Uri Avnery und Jasser Arafat

Im Sog der Apartheid

Der Wertewesten ist abermals in Aufruhr. Kaum droht die NATO-Expansionsposse der Ukraine in verdienter Bedeutungslosigkeit zu versinken, erlauben sich die palĂ€stinensischen Hamas ohne jede AnkĂŒndigung genau das, was Israel nun schon seit Jahrzehnten vom Okzident verherrlicht praktiziert: das Abschlachten des Gegners.

Diesmal sitzen nicht die Kriegsherren Israels im ersten Rang und schauen gelangweilt-genĂŒsslich den GrĂ€ueltaten zu, versorgen die Mordbuben mit Munition, Baggern und allerlei HĂ€ppchen, diesmal schritt die gegnerische Seite zur grausamen Tat. Und auch Bibi Netanjahus reflexartig auf den US-Bildschirmen abgespultes Medienspektakel verlĂ€uft alles andere als rund, da er entgegen den bösen Ägyptern behauptet, doch völlig unschuldig und ĂŒberrascht worden zu sein.

Im Verlauf der Jahrzehnte gab es mehr Gelegenheiten als 613 Mitzwot fĂŒr die besetzenden Zionisten, sich mit PalĂ€stina friedlich zu einigen. Doch bevorzugte es das Land, von dem kaum mehr jemand Milch und Honig will, aus jeder Verhandlungsrunde eine PR-Show zu seinen Gunsten zu machen, wĂ€hrend sich meist aus den USA angereiste gescheiterte Existenzen in bester Cowboy-Tradition als Siedler inmitten der verbliebenen palĂ€stinensischen Gebiete niederließen und fortan als ihre Heimat bezeichneten. Das hĂ€tte schon vor Jahrzehnten zu heftiger Gegenwehr geknechteter PalĂ€stinenser fĂŒhren mĂŒssen. Stattdessen aber steigerte die als einzige Demokratie des Nahen Ostens ĂŒberhöhte Kolonialmacht den Druck bis es schließlich krachte.

Der Wertewesten erwartete wĂ€hrenddessen irgendwelche unbekannten palĂ€stinensischen Gandhis, die sich willig vertreiben, einschrĂ€nken, enteignen, unterwerfen und abschlachten lassen sollten. Irgendwann einmal, am Sankt-Nimmerleins-Tag sicher, hĂ€tte es im Austausch das HĂ€ndchen voll Land gegeben, zum Überleben natĂŒrlich unfĂ€hig, zum qualvollen Sterben aber gewiss genug. Bis dahin am besten von PalĂ€stina nichts hören, nichts sehen, erst recht keine friedlichen Proteste wie BDS oder auch nur Demonstrationen gegen irgendwas irgendwo. PalĂ€stinenser sind zum Sterben da, das ist nunmal so. Es sind nur das schlechte Gewissen Deutschlands und die große Freundschaft der USA, die da zĂ€hlen. Deutschland hĂ€ngt gekreuzigt sozusagen an der Seite des Bibi-Reiches, weshalb Axel CĂ€sar, der sich 1938 von seiner jĂŒdischen Frau Martha Else Meyer scheiden ließ, auch seinen Weg dort hat oder Konrad, der sich einbildete, ein Verfolgter des NS-Regimes gewesen zu sein, sein Konferenzzentrum.

Europa steht nicht „an der Seite Israels“. Wir stehen fĂŒr den Frieden. Sie sprechen nicht fĂŒr uns. Wenn Sie nichts Konstruktives zu sagen haben, und das haben Sie eindeutig nicht, halten Sie den Mund.

die irische EU-Abgeordnete Clare Daly am 8. Oktober zur „SolidaritĂ€tsbekundung“ von der Leyens

FĂŒr die meisten Ewig-Heutigen ist Israel so etwas wie Disneyland. NatĂŒrlich blenden die schnorchelnden, kraxelnden und trekkenden Pauschalreisenden dabei die fundamentalistischen Hochburgen Bnei Brak, Me’a Sche’arim sowie die fanatischen Kolonialisten aus, von deren Gunst der Apartheidsstaat zunehmend abhĂ€ngig ist. PalĂ€stina findet in all dem gar nicht mehr statt, es sei denn, die Knechtschaft irgendwo pariert nicht. Israel bleibt fĂŒr große Dummerchen ein kleines Paradies und damit fĂŒr die Baerbocks dieser Welt ein von Feinden umgebenes OpferlĂ€mmlein. Gerim (gesellschaftliche Versager) steht das Land außerdem jederzeit als neue Heimat zur VerfĂŒgung und zum GlĂŒck mĂŒssen nur Chassidim nicht zur IDF, wodurch es zur Armee mit angeschlossener Bevölkerung wurde. Um alles andere kĂŒmmern sich die finsteren Institutionen eines Landes, das etwa so groß wie Hessen ist, zumindest aber fĂŒr hundertmal soviel Ärger sorgt.

Einzelner PalĂ€stinenser zeigt am 11. Oktober in BrĂŒssel Flagge
Einzelner PalĂ€stinenser zeigt am 11. Oktober in BrĂŒssel Flagge

Der Mossad von einst ging ungefĂ€hr mit dem Israel von einst ĂŒber den Jordan. Wann genau das war, lĂ€sst sich nicht ohne Nennung unbequemer Details sagen, herausragende Beispiele der UnfĂ€higkeit dessen, was aus Schin Bet (israelischer Inlandsgeheimdienst) und Mossad (israelischer Auslandsgeheimdienst) wurde, wĂ€ren jedoch 1995 die Ermordung Jitzchak Rabins durch den religiösen Spinner Jigal Amir sowie das plumpe Action-Spektakel in Dubai von 2010, bei dem eine ganze Busladung so genannter israelischer Spione mit nicht ganz so gefĂ€lschten Papieren vor laufenden Hotelkameras einen einzelnen palĂ€stinensischen Widersacher ermordeten. Die Bilder und falschen Namen der sage und schreibe 26 zionistischen SchlapphĂŒte wurden veröffentlicht und stellten damit nicht nur die so genannten befreundeten Geheimdienste vor peinliche vollendete Tatsachen.

Prinzipiell lĂ€sst sich feststellen, dass der Abstieg der ehemals famosen Geheimdienste in etwa mit Beginn der ersten palĂ€stinensischen Intifada 1987 sowie der nationalistisch-religiösen Machtpolitik des 1988 vom BĂŒndnis zur Partei gewordenen Likud zusammenfĂ€llt. Wer Wert darauf legte, konnte schon damals testen, aus wie sehr viel mehr Schein als Sein diese Dienste bestanden, denn es entging ihnen mehr oder weniger alles, sodass die israelische Übermacht vor allem aus bequemen Bombardements und allerlei rassistischen Maßnahmen in den beiden Menschenzoos Gaza und Westbank bestand, nicht jedoch mit besonders ausgeklĂŒgelten Vorgehensweisen zu beeindrucken wusste.

So verwundert es auch wenig, dass sich fast genau auf den 50. Jahrestag des in Israel als „Yom Kippur“ und in arabischen Staaten als „Ramadan“ oder „Oktober“ bezeichneten Krieges Geschehnisse wiederholten, die kein gesunder Menschenverstand denn jemals glauben könnte. Wie seinerzeit lagen Warnungen vor, wie seinerzeit wurden diese ignoriert. Wer hier finstere Absichten Bibi Netanjahus vermutet, sollte sich hĂŒten, denn die Dummheit des machtbesessenen Populisten ist grenzenlos.

In der Tat sind die jetzigen Ereignisse unbestreitbare Zeichen dafĂŒr, dass Schin Bet und Mossad nun zu den schlechtesten Geheimdiensten der Welt zĂ€hlen und dass der zutiefst rassistische Apartheidsstaat ganz nach dem Vorbild von Bibi und Sarah’le im wesentlichen mit seiner eigenen Idiotie beschĂ€ftigt ist. Die jetzige Regierung Israels ist nicht nur absolut verachtenswert, sondern Ă€hnlich der deutschen auch absolut unzurechnungsfĂ€hig. Dass diese sich jetzt mit vollem Elan dem Massenmord von PalĂ€stinensern hingeben wird, steht mit absolutem Entsetzen zu erwarten. Wer wird diesmal wohl der Hitler des Jahres werden? Dass das nach dem „Al-Aqsa Flut“-Blutbad zu einem zumindest zehnmal höheren Verlust an Menschenleben fĂŒhren wird, schert den rassistischen Wertewesten gewiss nicht.

Die Tatsache, dass viele Zivilisten im Gazastreifen dabei umkommen, hat Israel nie bekĂŒmmert. Benny Gantz, von dem alle so große StĂŒcke halten, hatte seine politische Karriere mit dem Spruch begonnen, um sich selbst zu profilieren, dass er im Krieg von 2014, als er Generalstabschef war, 1400 PalĂ€stinenser getötet habe. Davon waren ĂŒber 800 Leute Frauen und Kinder. Das hat ihm aber nicht geschadet. In Israel hat man ganz im Gegenteil gesagt, das ist okay. Über die palĂ€stinensischen Opfer macht sich sowieso niemand Gedanken.

Moshe Zuckermann am 11. Oktober 2023 im Overton-Magazin

Wenn Deutschland im Falle israelischer „Strafaktionen“ in Gaza nun auch nicht mehr so genau weiß, was völkerrechtswidrig ist oder die Sicherheit Israels (und dazu zĂ€hlt alles, worauf Bibi gerade Lust hat) als Teil der deutschen StaatsrĂ€son betrachtet, dann muss die Frage gestellt werden, weshalb Israel 1948 nicht auf deutschem Boden gegrĂŒndet wurde? Die meisten NSDAP-WĂ€hler der Weimarer Republik wohnten in Regionen mit so genannten GrenzinkonvexitĂ€ten wie Schleswig-Holstein oder Pommern, Ostpreußen, Schlesien (Baerbocks Lieblings-Omi stammte aus Oberschlesien), die im Rahmen einer grĂŒndlichen Entnazifizierung einfach hĂ€tten enteignet und an die Opfer der Nazis ĂŒbertragen werden mĂŒssen.

Wir werden leider nie erfahren, wie großartig unterwĂŒrfig sich das TĂ€tervolk in Schleswig-Holstein in seiner neuen Hauptstadt Kiel-Aviv den zionistischen Herren gegenĂŒber verhalten hĂ€tte, haben aber angesichts der maßlos verlogenen deutschen Nachkriegspolitik eine gewisse Vorstellung davon. Da ist es doch bedeutend besser, unschuldige PalĂ€stinenser zu vertreiben, einzuschrĂ€nken, enteignen, unterwerfen und abzuschlachten. Alles, was nun in Gaza passiert, wird die Menschheit definieren und weder vergessen noch verziehen werden.

Sleepy Joe stolpert wĂ€hrenddessen weiter ĂŒber seine Leichenberge. Die Welt, die uns der Wertewesten bislang beschert hat, ist kaum verheißungsvoll. Die Rechnung fĂŒr die sich nun auch im Nahen Osten zuspitzenden Ereignisse wird gesalzen sein und könnte zudem von einer weltweiten Serie explodierender Bomben und Rohstoffpreise garniert werden. Die uneingeschrĂ€nkte SolidaritĂ€t Deutschlands zu Israel, dessen billiger Ukraine-Kopie und vor allem dem Taktgeber USA kennt aber bekanntlich keine Grenzen.

David Andel