Port Said am Sueskanal

Die Disposition

Abdel Nasser war, noch nach dem von ihm unternommenen Staatsstreich, scheinbar ein völlig unbekannter Mann. In den Berichten über den Sturz König Faruks fehlte sogar sein Name. Zum erstenmal genannt wurde er erst einen Monat nach dem Umsturz. Damals hieß es, man fände ihn immer an der Seite General Nagibs. Anscheinend wußte niemand etwas über seine Vergangenheit und über seine politischen Ziele. Unklar war sogar sein Geburtsort. Stammte er, wie die Propaganda bald darauf vorgab, aus dem oberägyptischen Fellachendorf Beni Mor (»Söhne der Bitteren«) oder, was die Wahrheit war, aus Alexandria? Der »große Unbekannte« wurde ein knappes Jahr darauf Regierungsmitglied, und wiederum ein Jahr später war er unumschränkter Diktator.

So rätselhaft es für die Weltöffentlichkeit sein mochte, so wenig konnte man sich in zwei an seiner Zukunft interessierten Hauptstädten – London und Moskau – über ihn im unklaren sein. Doch das stellte sich leider viel zu spät heraus.

Obwohl die Vereinigten Staaten, wie auch die Sowjetunion, zu den Geburtshelfern des Staates Israel gehört und dadurch die inneren Gegensätze der nahöstlichen Staatenwelt und ihr Verhältnis zu den großen Machtblöcken zu komplizieren geholfen hatten, war dieses Gebiet auf der politischen Erdkarte des Washingtoner State Departments noch in den beginnenden fünfziger Jahren so etwas wie ein weißer Fleck. Für es gab es keine einheitlichen politischen Richtlinien. Die Regierung betrachtete es offiziell noch immer als britische Einflußsphäre. Doch hinter den Kulissen tobten die Richtungskämpfe. Die Diplomatie war gespalten in »Araber« und »Juden«. Die einen sahen in der Israel zuteilgewordenen Unterstützung einen Fehler und sympathisierten mit den arabischen Revisionsforderungen; die anderen betrachteten den jüdischen Staat als einzigen verläßlichen regionalen Bundesgenossen der USA.

Die Hände, die den Kanal gruben sind dieselben Hände, die die Gräber der Besatzer des Kanals ausheben werden.

Der ehemalige Arbeits- und Kriegsminister sowie Vizepräsident Ägyptens Hussein esch-Schafei (1918-2005)

Der amerikanische Geheimdienst CIA zog daraus eigene Schlüsse. Er sah schon früh voraus, wie rasch die britische Weltmacht zusammenbrechen würde und trachtete danach, rechtzeitig Auffangpositionen zu errichten. Nirgendwo ging sie systematischer und weitsichtiger vor als im Nahen Osten. Dafür besaß sie nicht nur die richtige Konzeption, sondern auch die geeigneten Leute. Einer von ihnen war ihr Agent Kermit Roosevelt, der bezeichnenderweise später Vizepräsident der über große regionale Wirtschaftsinteressen verfügenden Erdölgesellschaft »Gulf Oil« wurde.

Roosevelt überzeugte sich spätestens nach dem »Schwarzen Samstag«, im Januar 1952, von der Haltlosigkeit der ägyptische Monarchie und der mit ihr verbundenen Wafd-Partei. Er intensivierte, im direkten Auftrag des späteren CIA-Chefs Allen Dulles, die schon vorher geknüpften Kontakte zu den innerpolitischen Untergrundgruppen des Nillandes.

Der Wafd (»Delegation«) hatte sich durch die von ihm begünstigte Mißwirtschaft kompromittiert. Die Ichwan (»Bruderschaft«) schied aus wegen ihrer religiösen Intoleranz, die Kommunisten, die im übrigen zu unbedeutend und untereinander zerstritten waren, wegen ihrer sozialrevolutionären Ziele.

Es gab keine wirkliche demokratische bürgerliche Opposition; also blieb nur die Armee. Hauptsächlich in ihr kristallisierte sich spätestens seit 1948 der Widerstand gegen die Korruption des Hofes. Die angeblich nur durch diese verursachte militärisch Niederlage im ersten Palästina-Feldzug führte viele bis dahin zögernde und nun enttäuschte Soldaten zu den »freien Offizieren«.

Gamal Abdel Nasser, deren Gründer und unumstrittener Wortführer, besaß legendären Kriegsruhm. 1948 behauptete er, als einziger ägyptischer Truppenführer, eine von ihm befehligte Festung gegen den israelischen Ansturm. Er verließ sie nach dem Waffenstillstand, ohne kapituliert zu haben. Seine Kameraden nannten ihn seitdem »Tiger von Faludscha«.

Nasser träumte zwar von der Revolution, die alles verändern sollte, erwies sich aber als Zauderer. Selbst bei den damals gang und gäben Terroraktionen gegen die in der Suezkanalzone stationierten ausländischen Garnisonen zeigte er kaum Entschlußkraft und wenig Mut. Ein Mitkämpfer berichtete später, gewöhnlich habe er es anderen überlassen, die Überfälle durchzuführen, und sei spurlos verschwunden, bis sie herum gewesen seien. So versäumte er mehrere sichere Putschchancen, zuletzt am »Schwarzen Samstag«, an dem es nur noch einer Handbewegung bedurft hätte, Faruks Thron umzustürzen.

Die »freien Offiziere« waren – für die CIA – trotzdem die einzige akzeptable Oppositionsgruppe, und paradoxerweise überzeugte gerade der »Schwarze Samstag« deren Agenten, daß etwas geschehen müsse. Der Nildiktator bestritt bis zu seinem Tod jeden Kontakt mit dem amerikanischen Geheimdienst, Kermit Roosevelt muß aber wohl als glaubwürdiger gelten. Letzterer beansprucht sogar die Urheberschaft für die jahrelang aufrecht erhaltene amtliche ägyptische Behauptung, die ersten Waffen aus dem Ostblock seien, 1955, von der CSSR geliefert worden, nicht von der Sowjetunion!

Der CIA-Agent behauptete später, sein Favorit für die Nachfolge Faruks sei General Mohammed Nagib gewesen, und nicht der ihm erst später aufgefallene Gamal Abdel Nasser. Wenig glaubhaft ist jedoch, daß der mit den potentiellen Oppositionellen genau vertraute Amerikaner nicht gewußt haben will, wer der führende Kopf der »freien Offiziere« gewesen ist.

Abdel Nasser und Roosevelt kannten sich mindestens seit Anfang 1952. Schwerwiegendes Hindernis war das Fehlen eines bekannten und über Beziehungen zu anderen Widerstandsgruppen verfügenden Mannes. Die CIA konnte ihn liefern. Wahrscheinlich ist, daß sie ihren Schützling auf den General Nagib aufmerksam machte, der diesem seit dem Palästina-Feldzug persönlich bekannt war.

Der General war beliebt in der Armee, bekannt in der Bevölkerung, hatte Verbindungen zur Ichwan, und – was wichtig war für die CIA – galt als Demokrat und verläßlicher Freund des Westens. Ihn erkor man also gemeinsam zum vorgeblichen Anführer des beabsichtigten Staatsstreiches. Dessen Planung übernahmen offenbar bis ins einzelne die amerikanischen Agenten. Darauf deuteten zwei Umstände.

Abdel Nasser fuhr, nachdem er am Abend des 22. Juli von dem Verkehrspolizisten aufgehalten worden war, zu General Nagib und unterrichtete ihn im Beisein des zufällig anwesenden Journalisten Mohammed Hassanein Heikal von dem bevorstehenden Putsch. Niemand erfuhr, wo er sich in den darauffolgenden kritischen Stunden aufhielt. Niemand weiß es bis heute. Einer seiner engsten Vertrauten, der spätere Parlamentssprecher Anwar es-Sadat, gab in seinem »Geheimtagebuch der ägyptischen Revolution« zu, daß er am selben Abend seelenruhig im Kino saß. Als er sich nachts in die längst begonnene Aktion einschalten wollte, kannte er nicht einmal das Losungswort. Der Umsturz hatte offensichtlich andere – geheime – Regisseure. Sie hatten das Startzeichen gegeben, und sie blieben gegenwärtig auch in jeder weiteren Phase.

Die »freien Offiziere« hatten beschlossen, falls ihr Staatsstreich gelinge, rund dreißig politische und militärische Exponenten des alten Regimes, einschließlich des Königs, hinzurichten. Abdel Nasser mußte sie davon abbringen, vermutlich auf Weisung det CIA. Ihr zufolge und auf Rat des USA-Botschafters Jefferson Cafferey gelangte Faruk ins Exil. Die CIA hatte einen ihrer größten Erfolge, und sie war sich auch keineswegs unklar über die künftige Entwicklung.

Die Weltöffentlichkeit sah in Präsident Nagib den neuen »starken Mann«, doch die amerikanischen Hintermänner des Putsches kannten das ihm zugedachte Schicksal. Zwei Jahre darauf trat ihr wirklicher Favorit aus den Kulissen: Gamal Abdel Nasser. Für die CIA war er eine bloße Marionette, und seine Fäden hielt ein Mann namens Miles Copeland. Roosevelt machte ihn zum engsten Berater des neuen Diktators, und er erhielt ein Büro direkt neben dem Abdel Nassers im Hauptquartier des »Revolutionären Kommandos« auf der Nilinsel Gezira.

Dieser Umstand blieb beinahe fünfzehn Jahre eines der bestgehüteten Geheimnisse der ägyptischen Politik und der CIA, und erst in der Sendung »24 Hours« der britischen BBC während des Sechs-Tage-Krieges im Juni 1967 nannte man Copeland öffentlich »einen früheren amerikanischen Diplomaten im Nahen Osten und engeren Vertrauten Präsident Abdel Nassers«. Copeland täuschte sich nie über seinen Schützling. In einem Bericht über ihn schrieb er damals nach Washington: »Seine Fehler sind Eitelkeit, Starrköpfigkeit, Mißtrauen und Machtgier. Seine Stärke ist ein absolutes Selbstvertrauen, ungewöhnliche Spannkraft, Mut, Beherrschtheit und Bereitschaft, auch ein gefährliches Risiko einzugehen, große taktische Geschicklichkeit und hartnäckiges Festhalten an einmal gefaßten Plänen. Jede Art von Verschwörung macht ihm geradezu kindisches Vergnügen. Neigt dazu, sich selbst zu bemitleiden. Ist einerseits ein geduldiger und umsichtiger Organisator, kann aber auch den Kopf verlieren«. Es gibt kein kürzeres und gleichzeitig treffenderes Porträt Abdel Nassers.

Copeland wurde, wenigstens in seinen eigenen Augen, dennoch zum Versager. Der noch unerfahrene Diktator hörte lange auf ihn, entzog sich aber dann doch unerwartet plötzlich seinem Einfluß. Schuld daran waren zwei Probleme, die ägyptische Rolle in der »dritten Welt« und der arabisch-israelische Konflikt. Im Frühjahr 1955 flog Abdel Nasser zur ersten blockfreien Gipfelkonferenz nach Bandung. Es war die Zeit, in der die farbigen Völker sich auf gewaltige weltpolitische Kräftereserven stützen zu können glaubten, und der Gestalter der scheinbar beispielgebenden ägyptischen Neuordnung erlebte unter ihnen unerwartete Ovationen. Jugoslawiens Präsident Josip Broz-Tito fand Gefallen an dem leichtbeeinflußbaren jungen Mann und überzeugte ihn davon, seine große Chance läge in der Neutralität von West und Ost. Mit gestärktem Selbstbewußtsein und als anerkannter panarabischer Führer kam er zurück nach Kairo.

Die arabische Führerrolle mußte er aber erst noch, wie er klar erkannte, gegen die widerstreitenden Interessen der Nachbarstaaten durchsetzen. Einziges Mittel dazu war die Lösung des Palästina-Problems. Dazu brauchte er Waffen. Copeland und die »Araber« im State Department empfahlen amerikanische Hilfe. Präsident Eisenhower lehnte ab und gab damit unwillentlich das Signal zur Schaukelpolitik Abdel Nassers. Dieser wandte sich, mit Erfolg, an die Sowjetunion. Die CIA gab sich allerdings noch nicht geschlagen. Sie nährte in Washington weiterhin die Fiktion, der Nildiktator sei ein Freund des Westens. Kermit Roosevelt enthüllte später, in einem Interview mit der britischen Zeitung »Sunday Telegraph«, wie die westliche Öffentlichkeit über die Herkunft der ersten sowjetischen Waffen getäuscht worden sei:

»Nein, ein Geschäft mit den Tschechen war das nie. Das habe ich selbst erfunden. Sehen Sie, eines Morgens saß ich in Abdel Nassers Büro. Eine Ordonnanz kam und sagte, Sir Humphrey Trevelyan, der britische Botschafter und nachmalige Hochkommisar in Aden, stehe unten und wolle den Präsidenten sprechen. Abdel Nasser fragte mich, was Sir Humphrey meiner Ansicht nach wohl wolle. Ich sagte, es handle sich gewiß um die inzwischen aufgekommenen Gerüchte im Zusammenhang mit dem ›Russengeschäft‹. ›Was soll ich ihm sagen?‹ fragte mich der Präsident. ›Ach, sagen Sie ihm, es habe sich um ein Geschäft mit den Tschechen und nicht mit den Russen gehandelt‹. Tschechen schien mir nicht so schlimm zu klingen.«

Die CIA stand vor den Trümmern ihrer raffiniert eingefädelten Politik, als USA-Außenminister John Foster Dulles, wieder entgegen ihrem Rat, den geplanten Assuanstaudamm nicht finanzieren wollte. Das war die logische Konsequenz der antiwestlichen Haltung Abdel Nassers, welche die CIA so lange nicht hatte wahrhaben wollen.

Roosevelt und Copeland blieben noch jahrelang dabei, zu glauben, die USA hätten Abdel Nasser getäuscht und nicht Abdel Nasser die USA. Ihr Schützling blieb für sie ein Antikommunist, den erst die westliche Politik ins kommunistische Lager getrieben hatte. Sie glaubten seine Behauptung: »Die Kommunisten versuchten, mich zum Eintritt in ihre Partei zu bewegen; doch ich lehnte ab und erklärte, ich könne keine Befehle aus dem Unbekannten entgegennehmen!«

Erst 1965 enthüllte der pensionierte britische SIS-Major A. W. Sansom, Abdel Nasser sei, in den dreißiger Jahren, eingeschriebenes Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen: »Seine Mitgliedskarte trug die Nummer 117 und sein Deckname war ›Maurice‹«.

Der CIA war das verborgen geblieben, was nur bewies, wie oberflächlich sie sich über das Vorleben ihres Schützlings informiert hatte.

Moskau aber konnte das nicht unbekannt geblieben sein, und man mußte dort schon seit dem Staatsstreich wissen, woran man mit dem ägyptischen Diktator war. Auf diesem Hintergrund gewannen sowohl die Politik Abdel Nassers als auch die sowjetische Haltung gegenüber Ägypten eine beängstigende Folgerichtigkeit, und ihre Einzelheiten fügen sich so nahtlos zusammen wie bei einem Puzzlespiel.

Miles Copeland verwand nie, daß er unwissentlich zum Handlanger einer großangelegten kommunistischen Verschwörung geworden war. Später saß er manchmal trübselig an der Bar des Beiruter Hotels Saint-Georges, unfähig, sich von der Gegend zu trennen, die ihm zum Schicksal wurde, lebendiger Zeuge seines eigenen Versagens. Wie wenig er trotz aller bitteren Erfahrungen zu begreifen imstande war, was im Nahen Osten vorging, bewies noch einmal in einer BBC-Sendung nach dem Sechs-TageKrieg. Noch während er behauptete, der gespielte Rücktritt Abdel Nassers habe ihn nicht überrascht, reichte man ihm einen Zettel. Auf ihm stand, daß der Rücktritt widerrufen worden sei! Nasser hatte viele Feinde, nicht nur den israelischen Mossad. Geheimdienste in Ost und in West sahen den Ägypter lieber tot als lebend. Sie alle unterwanderten die Moslembruderschaft, die über eine Terrorgruppe verfügte, die sich »Djulla« nannte und der in ihrer Blütezeit um 1952 etwa 5 000 Männer angehört haben sollen. Dieser Gruppe sind wohl die meisten Anschläge zuzuschreiben, die auf öffentliches Eigentum und das Leben führender Persönlichkeiten des Regimes unternommen wurden. Aus spärlichen amtlichen Verlautbarungen, vertraulichen Mitteilungen von Ägyptern im In- und Ausland, Berichten arabischer Diplomaten und Zeitungen und Nachrichten, die der gewöhnlich gut unterrichtete israelische Geheimdienst Mossad an die Öffentlichkeit gelangen ließ, ergibt sich eine lange Liste staatsfeindlicher Maßnahmen, die auf einen Sturz Gamal Abdel Nassers hinzielten. Innerhalb weniger Monate spielten sich folgende Aktionen ab: Am 26. Juli 1964, dem 12. Jahrestag der Emigration König Faruks, wollte der Rais im Alexandriner Offiziersclub zu alten Kameraden sprechen. Die Rede fiel aus, der Präsident ließ sein Flugzeug auf halber Strecke wenden und kehrte zurück nach Kairo. Sicherheitsbeamte sollen im letzten Augenblick bei einer Routinekontrolle eine Zeitzünderbombe entdeckt haben. Wenig später sickerte durch, ein Admiral und 20 Offiziere seien verhaftet und hingerichtet worden.

Im November 1964 hielt der Präsident die Eröffnungsrede im Parlament. Der Redebeginn verzögerte sich, weil man angeblich eine Sprengladung im Plenarsaal entdeckt hatte.

In der Nacht zum 29. Juni 1965 beschossen Terroristen die Ferienvilla des Präsidenten in Alexandria. Der Schußwechsel war meilenweit zu hören, und am nächsten Tag konnten sich die Passanten von den Ausbesserungsarbeiten überzeugen.

Am 16. Juli 1965 planten oppositionelle Offiziere, die Ferienvilla zu bombardieren, den Präsidenten zu töten und die Macht an sich zu reißen.

Am 23. Juli 1965 sollte der Präsident während der alljährlichen Revolutionsparade auf der Nil-Corniche mit Pistolen und Handgranaten getötet werden. Eine Woche vorher wurde die Attentätergruppe verhaftet, die polizeilicher Verlautbarung zufolge hauptsächlich aus Mitgliedern einer einzigen Familie bestand!

Am 26. Juli 1965 sollte der Sonderzug des Präsidenten zwischen Kairo und Alexandria in die Luft gesprengt werden. Zwei Tage zuvor wurde das Sprengkommando gefaßt, und die Strecke wurde durch den Einsatz eines Vorzuges abgesichert.

Am gleichen Tag sprach der Präsident in Alexandria, zum Erstaunen seiner Zuhörer, statt der angekündigten zwei Stunden nur gute zehn Minuten. Wenige Augenblicke vor seinem Eintreffen hatten Geheimpolizisten einen Sprengstoffanschlag auf die Rednertribüne aufgedeckt. Beide Attentatsversuche sickerten wenig später aus amtlichen Quellen durch.

Am 21. August 1965 entging der Präsident offenbar nur durch eine kurzfristige Programmänderung einem weiteren Anschlag. Zwischen Alexandria und Kairo sollte erneut versucht werden, seinen Sonderzug in die Luft zu sprengen. Einer der Täter konnte verhaftet werden.

Die Polizei behauptete, der frühere Oberst und Leibwachenangehörige Ismail el-Fayumi, der aus dem Gefängnis entfliehen konnte, habe geplant, den Präsidenten bei dessen Rückkehr von seinen Gesprächen mit König Feisal von Saudi-Arabien zu erschießen. Ismail war ein Scharfschütze, und er soll die geplante Tut während seiner ersten Vernehmung gestanden haben.

Am 24. August 1965 kam es beim Begräbnis des im Alter von 89 Jahren verstorbenen ehemaligen Wafd-Führers und mehrfachen königlichen Ministerpräsidenten Mustafa en-Nahas zu einer Straßenschlacht zwischen den Trauergästen und Polizisten. Als die sterblichen Überreste des Staatsmannes im Leichenwagen in den Heimatort Samanud gebracht werden sollten, bemächtigte sich eine aufgebrachte Menge des Sarges. Die offenbar gesteuerte Demonstration zog mit ihm zur El-Hussein-Moschee, wo eine Trauerfeier abgehalten wurde, an der sich nach Augenzeugenberichten etwa 30 000 Menschen beteiligten. Erst als die Demonstranten den Sarg an der Seite des Wafd-Gründers Saad Zaghlul beisetzen wollten, konnten Polizisten ihn wieder an sich bringen und abtransportieren. Nahas Pascha hatte völlig zurückgezogen in seiner Villa in Heliopolis gelebt und war systematisch totgeschwiegen worden. Sogar ausländische Experten waren zuweilen in Zweifel, ob er noch lebe. Die Anhänglichkeitskundgebung für ihn muß auch für das Regime eine böse Überraschung gewesen sein.

Das Nasser-Regime versuchte später, außenpolitischen Ballast abzuwerfen und sich innerpolitisch zu festigen. Die außenpolitische Beruhigung wurde durch ein Zurückweichen an allen Fronten erkauft. In Dschidda kam dann endlich ein saudi-ägyptischer Waffenstillstand für den Jemen zustande. In Casablanca drang vor allem Ägypten auf das Zustandekommen eines »arabischen Solidaritätspaktes«, der unter anderem die Einstellung der gegenseitigen regierungsfeindlichen Propaganda vorsah. Im Inneren wurde die Exekutivgewalt dem Polizeifachmann und überzeugten Nasseranhänger Zakaria Mohieddin anvertraut. Eine Massenverhaftungswelle großen Ausmaßes war die Folge, und plötzlich waren jahrelange Bekannte, die man nie mit der Opposition in Verbindung gebracht hätte, verschwunden.

Der Sechs-Tage-Krieg brachte einen Wendepunkt im ägyptisch-sowjetischen Verhältnis. Das war bis dahin, trotz zunehmender Moskauer Militär-, Wirtschafts- und Finanzhilfe, erstaunlich kühl geblieben. Die Bevölkerung mißtraute instinktiv den Russen. Notgedrungen nahm man die Sowjethilfe an, verbat sich aber jede innenpolitische Einmischung. Die Kommunisten blieben im Untergrund, und man entwickelte einen hausgemachten und sowjetischerseits belächelten »arabischen Sozialismus«. Außer den am Assuanstaudamm und im Heluanstahlwerk Beschäftigten und den rund zweihundert Botschaftsbeamten duldete man keine Sowjet-Experten.

Der Ausgang des Sechs-Tage-Krieges vergrößerte noch das Mißtrauen. Die Russen hatten tatenlos zugesehen, wie die Araber geschlagen wurden. Nun bezahlten sie dafür mit einem unabschätzbar scheinenden Prestigeverlust. Der Rücktritt Abdel Nassers am 9. Juni 1967 und die Nachfolge seines als prowestlich geltenden früheren Polizei- und Geheimdienstministers signalisierten scheinbar – allerdings nur für ein paar Stunden – einen außenpolitischen Kurswechsel Ägyptens.

Der Nildiktator blieb jedoch an der Macht, und der Kreml stärkte ihn sofort durch nahezu unbeschränkte Waffenhilfe.

Diesmal lieferte er nicht mehr nur die veralteten Restbestände seiner Produktion aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern seine modernsten Offensivgeräte. Ägypten erhielt 36-Tonnen-Panzer T-54, Nachtkampfpanzer T-55 mit 100-Millimeter-Kanone, Infraroteinrichtung und Atomschutz, von Kettenfahrzeugen geschleppte Mörser, Panzerabwehrgeschosse und Infanterieradar für das Heer, Allwetterjäger MIG-21 und Suchoi Su-7, Bodenraketen Luna-3 mit 90-Kilometer-Reichweite, Fla-Lenkwaffen M-2 und Raketenwerfer für die Luftwaffe, dazu die mit Styx-Raketen bestückten Raketenboote Komar und Osa für die Marine.

Binnen weniger Monate erreichte das ägyptische Waffenpotential wieder über achtzig Prozent der Vorkriegsstärke. Verknüpft damit waren jedoch zum erstenmal klare Bedingungen. Moskau wollte weder die arabischerseits erhoffte vierte (Revanche-) Schlacht, noch, falls sie doch ausbräche, erneute Waffenverluste im 2,2-Milliarden-Wert. Deshalb bestand es auf der Entsendung von Instrukteuren. Sie sollten eigenmächtige ägyptische Militärabenteuer verhindern, die Kampfkraft der ägyptischen Soldaten stärken und die innerpolitische Entwicklung des Nilstaates so unwiderruflich ins kommunistische Fahrwasser lenken, daß auch ein Sturz des nasseristischen Regimes keinen außenpolitischen Kurswechsel mehr herbeiführen könnte. Geheimdienstzählungen ergaben, Ende 1968, daß genau 3 250 Instrukteure in Ägypten arbeiteten. Sie begnügten sich allerdings nicht mit der Reorganisation der Armee; vielmehr beschäftigten sie sich auch mit den Geheimdiensten.

Diese Staatsschutzorgane waren durch das allmähliche Verschwinden ihrer »braunen« Führungsclique und die auf den verlorenen Juni-Krieg 1967 folgende Säuberung von der Spitze bis zur Basis in heillosem Durcheinander. Nun pfropfte man ihnen auf das englische und das deutsche auch noch ein sowjetisches Organisationsschema.

Der ägyptische Geheimdienst ist in drei Hauptzweige gegliedert. Der Mochabarat (»Nachrichtendienst«) ist der wichtigste und untersteht direkt dem Präsidenten. Er befaßt sich sowohl mit der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Nachrichtensammlung und -auswertung als auch mit Spionageabwehr und Gegenspionage. Seine Macht ist innenpolitisch praktisch unbeschränkt.

Dieser Zweig entdeckte die Lavongruppe wie den Amateurspion Hüttenmeister und das Ehepaar Lotz. Im kritischen zwölften Jahr der nasseristischen Herrschaft, zwischen Juli 1964 und September 1965, verhinderte er fast ein Dutzend Attentate auf den Diktator. Er entlarvte rechtzeitig jede Widerstandsgruppe und durchsetzte alle Geheimorganisationen nasserfeindlicher Auslandsägypter mit Spitzeln. Im arabischen Ausland obliegt ihm neben Propagandaverbreitung und Nachrichtenbeschaffung auch die subversive Vorbereitung politischer Aktionen.

Emblem des ägyptischen Geheimdienstes Mochabarat
Emblem des ägyptischen Geheimdienstes Mochabarat

Mochabarat-Agenten schürten erst die Damaszener Wirren, die der Gründung der »Vereinigten Arabischen Republik« zwischen Ägypten und Syrien vorausgingen (1958); dann überzeugten sie, zusammen mit dem syrischen Geheimdienstchef Abdel Hamid Sarradsch, den Präsidenten Schukri el-Kuwatli so sehr von einer gar nicht existierenden kommunistischen Umsturzgefahr, daß dieser völlig kopflos in Kairo eine sofortige Union anbot.

Mochabarat-Agenten, keineswegs der spätere Feldmarschall und Präsident Abdullah es-Sallal, inszenierten die jemenitische Revolution (1962) und waren schuld an dem jahrelangen Bürgerkrieg; Abdel Wachad, der damalige ägyptische Geschäftsträger in Sana’a, zwang den von ihm bezahlten jemenitischen Mulasim Aual (»Leutnant«) el-Mughni loszuschlagen, indem er die Verschwörung an den Imam Mohammed el-Badr verriet. Dieser konnte sie zwar nicht mehr verhindern, aber er war gewarnt, und ihm gelang deshalb in der Putschnacht die Flucht.

Mochabarat-Agenten hatten so ziemlich bei allen regierungsfeindlichen Aktionen in den arabischen und vielen afrikanischen Ländern die Hände im Spiel. Ende 1960 verlor die gesamte Kairoer Vertretung in der Kongohauptstadt Kinshasa »wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten« ihren diplomatischen Status. Ende 1962 passierte dasselbe mit der Kulturabteilung der ägyptischen Botschaft in Ghana, Anfang 1963 mit derjenigen in Guinea. Manche mit Diplomatenpässen versehene Mochabarat-Agenten sammelten Ausweisungsbefehle wie andere Leute Universitätsdiplome. Ali-Abu el-Fadi Chaschaba beispielsweise wurde unter anderem in Saudi-Arabien (1957) und im Sudan (1958), Anuar Farid es-Said gleichfalls im Sudan (1958) und in Liberia (1961), der Botschafter Ibrahim Abdel Fattach Chalifa wiederum im Sudan (1960) »persona non grata«.

Häufig blieb es nicht bei subversiven Aktionen, sondern die Agenten erhielten auch direkte Mordbefehle.

Mocharabat-Agenten ermordeten den irakischen König Feisal und seinen Ministerpräsidenten Nuri es-Said (1958); Mochabarat-Agenten liquidierten den jordanischen Ministerpräsidenten Hassan Madschali (1960); Mochabarat-Agenten unternahmen zehn fehlgeschlagene Mordanschläge auf Malik (»König») Hussein von Jordanien, sechs gegen Präsident Habib Bourguiba von Tunesien und mindestens einen gegen König Idris I. es-Senussi von Libyen; Mochabarat-Agenten erschossen den anti-nasseristisch gesinnten Beiruter Zeitungsverleger Kamel Murruwe (1966).

Geringere »Erfolge« hatten sie jedoch in Israel und in der übrigen Welt. Bezeichnend dafür war die versuchte Entführung eines israelischen Staatsbürgers, der für Ägypten gearbeitet hatte und sich dann absetzen wollte, als »Diplomatengepäck« in einem Schrankkoffer von Rom nach Kairo. Sie scheiterte an der Wachsamkeit des Mossad.

Dieser ägyptische Geheimdienstzweig – er war lange der Mitarbeiterzahl nach einer der größten und stand nach der amerikanischen CIA, dem sowjetischen KGB, dem britischen SIS und dem französischen SDECE an fünfter Stelle – unterhielt ein engmaschiges Stützpunktnetz auch in Europa. Seine Agenten waren und sind vielfach Botschaftspersonal und genießen diplomatischen Schutz. Sie waren aber auch getarnt als Lehrer oder Angestellte der staatlichen Export-Importgesellschaft El-Nasr (»Der Sieg«) in den arabischen Ländern sowie der Fluggesellschaft United Arab Airlines (UAA) und der amtlichen Middle East News Agency (MEN) in der übrigen Welt. Noch Mitte der Sechzigerjahre unterhielt MEN ein vierköpfiges Bonner Büro!

Eines der drei für Westeuropa zuständige ägyptische Spionagehauptquartier befand sich in Frankfurt, weitere Operationsbasen in Genf und Rom. Die Bundesrepublik ist wegen ihrer unzureichenden gesetzlichen Einschränkungen ein Dorado für fremde Nachrichtendienste.

Der Mochabarat arbeitete hier unter dem Deckmantel der Fluggesellschaft UAA. Sein Führungsoffizier war früher deren Frankfurter Direktor Said, der auch die Kontakte zu den Angehörigen deutscher Rüstungstechniker unterhielt. Sein Nachfolger wurde A. M. J. Attallah, der für die Bundesrepublik und die Beneluxstaaten zuständig war. Er dirigierte einen weitverzweigten Agentenstab aus Personal der ägyptischen Botschaften und, unter Mißachtung diplomatischer Gepflogenheiten, der Delegationen der Arabischen Liga, Angestellten seiner Fluggesellschaft und Korrespondenten der MEN sowie arabischen Studenten und Praktikanten.

Ein anderer namentlich bekannter Mochabarat-Agent, der öfter auf deutschem Boden agitierte, hieß Ibrahim Ezzat. Im Hauptberuf war er Redakteur des Kairoer Wochenblattes »Rose el-Jussuf«, bezog aber nach eigenen Angaben – »ein zweites Gehalt« vom Geheimdienst. Dieser unterhielt rege Verbindungen zu nationalsozialistischen und neonazistischen Kreisen. Dr. Gerhard Frey, der Chef der Münchner »Deutschen National-Zeitung« verfügte, nach Aussagen des Kairoer Informationsdirektors Mounier Ismail, über einen direkten Zugang zu Präsident Abdel Nasser und war häufiger Ehrengast auf offiziellen arabischen Veranstaltungen. Sowohl die Frankfurter UAA-Niederlassung als auch die Bonner Ligadelegation beschäftigen ehemalige Nationalsozialisten.

Ende Februar 1967 trafen sich in einem verschwiegenen Münchner Hotel die arabischen Politiker Mohammed Asmi, Ali el Mufti und Ismail el-Tantaui aus Ägypten, Faek Sammarai und Saddik Schenschal aus dem Irak sowie Mohammed el-Badr und Ali el-Isa aus Jordanien – alles bekannte Faschisten – mit Adolf von Thadden und der NPD-Führungsspitze zu einer dreitägigea Geheimkonferenz.

Bemerkenswerte Erfolge erzielte die (vorwiegend antiisraelische) ägyptische Spionage in den USA.

Anfang 1965 erhielt sie, vermutlich von einem hohen pro-arabischen Beamten des Washingtoner State Departments, zuverlässige Nachrichten über die Lieferung deutscher Panzerfahrzeuge nach Israel. Ein Jahr darauf berichtete das offiziöse Kairoer Blatt »El-Achram« (»Die Pyramiden«) detailliert und genau über diejenige von 200 amerikanischen Panzern Patton M-48 an dieselben Empfänger. Der Mochabarat erfuhr aus der gleichen Quelle über solche von französischen Raketenlieferungen wie amerikanischen Inspektionen des Atomreaktors im israelischen Dimona: Es gab aber auch ebenso peinliche wie folgenschwere Pannen. Eine bis heute nicht aufgeklärte Affäre ist die des Anfang 1967 aus dem Safe des Gemeinsamen Arabischen Oberkommandos des Generals Ali Ali Amer in Kairo verschwundenen streng geheimen Kriegsplanes der arabischen Staaten. Sie wurde bekannt durch die für Uneingeweihte ganz unmotivierte Behauptung des »El-Achram«-Chefredakteurs und Präsidentenintimus Mohammed Hassanein Heikal, der ägyptische Geheimdienst habe herausgefunden, ein solcher Plan sei aus dem Büro des damaligen jordanischen Ministerpräsidenten Wasfi et-Tell verschwunden. Dieser besaß aber keine Kopie davon, und die britische Wochenzeitschrift »Jewish Observer« (»Jüdischer Beobachter«) berichtete darüber prompt aus israelischen Geheimdienstquellen, es habe nur drei Exemplare gegeben. Zwei seien im Sekretariat der Araberliga und eines im Hauptquartier General Amers aufbewahrt, und just dieses sei gestohlen worden. Das Blatt, das sich zeitweilig enger Nachrichtenverbindungen zum israelischen Mossad erfreute, fragte höhnisch: »Gibt es einen ›Cicero‹ im arabischen Hauptquartier?« Falls es ihn gab, wurde er jedenfalls nie gefunden.

Der Plan gelangte nach Israel. Und mit ihm begann eigentlich die arabische Schlappe im Sechs-Tage-Krieg. Er enthielt nämlich genaue Angaben über die defensive und offensive arabische Strategie und Taktik bei einem Konflikt mit Israel, eine Aufzählung der dem gemeinsamen Hauptquartier zur Verfügung stehenden Luft- und Marinestützpunkte, der ihm unterstehenden Streitkräfte und Waffen sowie Anleitungen für Angriffe auf Jerusalem, Haifa und den Zentralflughafen Lod und ein beabsichtigtes ägyptisch-saudisches Umfassungsmanöver gegen das Negevgebiet. Den Arabern blieb von da an, was sie freilich nicht ahnten, nur noch knapp ein halbes Jahr für eine neue Planung. Trotzdem vermittelte die alte der israelischen Armee unersetzliche Hinweise auf die feindlichen Absichten.

Im Juni-Krieg 1967 zeigte sich dann das völlige Versagen des auf subversivem und konspirativem Sektor so erfolgreich operierenden Mochabarat bei seiner eigentlichen nachrichtendienstlichen Aufgabe, der Feindaufklärung.

In Kairo wußte man so gut wie nichts über die gegnerischen Verteidigungs- und Angriffsvorbereitungen und über die mögliche feindliche Strategie und Taktik. Man täuschte sich völlig über die gegenseitigen Kräfteverhältnisse und fiel zudem auf den sowjetischen Nachrichtendienst KGB herein, der wissen wollte, Israel konzentriere unterhalb der syrischen Grenze Offensivtruppen. Diese Falschmeldung zwang Ägypten zur Mobilisierung südlich des Negev (»Der Süden«), und das wiederum war die entscheidende Kriegsvorbereitung.

Nach der Niederlage, an der der Mochabarat zweifellos mitschuldig geworden war, kam es zu einer Massensäuberung an Haupt und Gliedern.

Geheimdienstgeneral Salach Nasr bekam einen schnöden Lohn. Er, der so lange »Staatsfeinde« wie abgefallene Freunde Abdel Nassers gequält und zu Tode gejagt hatte, kam jetzt selbst auf die Anklagebank. Der Prozeß war das Signal zur Reorganisation seiner Behörde nach sowjetischem Muster.

Dem Mochabarat nebengeordnet ist die Harbia’a (»Militärische Abwehr«), vergleichbar mit dem bundesdeutschen MAD. Sie beschränkt sich ausschließlich auf militärische Operationen, also auf die Verhütung von Armeespionage und die Aufklärung feindlicher Streitkräfte. Sie untersteht dem Kriegsministerium. Auch sie versagte im Sechs-Tage-Krieg.

Der Mabahes (»Suchdienst«) untersteht dem Innenministerium und ist die eigentliche Geheimpolizei, ähnlich dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Seine Aufgabe ist die Überwachung innerer Gegner, die Observation von Widerstandsgruppen und die Kontrolle öffentlicher Amtsträger. Sie dient ferner der Korruptionsbekämpfung, übt die Polizeiaufsicht über mißbeliebige Personen aus. Außerdem bewacht sie die Präsidentenfamilie.

Wie jede Diktatur sicherte sich auch die nasseristische die lückenlose Herrschaft über dieses Machtinstrument. Sie betrachtete es weniger als Informationsmittel denn als Machtbasis. Das bewies sie schon kurz nach ihrem Staatsstreich vom 23. Juli 1952. Akid (»Oberst«) Gamal Abdel Nasser, der Kopf der Verschwörer, begnügte sich mit dem verhältnismäßig glanzlosen Innenministerposten. Auf ihm schuf er sich erst einmal, ohne daß seine Konkurrenten etwas davon ahnten oder dagegen unternehmen konnten, seine unantastbare Machtstellung.

Als er dann 1954 den Präsidentenstuhl erklomm, überließ er die Geheimdienstkontrolle seinem engsten Mitkämpfer Hakim Amer. Dieser verlor sie erst Ende 1966, als beider Freundschaft abzukühlen begann. Letzteres war wohl vor allem eine Folge des verlorenen Jemenfeldzuges. Die Verantwortung für dessen Beginn trug freilich Abdel Nasser, für sein unrühmliches Ende nach dessen Ansicht aber Hakim Amer. Die Kontrollfunktion fiel daraufhin an den Kriegsminister Schams Eddin Badran. Dieser konnte jedoch auch nicht mehr den katastrophalen Verlauf des Sechs-Tage-Feldzuges verhindern, und er plante kurz danach sogar den gewaltsamen Sturz des Präsidenten. Als er scheiterte, floh er nach Libyen. Vizepräsident Hussein esch-Schafei erreichte jedoch seine Auslieferung, und zwar im Tausch gegen eine lückenlose Liste ägyptischer Agenten in dem Nachbarland. Das Regime opferte also, um einen einzigen Flüchtling wieder einzufangen, eines der prosperierendsten Auslandsnetze seines Geheimdienstes.

Schon Ende 1966 schuf sich der Präsident wieder eine direkte Überwachungsinstanz für die Geheimdienste. Er berief Mokkadem (»Oberstleutnant«) Sami Scharraf zu deren Chefkoordinator. Dessen Stellvertreter wurde einer der bekanntesten und berüchtigsten Vertreter der ägyptischen Auslandsspionage. Dieser war damals Botschafter in Beirut und blieb es danach. Einer der beiden ägyptischen Geheimdienstchefs residierte also, und das war ein absolutes Novum in diesem Metier, im Ausland.

Horst J. Andel