt zurĂŒckgetretene Nigel Farage kaum sympathischere Eurokraten beleidigt, dann ist das Affenzirkus auf höchstem Niveau. Denn schon der Satz, in welchem Farage dem Belgier Van Rompuy das „Charisma eines feuchten Lappens“ mit dem „Erscheinungsbild eines untergeordneten Bankangestellten“ und dem Charme eines Buchhalters bescheinigte und Belgien als „so ziemlich ein Nicht-Land“ bezeichnete, ist vielsagend, da der wenig glaubwĂŒrdige Farage selbst mit dem EU-Austritt genau das erreicht hat: aus Großbritannien wird ein bei weitem noch zerstritteneres Nicht-Land als Belgien, zu welcher die Brexit-Gegner des Großraums London, Schottland und Nordirland kaum noch gehören wollen.

Auch der zweite Brexit-Leithammel hat es in sich. Der stets etwas nach vorne geneigte ĂŒbergewichtige und selten mal nicht verlegen-dĂŒmmlich grinsende Boris Johnson entspricht zu 100 Prozent dem, was der rechte Polemiker mitbringen muss. Er Ă€nderte schon unzĂ€hlige Male seine Auffassung (so beispielsweise ĂŒber den EU-Beitritt der TĂŒrkei) und ist vor allem bekannt dafĂŒr, seine Schlagzeilen aus BrĂŒssel selbst erfunden zu haben, was ihn seine erste Stelle als EU-Korrespondent der europĂ€ischen Hauptstadt kostete. Kein FettnĂ€pfchen – oder in seinem Fall vielleicht besser Porzellanladen – hat der politische Loxodont bislang ausgelassen und wurde so zum Schwarm der ProtestwĂ€hlerschaft.

Die Achillesferse der EU wie auch der NATO ist deren Expansionsdrang. Die Supermacht Russland einerseits als Feind zu betrachten und sich transatlantischen Vorgaben folgend andererseits deren Hinterhof einzuverleiben sorgt bei keiner Bevölkerung Kerneuropas fĂŒr Begeisterung. Sind wir EuropĂ€er wirklich sinnvolle VerbĂŒndete des religiös-expansionistischen Einwanderungslandes USA, welches kaum noch weiter entfernt und andersartiger sein könnte als uns vertraute kulturelle Traditionen und Werte? Wo genau liegen sie denn, die zahlreichen großen deutsch-amerikanischen Gemeinsamkeiten der Gegenwart und Vergangenheit? Bei der Segregation von schwarz und weiß, arm und reich oder gebildet und ungebildet? Bei der Todesstrafe durch Giftspritze, elektrischen Stuhl oder Gaskammer? Bei den andauernden heißen und kalten Kriegen, Stellvertreterkriegen und Propagandaschlachten? Beim Religionswahn von der Wiege bis zur Bahre? Genau fĂŒr diese angeblich zahlreichen, tatsĂ€chlich aber nicht vorhandenen, Gemeinsamkeiten mit den USA warben vor allem die Briten. Auch damit ist nun Schluss. Kerneuropa hat eine einmalige Chance erhalten, sich wirklich auf sich selbst zu besinnen und damit ganz nebenbei wieder mehr an seine BĂŒrger zu denken. Aber Vorsicht: diese Chance besteht nicht endlos!

Nieder mit dem Frankenstein-WĂ€hler!

Die teuflische Strategie des besonders pflegeleichten rassistischen Wahlviehs hat versagt. Der so kultivierte neue innere Staatsfeind stimmt fortan nicht mehr jedem kriegerischen Beutezug und jeder Verarmungsmaßnahme zu und ist zum gefĂ€hrlichen und unberechenbaren Faktor geworden. Der durch jahrzehntelanges politisches Eindreschen von Simpel-GewĂ€sch zur blind um sich schlagenden Frankenstein-Kreatur geratene WĂ€hler muss erneut zur politischen MĂŒndigkeit befĂ€higt werden. Er muss zum selbstĂ€ndigen Denken stimuliert oder zumindest nicht wie schon 1933 einmal durch Politikdilettanten zur rechtsnationalen Gefahr werden, denn nur so können sich unsere Gesellschaften und ihre Institutionen noch entwickeln und fĂŒhren nicht zu dem, wovon Brexit oder das infernale Clinton/Trump-Wahlduo erst den Anfang darstellt. Politikverdrossenheit gibt es nicht, da es Politik lĂ€ngst nicht mehr gibt. Jene Regelungen des Gemeinwesens wurden zu Regelungen Einzelner oder dem Gemeinwesen entfernter InteressenverbĂ€nde umfunktioniert und sind daher allenfalls als vorgebliche Politik zu definieren. Zweifelsfrei dĂŒrfte es daher niemanden ĂŒberraschen, dass es gerade diese politische FĂ€lscherwerkstatt ist, die zu Verdrossenheit fĂŒhrt und es immer neue FĂ€lscherbanden sind, die sich zur Wahl stellen: falsche Linke und falsche Rechte verkaufen allesamt eine falsche Mitte.

Das immer wieder lauthals vorgetragene PlĂ€rren des fettgefressenen InlĂ€nders, ein ganzes Leben lang „hart gearbeitet“ zu haben und nun in gewaltiger Verzweiflung auf eine winzige Rente hoffen zu mĂŒssen, wĂ€hrend der gierige Einwanderer nie etwas „fĂŒrs Land getan“ hĂ€tte, dann aber ein „gemachtes Bett“ zur VerfĂŒgung gestellt bekĂ€me ist nicht nur völlig falsch, sondern ignoriert vor allem die Grundlage, dass der vor einem Krieg, rĂŒcksichtsloser Ausbeutung oder deren Folgen geflohene Mensch im Aufnahmeland zwar keine Rente einzahlen konnte, besagtem Land aber zweifelsfrei mehr als jeder junge und alte Nazi opfern musste, da im Rahmen von allerlei Kapital- und Kriegsverbrechen seine Lebensgrundlage ganz einfach vernichtet wurde. Der angeblich so bitterarme und verkannte InlĂ€nder sollte daher zunĂ€chst einmal seine offenkundig schwer zu erstickende Zuneigung zu kriegs- und ausbeutungsfreudigen Parteien in Frage stellen, bevor er jene angreift, deren Existenz völlig unschuldig von einem Land ausgebombt oder -genutzt wurde, fĂŒr welches der AuslĂ€nderhasser mit solch großer Hingabe gearbeitet haben will. Schließlich sollte sich die Kritik des ewig vernachlĂ€ssigten InlĂ€nders auf jene konzentrieren, die ihm konkret seine finanzielle Bredouille eingebrockt haben: seine Arbeitgeber und deren politische Helfershelfer. Kein FlĂŒchtling dĂŒrfte jedenfalls jemals Niedriglöhne und die dazu erforderlichen politischen Grundlagen geschaffen haben.

Es ist schwer vorstellbar, dass es im aufgeklĂ€rten Europa immer noch die Utopie eines Deutschlands mit Heino aus dem VolksempfĂ€nger, Musikantenstadl aus dem EinheitsempfĂ€nger, Völkerball auf dem Sportplatz, Frauengold in der Ehe, Doppelkorn in der Trinkhalle, Urlaub im deutschen Wald und dem Kintopp-Förster auf Wilderer-Pirsch gibt. Die RealitĂ€t sieht anders aus, denn abgesehen vom reinheitsdeutschen Fabrikbier und dem abgasschummelnden deutschen Volksdiesel kauft der DeutschtĂŒmler Heimatprodukte allenfalls so standortfeindlich billig wie möglich und nimmt seine eingebildete Leitkultur gerade mal als verdrehte Synchronfassung von US-Serienkost wahr. GĂ€be es keine billigen auslĂ€ndischen ArbeitskrĂ€fte mehr, dann könnten die meisten Staaten nicht existieren, Bau-, Renovierungs- und Instandhaltungskosten vervielfachten sich, Renten-, Pflege- und Gesundheitssysteme brĂ€chen zusammen und Fließbandakademiker landeten ungefragt im Dienstleistungssektor – ein Blick in jene LĂ€nder, die keine oder wenige Einwanderer zu verzeichnen haben, lohnt sich zum Zwecke der ErnĂŒchterung.

Konservativismus bietet keine Lösungen mehr, sondern Flickschusterei am dahinsiechenden Sozialstaat. Und rechts davon werden tagtĂ€glich neue Wunden aufgerissen, die den Tod des SeelenverkĂ€ufers allenfalls verdeutlichen. Der als Neoliberalismus wortgeschönte Wirtschaftsextremismus als das neue DeckmĂ€ntelchen alter Geldgier hat genauso versagt wie das MĂ€rchen der Globalisierung als Entwicklungshilfe oder billiges Fließband westlicher Gestaltung. Jene Ideologien scheitern nicht weniger klĂ€glich an der Menschheit wie die WorthĂŒlsen Aristokratie und Kommunismus – auf den Zusammenbruch des Einen wird der Zusammenbruch des Anderen folgen, denn sĂ€mtlichen neuen AnsĂ€tzen wird nur mit großer Feindseligkeit begegnet. Gewiss lag Farage nicht verkehrt damit, dass die meisten Politiker das wirkliche Leben nicht kennen wĂŒrden, nur befand er sich wĂ€hrenddessen selbst in der Politik. Viele WĂ€hler verwechseln Politik mit RealitĂ€t, die meisten Politiker tun dies jedoch ebenso. FĂŒr den dressierten WĂ€hler wĂ€re es an der Zeit, darĂŒber nachzudenken, seine kostbare Stimme nicht an Muttis, Onkels, Maulhelden, gnadenlose Richter sowie andere Formen meist traditionalistischer Inkompetenz zu vergeben und ĂŒberschĂŒssige Energie vielleicht mal nicht auf dem Sportplatz, sondern in einer Partei zu investieren, die den denkenden Menschen als Mittelpunkt sieht – so wĂ€re das Zerrbild des WutbĂŒrgers gar nicht erst nötig, der mit seinem sinnlosen Tun ohnedies auch weiterhin vom Leben bestraft wird.

David Andel