Leopold von Mildenstein

Blut und Boden

„From the River to the Sea“ titelt die Tageszeitung junge Welt am 4. April berechtigt über die Verbrechen des mörderischen Netanjahu-Regimes. Die heutige Besatzungsmacht nutzt nicht erst seit der Staatsgründung 1948 jede Gelegenheit, ihr Territorium zu Lasten der Araber immer weiter zu vergrößern. Schon deren zionistische Vorhut wusste Besucher aus Deutschland zu beeindrucken, um letztlich das zu tun, was radikale Eiferer wie Bezalel Smotrich heute erneut vorhaben.

Im April 1933 reisten Leopold von Mildenstein (Titelbild) und Kurt Tuchler samt Ehefrauen nach Palästina. Der Berliner Zionist Tuchler wollte den nationalsozialistischen Journalisten und späteren SS-Untersturmführer Mildenstein davon überzeugen, dass die „Lösung der Judenfrage“ in der Auswanderung der Juden nach Palästina zu suchen wäre, so wie Netanjahu und seine finsteren Gesellen dies mit der „freiwilligen“ Ausreise terrorisierter Palästinenser vor den Augen der Welt und mit tatkräftiger Unterstützung Deutschlands es scheinbar immer noch planen, Bevölkerungen nach Lust und Laune dorthin zu verschieben, wo sie die Werte des Westens am wenigsten stören.

Leopold von Mildenstein mit Frau
Wahrte schon zu Zeiten des NS-Regimes die deutsche Staatsräson: Leopold von Mildenstein mit Frau

Das Buch Rings um das brennende Land am Jordan (1938) beschreibt die Eindrücke Mildensteins aus dieser Zeit und ist insofern interessant, als dass es den deutschen Standpunkt bis in unsere Tage zu widerspiegeln scheint: was die Juden in Palästina aufgebaut haben, ist beeindruckend und vor allem europäisch, wohingegen zurückgebliebene Araber ja auch sonst wo leben können und im wesentlichen das Land haben verkommen lassen. Nachfolgend einige kommentierte Ausschnitte aus dem 1938 erschienenen Buch über die Reise.

Ihre geschäftliche Aktivität macht sie aber schon jetzt zu den fast alleinigen Herren der Stadt und drängt alle andern Firmen und Kaufleute vollkommen zurück. Denn Juden geben nur an Juden Aufträge, beschäftigen auch meist nur Juden. Noch kann sich die ansässige deutsche Industrie- und Geschäftswelt durch den starken Rückhalt der deutschen Kolonien im Lande und durch den Boykott der Araber gegen jüdische Unternehmungen halten, aber ihr Kampf ist nicht leicht. Das jüdische Haifa wächst von Tag zu Tag. Die großen und modernen Zementwerke arbeiten Tag und Nacht und können bei weitem nicht den Bedarf decken.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 37

Mildensteins damalige Eifersucht auf den Zusammenhalt der Juden ist ebenso bemerkenswert wie Netanjahus fortwährend aufgeplusterte Empörung über den palästinensischen Widerstand gegen seine Besatzungsmacht mit unbegrenztem Vorrat an modernsten Waffen. Während die so genannte „Reichskristallnacht“ im Hitler-Regime noch bevorstand, vergaben nach Haifa ausgewanderte Juden bevorzugt an andere Juden Aufträge und ließen die Deutschen außen vor. Später wären auch Deutsche dazu angehalten, nicht mehr bei Juden zu kaufen, was wiederum an den Mischmasch aus US-Exzeptionalismus und -Isolationismus des Donald Trump samt MAGA (Make America Great Again = Amerika wieder groß machen) erinnert. Die Menschheit hat verlernt, aus Geschichte zu lernen.

Bronzemedaille (1934)
Böses Omen? Abonnenten der Berliner Zeitung Der Angriff erhielten zur Veröffentlichung der Serie Ein Nazi fährt nach Palästina eine Medaille mit Davidstern und Hakenkreuz.

Vor dreißig Jahren wollten hier die Juden aus Jaffa sich eine Vorstadt bauen. Heute hat Tel Aviv weit über 100 000 Einwohner und hat Jaffa längst überflügelt. Von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat schnellte die Einwohnerzahl empor, keine Statistik konnte schnell genug mitkommen, seit mit der Einwanderungswelle nach 1935 Monat für Monat tausende von Juden hier an Land gingen und für’s erste wenigstens in Tel Aviv hängen blieben. Tel Aviv wuchs von Tag zu Tag. Selbst der jüdische Bürgermeister hätte die jeweilige Bevölkerungszahl nicht genau angeben können. Hier wohnen nur Juden, arbeiten nur Juden, handeln, baden, tanzen nur Juden. Alle Aufschriften sind hebräisch, alle Zeitungen. Die Schrift, die hier im Lande als neuhebräisch ohne Vokalzeichen gebraucht wird, ist fast so schwierig zu entziffern, wie etwa chinesisch. Eine Speisekarte in Tel Aviv ist ein Preisrätsel, wobei sich das Rätsel nicht allein auf die Preise bezieht.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 48 ff.

Dass die jüdische Monokultur ihren Ursprung in der Judenverfolgung haben könnte, kam dem Nazi Mildenstein ebenso wenig in den Sinn, wie das heutige Israel nicht zu verstehen bereit ist, dass die fortwährende Unterdrückung der Palästinenser zu immer mehr Widerstand führt. Auch seine Äußerung über die hebräische Schrift bestätigt den verengten Blick eines Deutschen, der andere Kulturen ablehnt.

Palästinakarte (1938)
Palästinakarte (1938), Auszug aus Rings um das brennende Land am Jordan

Überhaupt ist in Tel Aviv immer „was los“. Ein englischer Richter der Mandatsverwaltung nannte sie – sicher aus bester Erfahrung – die unruhigste Stadt Palästinas. Hier prallen die innerjüdischen Gegensätze in rücksichtsloser Schärfe aufeinander. Es gibt keine Parteischattierung vom extremsten jüdischen Faschisten bis zum treuen Moskaujünger, die nicht vertreten wäre. Wirtschaftsparteien, Handwerkerparteien, Pflanzerverbände, Gewerkschaften, alles ist da. Man sollte meinen, in Palästina wären nur Zionisten, also Anhänger der Idee des Gründers Herzl, die sich in Palästina durch Rückkehr zur Arbeit des Bodens die Heimat erarbeiten wollen. Weit gefehlt! Da gibt es die orthodoxen Gruppen, für die zwar Palästina das Gelobte Land, die Zionisten und ihre Ideen aber ärgerliche Greuel sind. Dann gibt es zahlreiche Kommunisten, die sich auch nicht für die nationalistischen Ideen Herzls erwärmen können. Sie bilden die einzig jüdische Gruppe, die Schulter an Schulter mit arabischen und armenischen Kommunisten zusammenarbeitet. Und dann ist noch eine Gruppe da, die eigentlich alle zusammen als störenden Fremdkörper empfinden: die „Jekes“, die aus Deutschland seit 1933 zugezogenen Juden. Niemand liebt diese „Januarzionisten“, und sie selbst schließen sich auch nirgends an, sondern haben sich ihren eigenen Verein aufgezogen, die „Olej Germania“. Es scheint ihr Fluch zu sein, daß sie sogar unter ihren eigenen Rassegenossen als destruktives Element empfunden werden. Denn jeder Zionist in Palästina weiß, daß nicht die innere Überzeugung sie nach Palästina geführt hat, sondern äußerer Drang. Sie kamen mit ihren Fünfzimmerwohnungen, mit Teppichen und Autos hier an und dachten nicht daran, auf’s Land zu gehen, um als Bauer oder Landarbeiter zu leben. Sie hatten ihr Geld mitgebracht und wollten es arbeiten lassen. Tausenderlei Unternehmungen wurden gegründet, alles sollte im Lande selbst erzeugt werden. Wirtschaftliche Überlegungen spielten kaum eine Rolle. Durch die Zehntausende von Einwanderern aus den westlichen Ländern, die meist mehr oder weniger Geld mitbrachten, wurde ein künstlicher Wirtschaftsaufschwung geschaffen, der scheinbar das Goldene Zeitalter für das jüdische Palästina anbrechen ließ. Daß es ein Kartenhaus war, das früher oder später zusammenstürzen mußte, schien niemand für möglich zu halten. Dabei war die Handelsbilanz Palästinas, eines an sich bitterarmen Landes Jahr für Jahr erschreckend passiv. Ausfuhr und Einfuhr verhielten sichauch in diesen Glanzzeiten wie eins zu fünf. Nur die immer neuen Kapitalien der vermögenden Einwanderer und des amerikanischen Judentums, das seinen Zionismus durch „Kapital-Einwanderung“ bewies, konnten den Ausgleich schaffen. Aber gerade diese Einwanderer und Geldgeber waren der größte Unsicherheitsfaktor des Landes. Denn sie kamen ja nicht, um das Land aufbauen zu helfen mit ihrer Hände Arbeit, sondern nur, weil in Palästina die einzige Konjunktur für sie und ihr Geld zu sein schien. Daß jede kleinste Störung sie sofort zur Flucht und damit zum Abzug ihres mitgebrachten Kapitals veranlassen könnte, schien niemand zu glauben.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 51 ff.

Für einen nationalsozialistischen Journalisten ist diese Zusammenfassung überraschend, nicht nur, weil von „extremsten jüdischen Faschisten“ die Rede ist, sondern weil auch die zahlreichen unterschiedlichen jüdischen Gruppen aufgezählt werden, die mit der Zeit auch vom späteren Israel immer weiter ausgegrenzt wurden. Bibi Netanjahu sieht sich im zeitgenössischen Israel von allerlei linken Feinden umzingelt, die ihn und seine hemmungslose Selbstschutz- und Selbstbereicherungspolitik bedrohten.

Und doch gibt es Juden, die es nicht acht Tage hier aushalten! Eine wohlhabende jüdische Familie aus Berlin war mit Möbellift und Schoßhund nach Palästina ausgewandert. Das gute Hündchen hatten sie gleich mitgebracht, die Möbel trafen erst acht Tage später ein. Diese acht Tage hatten der anspruchsvollen „Auswandererfamilie“ genügt. „Nein, lauter Juden, das kann man doch nicht aushalten! Und dann dies primitive Leben. Dem Hund bekommt das Klima auch nicht!“ Sie ließen ihre Lifts erst gar nicht ausladen und fuhren mit demselben Dampfer wieder nach Europa.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 52

Diese eigenartige Neidperspektive veranlasst zu der Vermutung, dass kultivierte oder gar wohlhabende deutsche Juden das Vorstellungsvermögen des 1902 in Prag geborenen Nationalsozialisten Mildenstein ebenso übersteigen, wie die heutige israelische Gesellschaft eine entmenschlichte Sicht auf Palästinenser kultiviert. Was nicht in das verzerrte Bild einer radikalisierten Gesellschaft passt, wird nicht nur kritisiert, sondern auch noch zu Freiwild.

Die Stadt der Juden
Originale Bildunterschrift (1938): „Eine Straße im älteren Teil Tel Avivs. Vor 30 Jahren stand noch kein Stein dieser Stadt, die heute schon weit über 100 000 Juden beherbergt.“

Als wieder einmal die Klagen der Araber über die illegale Einwanderung zu laut geworden waren, bemühte sich die Mandatsverwaltung um die Aufstöberung „vergessener“ Touristen, um sie auszuweisen. Die meisten waren natürlich in Tel Aviv untergetaucht. Da ihnen nicht anders beizukommen war, wurden für die Anzeige Prämien ausgesetzt. Die jüdischen Spitzel bekamen gute Arbeit, aber die ganze Aktion blieb doch ein Schlag ins Wasser. Sie führte nur zu schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Juden, die sich zwar die Prämie für die Anzeige verdienten, die eingefangenen „Touristen“ aber dann beim Transport durch die Stadt wieder befreiten. Während der Fahrt hatten die „Opfer“ ein großes Gejammer erhoben, worauf die Wagen von den Juden drohend umstellt wurden. Ehe die wenigen Polizisten Hilfe herbeiholen konnten, waren die Häftlinge samt und sonders entwischt. Schließlich mußten gegen die gewalttätig gewordenen Juden Panzerwagen eingesetzt werden.

Auch sonst ist Tel Aviv selbst in den sogenannten ruhigen Zeiten, wenn nicht gerade größere Differenzen mit der arabischen Mehrheit des Landes zu Aufruhr und Totschlag führen, keineswegs eine ruhige Stadt. Politischer Terror, ja sogar Mord sind nicht selten, und die kleinen Unruhen mit gegenseitigem Boykott und Streik beachtet man schon fast gar nicht mehr. Revisionisten, so heißen die jüdischen Faschisten, marristische Gewerkschaftler und Kommunisten haben alle ihren Hauptsitz in Tel Aviv und sorgen für dauernde Bewegung. Auch die militärische Selbstschutz-Organisation der Juden, die „Hagana“, die mit stillschweigender Duldung der Engländer in den letzten Jahren zu erheblicher Stärke ausgebaut wurde, überzieht von Tel Aviv aus alle Siedlungen mit ihrem Netz. Die Fäden ihres Politischen Nachrichtendienstes reichen sogar über Paris und London bis nach New York. Das alles agitiert, wirbt und streitet innerhalb der Stadtgrenzen Tel Avis.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 53

Diese zwei Absätze beschreiben den Alltag der britischen Besatzer und bedürften nur weniger Änderungen um den Alltag der Besatzungsmacht Israel darzustellen. Der damalige Feind der Briten und der heutige Feind der Israelis sind beliebig austauschbar. Der „politische Nachrichtendienst“ der „Hagana“ ist der spätere Mossad. „Selbstschutzorganisationen“ waren Hagana oder auch Irgun (Zwai Leumi) und Palmach allerdings ebenso wenig wie die Hamas, was das heutige Deutschland politisch motiviert vermutlich immer noch bestritte, aber gelogen wäre.

Das Leben der Araber
Originale Bildunterschrift (1938): „Während die Juden in der reichen Küstenebene moderne Städte und Plantagen errichten, leben die Araber, die bisherigen Herren des Sandes, im kahlen Bergland, wo nur an einem Ueberfluß herrscht: an Steinen in allen Größen.“

Die Araber, die früher alleinigen Besitzer des Landes, hatten die Orangenzucht noch nicht an erster Stelle betrieben. Erst als sie die Erfolge der Juden sahen, vergrößerten auch sie ihre Plantagen. Sie verkauften oft einen Teil ihres Besitzes an die gut bezahlenden Juden und verbesserten mit dem Geld ihre verbliebenen Anlagen so, daß sie heute wieder starke Konkurrenten der Juden geworden sind. Zwar ist gut die Hälfte der Orangenplantagen in jüdischen Händen, aber die Araber können billiger wirtschaften. Der Araber arbeitet mit seiner ganzen, meist sehr großen Familie von Sonnenaufgang bis -untergang an der Plantage. Die jüdischen Plantagenbesitzer sind aber, wenn es sich nicht gerade um genossenschaftliche Gemeinschaftssiedlungen handelt, zugewanderte Kapitalisten, die vielfach nicht einmal ihren Wohnsitz in Tel Aviv oder Haifa aufgeben, sondern den Pardeß durch jüdische Arbeiter versorgen lassen. Diese jüdischen Arbeiter sind stets organisiert, deshalb teuer und an eine achtstündige Arbeitszeit gewöhnt. Da ist es ganz erklärlich, daß sie Gewinne im jüdischen Orangengeschäft wenig befriedigen. Die jüdischen Pardeßbesitzer würden herzlich gern die viel billigeren und willigeren arabischen Arbeitskräfte verwenden, aber die jüdischen Arbeitergewerkschaften sind in Palästina sehr einflußreich und verlangen, daß in jüdischen Betrieben nur organisierte Juden eingestellt werden.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 57

Die landwirtschaftliche Konkurrenzsituation hält sich bis heute, erst in jüngerer Zeit importiert Israel Tagelöhner aus Modis Indien. Natürlich wollten die jüdischen Einwanderer alles besser machen als die oftmals in jahrhundertelanger Stagnation verbliebenen palästinensischen Araber. Der Zynismus des zionistischen Landdiebstahls ist denn auch die immer wieder zu hörende Behauptung, dass die Diaspora dem Judentum letztlich gut getan habe, weshalb dies auch den Palästinensern anzuraten wäre.

In der Jaffa-Straße herrscht ein Leben, das in seiner Mischung einzigartig ist. Engländer, Araber, Juden, katholische, griechische, abessinische Mönche, Rabbiner in Kaftanen, mohammedanische Mullas, englische Polizisten, schottische Tommys im bunten Röckchen und den Reitstock in der Hand, zwischen ihnen weißgekleidete Beduinen, blauschwarze Sudanesen und europäische Touristen oder Pilger. Dann Kamele, Autos, Esel und Hunde im bunten Gemisch. Das ist der Jerusalemer „Westen”, die Neustadt vor den tausendjährigen Toren.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 60

Jene kulturelle Vielfalt vergangener Tage will das heutige Israel ausmerzen. Multikultur ist dort wie auch in westlichen Gesellschaften längst zum Schimpfwort geworden und Integration wird stets vom Einwanderer verlangt, wohingegen sich starre westliche Gesellschaften und Israel damit begnügen, fortwährend zu amerikanisieren. Die Städte mit dem höchsten Anteil verschiedener Kulturen der Welt sind Dubai und Brüssel. Jerusalem dagegen ist wie der Rest Israels kein Schmelztiegel mehr, sondern eine intolerante Monokultur, die sich vor allem mit sich selbst beschäftigt.

Um dann noch ein Eisen mehr im Feuer zu haben, versprach Englands Außenminister, Lord Arthur James Balfour, in der berühmt-berüchtigten Balfour-Declaration vom 2. November 1917 den Führern des Judentums für ihre Hilfe gegen die Mittelmächte das Land Palästina als „Nationale Heimstätte des jüdischen Volkes“. So war alles getan, um nach der Beendigung des Krieges einen Streit unter all denen hervorzurufen, die meinten, die Sieger zu sein. Fürs erste wußten sich die Briten die notwendigen Trümpfe zu sichern. Clemenceau ließ sich auf der Geheimkonferenz der „Großen Vier“ am 20. März 1919 Mossul und seine Ölfelder wieder abschwätzen gegen britische Zugeständnisse am Rhein. Sein Kriegsziel lag jenseits des Rheins, das britische zwischen Jerusalem und Bagdad.

Die jüdische Einwanderung nach Palästina war in den ersten Jahren auch so wenig beängstigend, daß nicht einmal die Araber viel an ihr auszusetzen hatten. Aber alle sonstigen politischen Versprechungen ihrer Kriegsfreunde sahen sie schon damals unerfüllt zerrinnen. Statt des Großarabischen Reichs schufen die Großmächte eine Reihe kleiner, rivalisierender Staaten, die man überdies sehr weitgehend unter europäische Oberaufsicht nahm. Von einem Einschluß Palästinas in irgend einen der arabischen Staaten war überhaupt keine Rede mehr. So schien anfangs alles nach dem Willen der großen Sieger zu gehen. Die ohnmächtigen Proteste der Araber Palästinas konnte man leicht übersehen.

Mit dem erwachenden Nationalbewußtsein der umliegenden arabischen Staaten und ihrer wachsenden Selbständigkeit machte sich aber in den Kreisen der palästinensischen Araber eine immer stärker werdende Abwehr geltend. Den Hauptanlaß gab die ständig anschwellende jüdische Einwanderung, die die wirtschaftliche und politische Überlegenheit des Judentums in Palästina immer stärker zum Ausdruck brachte. Die palästinensischen Araber konnten sich leicht ausrechnen, wann sie nicht nur zahlenmäßig gegenüber den Juden in der Minderheit, sondern auch politisch in ihrer eigenen Heimat mundtot sein würden. Juden und Araber konnten auf verbriefte britische Versprechungen pochen. Zwischen beiden und ihrem immer stärker anschwellenden Haß stand als Schiedsrichterin, die es trotzdem keiner Partei rechtmachen konnte, die britische Mandatsverwaltung. Und während in Jerusalem der britische Hochkommissar immer wieder zwischen Juden und Arabern vermitteln mußte, schlugen sich draußen auf dem Lande die Vertreter beider Völker ohne britische Hilfe gegenseitig bei jeder Nichtigkeit die Köpfe blutig. Vielleicht war man in London nach dem Grundsatz des „Teile und herrsche“ mit diesem Zustand sogar zufrieden, der es gestattete, aus Gründen der Staatsautorität, militärisch immer fester Fuß zu fassen. Die britischen Beamten der Mandatsverwaltung im Lande selbst dürften allerdings weniger Freude und Genugtuung in ihrer Arbeit gefunden haben und noch finden. Palästina hat sich im Laufe der letzten Jahre zu einem politischen Vulkan entwickelt, von dem man nur eins sicher weiß; daß der nächste Ausbruch immer genau so sicher kommen wird, wie der vorhergegangene, die einzige Frage ist das Wann.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 62

Dem ist nichts hinzuzufügen und für einen Nationalsozialisten des Jahres 1938 eine frappierend ideologisch ungefärbte Betrachtung. Wie Teile des republikanischen Umfelds von Donald Trump war auch Balfour ein Vertreter des christlichen Zionismus, der mit missionarischem Eifer einer wirren religiösen Motivation folgt und daher auch vor großen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht zurückschreckt.

Endlich taucht ein kleines Wachhaus auf. Ein blonder englischer Polizist steht davor. Man sieht, er hat ein Telefon griffbereit an der Wand hängen. Für den Fall, daß … Denn hier liegt eine der Zündkapseln des jüdisch-arabischen Konfliktstoffes. Da die Juden den Tempelplatz nicht mehr betreten dürfen, stehen sie seit Jahrhunderten hier an der Außenseite ihres alten Heiligtums, beten, singen und klagen. Sie lehnen sich an die riesigen Quadern, murmeln ihre Gebete und stoßen von Zeit zu Zeit Schreie und Jammerrufe aus. Das wurmt wieder die Araber. Sie fühlen sich durch die lärmenden Juden gestört bei ihren eigenen Gebeten oben auf dem Tempelplatz. Deshalb kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen ihnen und den Juden. Fast alle größeren Unruhen der letzten Jahre nahmen ihren Anfang in der Nähe der Klagemauer. Explosivstoff liegt also dauernd in der Luft. Deshalb steht auch der Tommy da.

Fast über der Klagemauer, am Kettentor, hat der Mufti von Jerusalem seine Residenz. Hadsch Emin Effendi el-Husseini, seit 1921 Mufti von Jerusalem, lenkte von hier aus bis zu seiner Flucht nach Syrien die religiösen und die politischen Taten der Moslems. Sein Einfluß reichte stets weit über die Grenzen des Landes. Den zionistischen Plänen steht er mit tötlichem Haß gegenüber und auch die Engländer wissen diesen fanatischen Vertreter national-arabischer Forderungen zu fürchten.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 67

Eine immer noch aktuelle Beobachtung, geben sich doch rechtsextreme politische Kräfte Israels die Klinke beim unangekündigten Besuch des Tempelbergs in die Hand, um die unmittelbar darauffolgenden Aufstände dann mit aller Kraft niederzuknüppeln. Provokation ist ein beliebtes Hobby israelischer und zunehmend auch westlicher Regierungen, um dann von einer „Reaktion“ als unweigerliche Folge sprechen zu können.

Der darauffolgende Absatz über den Mufti von Jerusalem ist insofern relevant, als dieser von einseitigen Historikern als großer Freund des NS-Regimes gesehen werden und dadurch jede Aktion Israels gegen die palästinensische Bevölkerung gerechtfertigt werden soll. Besagter al-Hussaini war jedoch niemals Bestandteil der deutschen Planung der sogenannten „Endlösung“, auch wenn dieses Märchen Bibi Netanjahu sehr gelegen käme.

Da kommt hinter einer Hügelkette Hebron in Sicht. Es ist eine Hochburg des nationalen Arabertums. Bis zu den Unruhetagen von 1929 lebte hier eine ziemlich starke jüdisch-orthodoxe Gemeinde. Heute zeigen nur noch niedergebrannte Ruinenreste ihr ehemaliges Wohnviertel. In den Aufruhrtagen des Jahres 1929 kam es besonders hier in Hebron zu schweren Kämpfen zwischen Arabern und Juden. Der Schreck von damals sitzt den Juden noch in den Gliedern. Von früher 1500 leben heute kaum mehr fünfzig in Hebron. Hier glüht auch noch der alte Fremdenhaß. Daß Kinder nach den Autos der Europäer Steine werfen oder Vorübergehende halblaute oder auch laute Verwünschungen den Fremden gegenüber ausstoßen, ist an der Tagesordnung. Nur eins wirkt Wunder: die Versicherung, daß man weder Jude noch Engländer ist. Dann wandelt sich sofort der Haß in harmlose Neugierde.

Die Bewohner Hebrons sind also fanatische Moslems. […]

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 71

Diese einseitige Parteinahme des Nationalsozialisten Mildenstein für orthodoxe Juden überrascht angesichts der Ressentiments in Deutschland und deren späteren Konsequenzen. Dies könnte zudem die Beschreibung zur Rechtfertigung einer der zahllosen Militäraktionen Israels gedeckt von bedingungsloser deutscher Solidarität sein. Wie immer in solchen Fällen wird ein beliebiges historisches oder anders geartetes Ereignis definiert und darauf basierend eine oftmals radikale Schlussfolgerung gezogen.

Dann kommen arabische Dörfer, endlich ein größerer Ort, und zwar unverkennbar arabisch, aber nach seiner Bauart offensichtlich von wohlhabenden Leuten bewohnt. Das ist Ramallah, ein fast nur von christlichen Arabern bewohntes Dorf. Viele der Hausbesitzer hatten sich in Amerika ein Vermögen erworben und haben sich nun hier in Ramallah zur Ruhe niedergelassen.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 86

Eine weitere Beobachtung, die auf kultureller Sympathie fußt. Während Mildenstein an anderer Stelle Abscheu gegenüber palästinensischen Muslimen empfindet, kann er sich mit christlichen Palästinensern offenkundig besser arrangieren. Ein solcher Standpunkt wird im zeitgenössischen Westen wieder zunehmend populär. Nicht erst seit Samuel P. Huntingtons Machwerk Kampf der Kulturen werden Monokulturen zunehmend favorisiert, was nicht zuletzt auch in der unmenschlichen Ukraineposse deutlich wird.

Jetzt haben wir wieder die reiche Ebene Jesreel vor uns. Hier liegt die größte jüdische Besiedlungsfläche. Die fast hunderttausend Morgen, die vom jüdischen Nationalfond aufgekauft und jüdischen Genossenschaftssiedlern in Erbpacht gegeben wurden, waren in den letzten Jahrhunderten stark verkommen. Es hatten sich Sümpfe gebildet und in ihrem Gefolge hatte dann die Malaria den Siedlern stark zugesetzt. Die zionistische Exekutive setzte hier tausende armer Ostjuden an, um das Land wieder zu entsumpfen. Das gelang auch in fast zehnjähriger Arbeit unter dem rücksichtslosen Einsatz von Gesundheit und Leben dieser bettelarmen Siedler. Sie werden in Gemeinschaftssiedlungen mit kollektivistischer Bewirtschaftung, den sogenannten Kvuzoth, zusammengefaßt.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 90

Einer der zahlreichen Ansätze der Kolonialisierung Palästinas. Arme Ostjuden bewirtschaften Brachland und zeigen damit den Arabern, wie es mit entsprechender Leistungsbereitschaft geht. Immer wieder wurde dies später unter anderem mit den vermeintlich fortgeschrittenen Methoden zionistischer Landwirtschaft beschrieben. Zwar wurde auch die Tröpfchenbewässerung nicht von zionistischen Siedlern erfunden, doch entwickelte der Ingenieur Simcha Blass diese Bewässerungsart seit den Dreißigerjahren im Kibbuz Chazerim weiter. Israelische Propaganda (Hasbara) dürfte heute eine der weltweit erfolgreichsten sein, insbesondere in Deutschland.

In Jaffa hatte es die ersten Toten gegeben. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht trotz Telephonsperre über das ganze Land verbreitet. Noch am selben Abend und in der folgenden Nacht kam es in Jerusalem, in Haifa, in Nablus zu Zusammenstößen zwischen Arabern und Polizisten. Da sich England schützend vor die Juden stellte, wurde es selbst zum Feind. Die Araber stürmten Polizeistationen und Regierungsgebäude. Nun mußte Militär eingesetzt werden, die Polizei war machtlos. Die Fliegerstaffeln brausten über das Land. Keine Ansammlung konnte ihnen entgehen. Die Mandatsregierung war offensichtlich gewillt, durchzugreifen. Der offene Aufruhr war auch in vierundzwanzig Stunden niedergeschlagen, aber im Stillen gärte es erst recht.

Leopold von Mildenstein in Rings um das brennende Land am Jordan (1938), Seite 95

In Palästina hat sich abgesehen von der Couleur der Besatzungsmacht nichts geändert. Wie alle Eroberer versucht auch Israel, die Lage nicht zuletzt mit ausufernder Gewalt zu beherrschen. Und wie zuvor wird dies langfristig auch im Falle Israels scheitern. Das Haavara-Transfer-Abkommen der Nazis hatte nicht den gewünschten Erfolg, es folgte die grausame industrielle Ermordung eines Großteils der jüdischen Europäer. Das Vorhaben der ethnischen Säuberung des Gasastreifens ist daher als letzte Warnung an die Welt zu verstehen, den gleichen Fehler nicht erneut zu begehen. Der von Israel verursachte Tod von über 50.000 Menschen, der Großteil davon Frauen und Kinder, sprechen eine deutliche Sprache.

Die Bücher Mildensteins kamen in den Nachkriegsjahren in der sowjetischen Besatzungszone und später der DDR auf eine Verbotsliste. Das Haavara-Transfer-Abkommen, Mildensteins und Tuchlers gemeinsame Reise nach Palästina, die Gedenkmedaille und die prozionistischen Artikel in Der Angriff gerieten in Vergessenheit, eine Beziehung zwischen Nazis und Zionismus galt fortan als verpönt.

1954 besuchte Mildenstein die USA, war Mitglied der FDP und wurde im Mai 1956 in deren Presseausschuss gewählt. Im Dezember 1956 arbeitete er für den ägyptischen Rundfunksender Voice of the Arabs, wurde Pressebeauftragter von Coca Cola und behauptete, für die CIA tätig gewesen zu sein. Nach der Veröffentlichung eines Buches über Cocktails im Jahre 1964 war bis zu seinem Tod im November 1968 nichts mehr von ihm zu vernehmen.

David Andel