Wenn ein Land als Paradebeispiel fĂŒr die verabscheuungswĂŒrdige Doppelmoral des Wertewestens dienen muss, dann der Iran. Nirgends lĂ€sst sich die Verlogenheit der Briten und US-Amerikaner sowie deren Gefolgsstaaten besser beobachten als dort. Das Ergebnis ist ein eisiger Frieden, der jederzeit als auslösender Funke fĂŒr einen Dritten Weltkrieg dienlich sein kann.
Die LadenflĂ€che der glamourösen Anschrift 73, Avenue des Champs ElysĂ©es beherbergt heute ein austauschbares GeschĂ€ft fĂŒr Liebhaber ĂŒberteuerter Armbanduhren, lĂ€sst aber manch einen noch ins SchwĂ€rmen geraten, der sich an die Siebziger erinnert. Hier wurden allerlei persische Köstlichkeiten, handgearbeitete dekorative Objekte und kleine MöbelstĂŒcke sowie Kleidung aus kostbaren Stoffen feilgeboten, die eine selbst mit Haute Couture verwöhnte Damenwelt in VerzĂŒckung versetzen konnte. Der Verfasser dieser Zeilen hat insbesondere die vorzĂŒglichen gesalzenen Pistazien mit Safran- und Zitronennote oder die mundgeblasenen königsblauen GlĂ€ser, die ihn seine gesamte Kindheit ĂŒber begleiteten, bis heute nicht vergessen.
Zur Einweihung des âMaison dâIranâ am 30. Mai 1969 traten unter anderem Farah Diba, Salvador Dali und die berĂŒchtigte Schwester des Schahs Ashraf Pahlavi an, deren dritter Gatte Mehdi Bushehri neben zahlreichen weiteren TĂ€tigkeiten (unter anderem Leiter des FIDCI-Filminstituts) als Direktor des Hauses fungierte. Oftmals wurden dort opulente Ausstellungen des iranischen Kunsthandwerks oder Retrospektiven des jungen iranischen Films unter Teilnahme lĂ€ngst vergessener Prominenz eröffnet, der Jetset gab sich die Klinke in die Hand. Selbst die Bank Melli Iran (BMI) und Air Iran hatten zunĂ€chst an dieser Adresse ein BĂŒro, bevor sie dann eigene Niederlassungen grĂŒndeten. Die kulturellen TĂ€tigkeiten wurden spĂ€ter durch die Eröffnung der âGalerie Cyrusâ (65-71, Avenue des Champs ElysĂ©es) maĂgeblich erweitert, in der Werke zeitgenössischer iranischer KĂŒnstler wie Sadegh Barirani, Kamran Diba oder Kambiz Ghodsi ausgestellt wurden.
Das ist lange her. Aus der Stadt an der Seine wurde ein touristisches Abziehbild ihrer selbst, aus den Champs ElysĂ©es ein langgezogenes Kaufhaus. Schon 1980 zeugte an besagter Stelle nichts mehr vom Glanz Persiens und das Maison dâIran ward nicht mehr. Die Kacheln des Eingangsbereichs waren zerbrochen und in einem Fenster im zweiten Stock erteilte ein vergilbtes Chomeini-PortrĂ€t darĂŒber Auskunft, dass sich der Iran vom Westen abgewandt hatte und mit dem Untergang des Hauses Pahlavi andere Saiten aufgezogen worden waren. Der neue Iran wollte nicht mehr verfĂŒhren und keine MĂ€nnchen mehr vor fremden Völkern machen.
Im Allgemeinen dient der Iran den USA samt Gefolgschaft seither als abschreckendes Beispiel, gegen die der abgenutzte westliche Hegemon meint, irgendwie vorgehen zu mĂŒssen. Dahinter steckt aber nur, dass er die militĂ€rische Vormachtstellung seines Vorpostens Israel in der Region als gefĂ€hrdet erachtet. Einen Vorposten wohlgemerkt, ĂŒber den er gerade selbst die Kontrolle verliert. Die ganze Situation basiert auf dem Rollentausch von Gut und Böse. Nicht der Iran hat seine demokratisch legitimierte Regierung gestĂŒrzt und durch eine Theokratie ersetzt, sondern GroĂbritannien und die USA waren es, die 1953 aus Raffgier die gewĂ€hlte Mossadegh-Regierung durch einen willigen FĂŒhrer samt Terrorsystem ersetzten, der die Iraner fĂŒr 26 Jahre mithilfe seiner SAVAK-Schergen in Schach hielt. Der Iran ist das, was er heute ist, also nicht, weil er dies aus freien StĂŒcken und in böser Absicht tat, sondern nur ein weiteres Paradebeispiel gescheiterter westlicher Einmischung, aus die er dann in all seiner radikalen Pracht gelĂ€utert hervorging. Die diffusen Werte, von denen sich unsere HemisphĂ€re heute geleitet sieht, sind im Iran von heute folglich nicht mehr gefragt.

Die Begriffe Wertewesten und Kolonialismus sind dabei beliebig austauschbar. Es spielt keine Rolle, ob die Verstaatlichung der britisch-kolonialen Erdölförderung durch den in aller Freiheit gewĂ€hlten PrĂ€sidenten Mohammad Mossadegh vor ĂŒber 70 Jahren mit Geld und Gewalt aus einer kolonialistischen oder aus einer wertewestlichen Perspektive heraus geschah. Vertreten wurde eine Position der Heuchelei, bei der die falschen KrĂ€fte zur Erreichung vorgeblicher Ziele so penetrant unterstĂŒtzt wurden, dass sich daraus 1979 eine Situation ergab, die in etwa das widerspiegelt, was uns unter verĂ€nderten Kriterien auch in anderen US-Krisengebieten wie der Ukraine erwarten dĂŒrfte: das Entgleiten einer unterschĂ€tzten Situation ins Chaos oder zumindest Gegenteil der Erwartung.

Wer sich vor Augen fĂŒhrt, dass der Erste Golfkrieg des Irak gegen den Iran vom 22. September 1980 bis zum 20. August 1988 andauerte, etwa eine Million Opfer forderte, zu SchĂ€den von rund einer Billion US-Dollar fĂŒhrte und die dadurch bedingte westliche AufrĂŒstung des Irak unter Saddam Hussain Auslöser fĂŒr viele weitere Konflikte wie der irakischen Invasion Kuwaits wurde, der sollte daran denken, wenn er mit der Ukraine unter Wolodimir Selenski dasselbe in Europa zu tun gedenkt. Das zerschlagene Porzellan wird ergebnisunabhĂ€ngig Generationen mit einem Fluch belegen, wĂ€hrend die Baerbocks, Habecks, Hofreiters, Kiesewetters und Strack-Zimmermanns allesamt lĂ€ngst verblichen sind, so wie es zuvor mit den Neocons der Generation Cheney, Reagan und Rumsfeld der Fall war. Sie wird man weder fĂŒr das endlose Leid im fast achtjĂ€hrigen Krieg und auch nichts von dem, was danach geschah, mehr anklagen können.
Der Iran der frĂŒhen FĂŒnfziger war eine Demokratie aus eigener Kraft und könnte es immer noch sein. Er wĂ€re vorbildlicher Leuchtturm fĂŒr sĂ€mtliche Nachbarstaaten gewesen, wurde jedoch mit tatkrĂ€ftiger UnterstĂŒtzung der ĂŒblichen VerdĂ€chtigen in eine Operettenmonarchie umgeformt. Die kurze BlĂŒtezeit der Mossadegh-Regierung wurde westlichem Ressourcenhunger geopfert und eine in der Region einzigartige Regierung durch einen Polizeistaat samt Traumprinz ersetzt, der vorgeblich zwar mit dem Wertewesten perfekt kompatibel war, sich tatsĂ€chlich aber als unfĂ€hig hinsichtlich der Integration der KrĂ€fte seines Territoriums erwies, was nicht zuletzt die Kennedy-gestĂŒtzte und daher vom Westen ĂŒberschĂ€tzte âWeiĂe Revolutionâ vom 26. Januar 1963 manifestierte, die zu den Unruhen ab dem 5. Juni 1963 fĂŒhrte, einem VorlĂ€ufer der Revolution von 1979 und als deutliche Warnung hĂ€tte verstanden werden mĂŒssen. Der Traumprinz namens Mohammad Reza Pahlavi war in allen Bereichen ĂŒberfordert und eher Kandidat Israels und der USA denn legitimer Vertreter des iranischen Volkes.

Die persische Operette
Er war ein waschechter Diktator und Geld spielte keine Rolle in seinem Leben. Seine PalĂ€ste waren voller Prunk und seine Gier nach Anerkennung kannte keine Grenzen. In diesen Zusammenhang passt eine Anekdote seines ehemaligen Botschafters in BrĂŒssel: ein Mitarbeiter des iranischen AuĂenministeriums hatte groĂe Angst vor dem theatralischen Pomp des aufgeblasenen Herrschers und fragte seinen Kollegen, was um alles in der Welt er genau tun mĂŒsse, um dem komplizierten Protokoll gerecht zu werden? Der spĂ€tere Botschafter entgegnete, dass alles im Prinzip ganz einfach sei, denn er mĂŒsse nur gesenkten Kopfes einen langen LĂ€ufer entlang gehen und sich genau dann verbeugen, wenn das Symbol mit dem Löwen im Teppich zu sehen wĂ€re. Am nĂ€chsten Tag kam der Mitarbeiter völlig aufgelöst zurĂŒck und erklĂ€rte, dass das Ganze als Desaster geendet hĂ€tte, da der Bodenbelag ausgetauscht worden war und nur noch aus Abbildungen von Löwen bestand â er habe sich somit derart oft verbeugt, dass der Despot ihn irgendwann bat, endlich damit aufzuhören âŠ
Die von Pahlavi als âRevolution von Schah und Volkâ gepriesene Landreform zur Abschaffung der GroĂgrundbesitzer war fĂŒr die breite Masse Etikettenschwindel. Kategorien wohlhabender Bauern, kleiner Landbesitzer und Dorfarbeiter wurden geschaffen und ehemalige Dorfvorsteher, Gerichtsvollzieher sowie Grundbesitzer wurden der Gruppe wohlhabender Bauern zugeordnet, der auch die Familie Pahlavi selbst angehörte. Einige GroĂgrundbesitzer wie Amir Asadollah Alam, seines Zeichens Premierminister, wurden zwar zum Verkauf ihrer LĂ€ndereien an den Staat verpflichtet, das so erworbene Land in kleinere Parzellen unterteilt und dann weiterverkauft. Jedoch nur die HĂ€lfte der Landbevölkerung konnte vom Kauf solcher Parzellen profitieren, der Rest wurde in staatliche Kooperativen zurĂŒckgefĂŒhrt. Am Leben der kleinen Dorfarbeiter Ă€nderte sich nichts. Auf deren Armut und Ohnmacht fuĂte das spĂ€tere Mullahregime, dessen schĂ€rfster Vertreter Ruhollah Musawi Chomeini vom Pahlavi-Polizeistaat nach monatelangem Hausarrest am 4. November 1964 ĂŒber die TĂŒrkei ins französische Exil verbannt wurde. Er wĂŒrde diese VorgĂ€nge nie vergessen.
Schah Mohammad Reza Pahlavi war wichtiger, vom 12. bis zum 16. Oktober 1971 mit beispiellosem Prunk und unter Anwesenheit seiner westlichen Kollegen wie dem belgischen, dĂ€nischen, griechischen und norwegischen König, dem luxemburgischen GroĂherzog sowie Gestalten wie Nicolae CeauÈescu, Yahya Khan, Imelda Marcos oder Suharto in der WĂŒste die iranische Monarchie zu feiern, als rechtzeitig die notwendigen Ventile zur Befriedung seiner ausgebeuteten Untertanen zu öffnen. Noch heute zeugen in Persepolis die Ăberreste der 50 Prunkzelte, vom Pariser Kitschtempel Maison Jansen entworfen, von der unaufhaltsamen Dekadenz der Operettenmonarchie. SpĂ€testens mit dieser schamlos vorgetragenen Burleske hatte der Schah sein eigenes Todesurteil gefĂ€llt.

In Dan Shadurs Dokumentarfilm Before The Revolution (2013) sprechen sich die israelischen Profiteure des Shah-Gebildes freimutig ĂŒber ihre Zeit im Iran aus, ganz so, als wĂ€ren sie Belgier im Kongo Leopolds II â Zone Of Interest von Jonathan Glazer kommt in den Sinn. Die Kibbuz-gewohnten Zionisten hatten plötzlich allesamt ein HausmĂ€dchen, das kochte, saubermachte und die WĂ€sche per Hand wusch. Die vom Westen glorifizierten einzigen Demokraten des Nahen Ostens Ă€uĂern sich heute unbefangen ĂŒber straffe Machtstrukturen, die manchen Bevölkerungen ganz gut tĂ€ten und schwĂ€rmen von all den VorzĂŒgen, die zu Zeiten des Schahs fĂŒr sie gegolten hĂ€tten und auf die sie nun leider keinen Zugriff mehr hĂ€tten.
Wir haben nicht einmal von Verbrechen gehört, weil das Regime stark war. Wir haben von keinem Verbrechen gehört. Ich dachte, das ist ein ideales Regime. Ich glaubte, dass ein Herrscher, auch wenn er ein Diktator ist, aber ein liberaler Diktator, möglicherweise besser fĂŒr das Volk sein könnte als ein demokratisches Regime.
Der Buchhalter Ori Bartal in Before The Revolution (2013)
Der blutrĂŒnstige Geheimdienst SAVAK sorgte zumindest bei einzelnen jĂŒdischen Gastarbeitern fĂŒr Unbehagen, aber das Thema wurde nicht weiter angesprochen, zumal der Mossad an dessen Aufbau maĂgeblich beteiligt war. Im groĂen Ganzen ĂŒberwogen die VorzĂŒge. Nur auĂerhalb von Teheran habe es gewisse Risiken fĂŒr Israelis gegeben, aber dann gab man sich halt als Deutsche oder (bevorzugt) Franzosen aus. Als die Stimmung im persischen Schlaraffenland schlieĂlich umschlug, konnten einige von ihnen das Land in letzter Minute nur deswegen unbeschadet verlassen, weil sie vorgaben, Vertreter der PLO zu sein âŠ
Was folgte, war grausam und blutig. Zwar ging die Revolution diesmal von der Bevölkerung aus und war kein Ergebnis auslĂ€ndischer Stimulation. Die Konsequenzen waren aber auch fĂŒr viele der Demonstranten ĂŒberraschend. Kaum hatte Mohammad Reza Pahlavi am 16. Januar 1979 fluchtartig das Land verlassen, stand Frankreich schon mit dem nĂ€chsten Marionettenensemble Gewehr bei FuĂ und schickte am 1. Februar 1979 den Mullah Chomeini samt einer Gruppe weltlicher Exilpolitiker in das Land, allen voran der ehemalige Mossadegh-AnhĂ€nger Abolhassan Banisadr. Mit im Flugzeug saĂ eine ganze Heerschar von Journalisten, darunter auch ein vor Selbstbewusstsein strotzender Peter Scholl-Latour. Die zweitrangige Kolonialmacht Frankreich sah mit der Beherbergung Ruhollah Chomeinis im entstandenen Machtvakuum ihre Chance gekommen, sich fortan der Ressourcen des Landes zu bedienen.

Mohammad Reza Pahlavi verstarb am 27. Juli des Folgejahres an Morbus Waldenström im Ă€gyptischen Exil und ist dort auch beigesetzt. Seine Operettenmonarchie wurde am 1. April 1979 per Volksabstimmung entsorgt und wird trotz aller Hoffnungen der im US-amerikanischen Exil verbliebenen Familie nicht zurĂŒckkehren. Die Macht des ĂŒberschĂ€tzten und im eigenen Land als politisch inkompetent erachteten Banisadr war von kurzer Dauer und wĂ€hrte bis zum 21. Juni 1981. Um nicht am Galgen zu enden, musste Banisadr als Frau verkleidet nach Frankreich zurĂŒckflĂŒchten, von wo aus er noch zwei weitere Jahre eine Exilregierung leitete.
Ajatollah Ruhollah Musawi Chomeini
Chomeini war ein belesener Mann, Autor zahlreicher BĂŒcher und Schriften, der sich in seinen Studien nicht nur mit Religion, sondern auch mit Philosophie und Poesie befasste. Sein philosophischer Ansatz war offenkundig nicht, alles zu hinterfragen, denn der von ihm spĂ€ter durchgesetzte theokratische Staat lieĂ Zweiflern keinen Spielraum. Seine Vision war von Anfang an eine Diktatur des Glaubens und keine dekorative Pfaffenrepublik. Alles war vorhersehbar, hĂ€tten westliche Geheimdienste und Journalisten ihre Hausaufgaben gemacht. Alles konnte in seinem Werk âDie islamische Regierungâ (Hukumat-i Islami) nachgeschlagen werden, basierend auf VortrĂ€gen Ruhollah Chomeinis zwischen dem 21. Januar und 8. Februar 1970 in Najaf. Die Textsammlung wurde jedoch erst Jahre spĂ€ter in andere Sprachen ĂŒbersetzt, im Herbst 1978 â aus unerfindlichen GrĂŒnden auf einer arabischen Version fuĂend â auch vom Ăbersetzungsdienst der CIA (Joint Publications and Research Service) ins Englische und anschlieĂend als wenig hilfreiches Machwerk mit dem reiĂerischen Titel âAyatollah Khomeinisâ Mein Kampfâ (ISBN 10: 053223166X) 1979 bei Manor Books veröffentlicht.

Der GroĂajatollah schwĂ€rmt darin von der âislamischen Rechtswissenschaftâ Faqih und stellt die vom Judentum wie imperialistischen Westen bestrittene Alltagstauglichkeit und revolutionĂ€re Seite des Koran in den Vordergrund. Historisch sieht er den Islam als einzig taugliches Bollwerk gegen den Westen seit den KreuzzĂŒgen und verteidigt ihn als idealen sozialen Leitfaden fĂŒr die Menschheit, das auf militanten Individuen aufbauen mĂŒsse, die unablĂ€ssig gegen imperialistische Feinde zu kĂ€mpfen hĂ€tten. WĂ€hrend der Westen sich noch im âZustand der Barbareiâ befand, das heutige Amerika noch von âhalbwilden RothĂ€utenâ besiedelt war, die Reiche Iran und Byzanz unter der Herrschaft der Tyrannei, des Klassenprivilegs und der Diskriminierung standen, habe der AllmĂ€chtige durch seinen âedelsten Gesandtenâ der Menschheit Gesetze und Praktiken fĂŒr alle menschlichen Angelegenheiten, von der Bildung des Embryos bis hin zur letzten RuhestĂ€tte, geschickt.
Die Islamische Republik wird wie die französische Republik sein. Menschen gehen zur Wahl, bestimmen ihre Vertreter und es gibt eine Verfassung.
Ruhollah Chomeini 1979 auf die Frage eines Reporters
Im Gegensatz zum universellen und damit auch politischen Islam Chomeinis, steht der politische Quietismus, im Iran vertreten durch die GroĂajatollahs Sayyid Hossein Tabatabaâi Borudscherdi, Mohammad Hossein Naini sowie Mohammad Kazem Schariatmadari. Sie allesamt lehnen eine aktive Beteiligung der Geistlichkeit an der Politik ab. Borudscherdi verbot seinem SchĂŒler Chomeini denn auch, sich mit weltlichen Angelegenheiten zu beschĂ€ftigen, woraufhin dieser eine politische und soziale Abhandlung, in der er zur Teilnahme an politischen Angelegenheiten aufrief, erst nach Borudscherdis Tod am 30. MĂ€rz 1961 veröffentlichte.
Wir, die Geistlichkeit, sollen einen islamischen Staat grĂŒnden? ⊠Wir wĂ€ren hundertmal gröĂere Verbrecher als die, die jetzt an der Macht sind.
Sayyid Hossein Tabatabaâi Borudscherdi
Im Rahmen der uneingeschrĂ€nkten Macht der Mullahs erfolgten keine Reformen, die annĂ€hernd auf eine RĂŒckkehr zum von Mossadegh 1951 eingeschlagenen Weg schlieĂen lieĂen â der politische Quietismus hatte ausgedient. Seit dem Coup 1953 sind ĂŒber siebzig Jahre vergangen, 26 Jahre Pahlavi & SAVAK sowie 46 Jahre Theokratie. Auf die Jahrzehnte des repressiven Schahsystems, in dem Intellektuelle, Kleriker, Schriftsteller und Studenten unterdrĂŒckt wurden, folgten die Jahrzehnte einer Glaubensherrschaft, in denen Frauen, Intellektuelle, Schriftsteller und Studenten die Opfer waren. Zwischen dem 17. August 1953 und dem 16. Januar 1979 wurde bewusst der pluralistische Reichtum des Landes zerstört, die klĂ€glichen Reste unterlagen schlieĂlich den Revolutionswirren und gipfelten im Verschwinden der Nationalen Front noch 1979. Vier Jahre spĂ€ter ĂŒbergab die CIA den Chomeini-Gefolgsleuten eine Namensliste mit KGB-Agenten und deren Helfershelfern, was zur sofortigen Hinrichtung von rund 200 Menschen fĂŒhrte. Die kommunistische Tudeh-Partei wurde am 4. Mai 1983 verboten und befindet sich seither im Exil. Nach China ist der Iran weltweit fĂŒhrend in Sachen Todesstrafe.
Auf Chomeini folgt Chamenei
Als das Machtzepter nach dem Tode Chomeinis am 4. Juni 1989 ĂŒberraschend an einen Emporkömmling im Range eines Hodschatoleslam ĂŒbergeben wurde, mögen AuĂenstehende VerĂ€nderungen erhofft haben, wurden von der Wirklichkeit jedoch enttĂ€uscht. Der machtpolitisch gefĂ€hrliche Ali Chamenei wurde im Hauruckverfahren zum Ajatollah aufgewertet. Er strebte 1994 zwar erfolglos den Titel des GroĂajatollahs an, wusste sich jedoch gegen sĂ€mtliche geistlichen Kontrahenten wie Mousavi Ardebili, Ahmad Dschannati, Mohammad Reza Mahdavi-Kani, Ali Meschkini, Hossein Ali Montazeri, Mahmud Haschemi Schahrudi oder Mesbah Yazdi durchzusetzen.
Wahlen finden im Iran der Mullahs nur innerhalb des theokratischen Systems statt, weshalb gewĂ€hlte PrĂ€sidenten wie Mohammad ChÄtami oder Hassan Rouhani allenfalls kosmetische VerĂ€nderungen wie etwa die Lockerung der Kopfbedeckungspflicht fĂŒr Frauen, nichts aber an der postrevolutionĂ€ren dogmatischen Struktur des Landes, vornehmen können. Es wĂ€re töricht, einen wahlbedingten Regierungswechsel im Iran zu erwarten, ebenso töricht, wie sich in den USA einen Urnengang hin zum Kommunismus oder auch nur eine gleichberechtigte dritte Partei auszumalen. Dass die derzeit 60 Millionen wahlberechtigten Iraner aus 15 Provinzen kĂŒnftig mehr Optionen als die vom WĂ€chterrat genehmigten zur VerfĂŒgung haben werden, kann ausgeschlossen werden. Eine Wahlbeteiligung von lediglich 41 Prozent im Jahr 2024 (2017: 48,8%) lĂ€sst aber auf eine fortwĂ€hrende Abnutzung der AttraktivitĂ€t des Mullahstaates schlieĂen und stellt trotz zahlreicher Aufrufe zur Stimmabgabe ein historisches Tief dar. Selbst gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, der Iran wĂŒrde mangels Desinteresse am religionsverfassungsrechtlichen Modells zum Laizismus ĂŒbergehen, kann kaum als plausibel erachtet werden, die Mullahs wĂŒrden sich schlagartig aus allen Belangen des Staates zurĂŒckziehen. Wer sich die ganze Gesellschaft unterwerfen kann, wird dies so schnell nicht aufgeben. So oder so hat der Iran fĂŒr jede progressive Ănderung einen langen Weg vor sich, soll diese unblutig verlaufen.
AchmadinedschÄds Weihnachtsansprache
Am 25. Dezember 2008 strahlte der britische Sender Channel 4 seine alternative Weihnachtsansprache aus, in der keineswegs die ĂŒblichen patriotischen oder gar regierungstragenden Redner zu Wort kommen, sondern eher Exoten unterschiedlicher Couleur: vom Society-Koch Jamie Oliver ĂŒber den US-AussĂ€tzigen Edward Snowden bis hin zu Abdullah Kurdi, dem Vater eines ertrunkenen zweijĂ€hrigen FlĂŒchtlings aus Syrien. Diesmal war jedoch ein noch ungewöhnlicher Gastredner an der Reihe als sonst, nĂ€mlich Mahmud AchmadineschÄd, der damals noch amtierende sechste PrĂ€sident der Islamischen Republik Iran. Und anstelle die Chance einer solch einzigartigen Platform zur Vermittlung einer bahnbrechenden Botschaft zu nutzen, war von ihm kaum mehr als religiöses Geschwafel zu vernehmen, das irgendwie auch politisch interpretiert werden könnte, hĂ€tte nur irgendwer Interesse daran gehabt. Damit erhielt der geneigte Zuschauer denn auch die Zusammenfassung des ganzen iranischen Systems, das aus eigener Anstrengung kaum mehr in der Lage dazu ist, sich aus seiner selbst gewĂ€hlten Isolation zu emanzipieren.

Der Iran steckt in einer konservativ-religiösen Endlosschleife fest, die als Warnung an Staaten verstanden werden sollte, die offen gewillt sind, einen Ă€hnlichen Weg einzuschlagen. Reflexartig folgt auf jede weltliche Lockerung eines PrĂ€sidenten die RĂŒckkehr zur vorigen Situation durch einen der Nachfolger, woran zuletzt auch die zahlreichen Proteste um den Tod von Mahsa âJinaâ Amini nichts Ă€ndern konnten. Das MachtgefĂŒge mag zwar unter Druck geringer Teile der Bevölkerung stehen, weiĂ sich aber wie gehabt mit einer spĂ€testens seit dem Schah bekannten BrutalitĂ€t zu verteidigen. So sind GerĂŒchte um GiftanschlĂ€ge auf MĂ€dchenschulen fĂŒr das Lostreten einer gröĂeren Protestwelle ungeeignet. Da der Staat jedwede unabhĂ€ngige Untersuchung schon aus Furcht vor Einmischung durch das Ausland unterbindet, kann er derartige VorfĂ€lle leicht als Hysterie abtun, was zudem wahrscheinlicher Auslöser war.
Ein von auĂen angestoĂener Machtwechsel dĂŒrfte ebenfalls scheitern, denn das vorherrschende System wird unverĂ€ndert stark von vielen KrĂ€ften unterstĂŒtzt, seien es die KĂ€mpfer der Armee der WĂ€chter der Islamischen Revolution oder zahlreiche weitere nationale und internationale Milizen. Die Erfahrung lehrt bislang, dass jeder extern provozierte Einfluss die schiitische Nomenklatura nur festigt, so auch der ĂŒber fast acht Jahre wĂ€hrende Erste Golfkrieg. Der Wille zur RĂŒckkehr auf den einst von Mohammad Mossadegh eingeschlagenen Weg mĂŒsste von innen heraus geschehen, was bei fortwĂ€hrendem Ă€uĂeren Druck aber ausgeschlossen werden kann. Wer sich nun auf das syrische Beispiel beruft, verkennt die Tatsache, dass das Syrien der Zukunft eine sunnitische Version dessen werden könnte, was der schiitische Iran bereits hinter sich hat. Dabei spielen religiöse Details eine weit geringere Rolle als deren jeweilige machtpolitische Interpretation.
Wer sich im Syrien der Neunziger wunderte, dass urplötzlich sĂ€mtliche alten Taxis US-amerikanischer Bauart der Vierziger und FĂŒnfziger von den StraĂen verschwunden und durch Fahrzeuge undefinierbarer Herkunft ersetzt worden waren, war Zeuge des iranischen Plans, zur fĂŒhrenden FertigungsstĂ€tte von IndustriegĂŒtern der Region werden zu wollen. Nur fĂŒr kurze Zeit konnten die VerbĂŒndeten des Gottestaates von dessen beispielloser Industrialisierung profitieren. Ironischerweise war dies ein von den Mullahs wieder aufgenommenes Projekt John F. Kennedys aus dem Jahre 1962, an welchem Reza Pahlavi jedoch scheiterte und dem nun ausgerechnet der ausufernde Sanktionsdruck einer sich aufbĂ€umenden USA ein jĂ€hes Ende setzte.
WĂ€hrend im Iran infolgedessen die Lebenshaltungskosten der Bevölkerung stiegen, setzte die Regierung auf massive militĂ€rische AufrĂŒstung, denn die betenden Herrscher sind sich darĂŒber im Klaren, dass sie sich im Fadenkreuz wertewestlicher Armeen befinden, die nur auf einen gĂŒnstigen Augenblick warten, sie durch gehorsame Marionetten zu ersetzen. SelbstverstĂ€ndlich tickt die Uhr nicht erst seit dem Zusammenbruch der Assad-Diktatur in Syrien, der Iran strebt schon seit dem Schah den Besitz von Atomwaffen an, um mit Israel auf Augenhöhe zu sein. SpĂ€testens dann wĂŒrde aus dem Mullahregime ein unabĂ€nderlicher Betonschiismus.

Es ist befremdlich, dass die Symbolik des Kreuzrittertums vom US-Hegemon noch bis vor kurzem gepflegt wurde und damit den iranischen Mullahs zur idealen Vorlage eines Feindbilds dienlich war. Zwischen 1940 bis zu ihrer AuĂerdienststellung im Jahre 2007 war die 523. Einheit der US-Armee, das so genannte Kreuzritter-Jagdgeschwader (Fighter Squadron Crusaders), an zahlreichen Kampfhandlungen der USA beteiligt, unter anderem im Zweiten Weltkrieg, dem Koreakrieg und Vietnamkrieg, der Operation WĂŒstensturm (Desert Storm) sowie dem so genannten Krieg gegen den Terrorismus.
Der Blick des Wertewestens auf den heutigen Iran ist nicht minder ideologisch verblendet. Eine Theokratie kann schon argumentativ kaum ĂŒberzeugen â freilich auch eine solche nicht, die unter dem DeckmĂ€ntelchen des Neozionismus Israels oder des Scheinisolationismus der USA heranwĂ€chst. UnverĂ€ndert werden die Opfer Persiens ĂŒber- wie die Opfer der zahlreichen Kriege der USA oder des alten und neuen Zionismus unterbetont, weshalb als einer der gesicherten Werte des Westens auch blanker Rassismus vorausgesetzt werden muss.
Zwar findet sich der Iran zusammen mit dem politisch gescheiterten Libanon, dem von Robert Mugabe in 37 Jahren kaputt regierten Simbabwe, dem von Naturkatastrophen heimgesuchten Bangladesch und der bĂŒrgerkriegsgebeutelten Zentralafrikanischen Republik (ehemals Französisch-Ăquatorialafrika) lediglich auf Platz 149 von 180 im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International â und mit nur noch 24 von 100 erreichbaren Punkten im Jahr 2023 ist die Tendenz eindeutig abnehmend, doch werden den Mullahs im Gegensatz zu Israel (Rang 33/180 sowie 62/100 Punkten) weder VerstöĂe gegen internationales Recht noch Genozid vorgehalten.
David Andel