Saddam Hussain

Die Einsamkeit des Langzeitkriegers

„Den Teufel spĂŒrt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hĂ€tte.“ schrieb ein berĂŒhmter Dichter. Es lohnt nicht, damit Zeit zu vertun und Gedanken darĂŒber zu verlieren, was seine AnhĂ€nger an ihm begeistert – Netanjahu ist kein Messias und wird Israel nicht retten, sondern es weit eher der Verdammnis ausliefern und mit ins Grab nehmen.

Den nur 1,52m großen Nikolai Iwanowitsch Jeschow bezeichnete man einst in der verblichenen UdSSR als „blutrĂŒnstigen Zwerg“. Er war wesentlicher ErfĂŒllungsgehilfe Josef Stalins, was so weit ging, dass infolge der von ihm geleiteten SĂ€uberungsaktionen mit hunderttausenden Opfern, die zunĂ€chst als vermeintliche Oppositionelle gebrandmarkt und dann hingerichtet wurden, kaum mehr Parteimitglieder in den jeweiligen Verwaltungsbezirken ĂŒbrig waren, ĂŒber die Stalin noch hĂ€tte verfĂŒgen können. Der blutrĂŒnstige Zwerg war in seiner Absicht, Stalin gefĂ€llig zu sein, weit ĂŒber das Ziel hinausgeschossen und wurde folglich nicht nur aus dem Leben, sondern auch aus den Fotografien der Zeit entfernt.

Diktatoren und anderen Politikern mit Allmachtsfantasien entgeht fast unausweichlich jener gefĂ€hrliche Moment, in dem sie sich ihr gesamtes Umfeld so weit unterworfen haben, dass keiner ihnen mehr zu widersprechen wagt. Dem vorausgegangen ist ein Ausleseverfahren, das irgendwann dazu fĂŒhrt, dass sĂ€mtliche Regierungsmitglieder ihrem AnfĂŒhrer derart im mentalen Gleichschritt folgen, dass dies auf ihn so wirken muss, als habe er immer recht. Keiner schwimmt mehr gegen den Strom, will er seinen Posten behalten, keiner wagt mehr auszuscheren, weil seine Feinde die gleichen sind wie die seines Herren und keiner kann mehr alleine ohne das System funktionieren, dessen Bestandteil er ist und das vom Kopf her stinkt.

Genau diese Vorgehensweise legt Binjamin „Bibi“ Netanjahu schon seit vielen Jahren an den Tag, der sich mittlerweile allerdings nicht nur im eigenen Land mit Korruptionsprozessen konfrontiert sieht, sondern auch noch international als Kriegsverbrecher per Haftbefehl gesucht wird. Da er jedoch nicht bereit ist, sich den ihm gegenĂŒber erhobenen VorwĂŒrfen zu stellen, redet er sich ein, nur sein messianisch auftretendes Ich könne das gelobte Land mit immer extremeren Maßnahmen vor immer neu definierten Bedrohungen retten, die von eben jenen Unannehmlichkeiten ablenken sollen. Um sein Gesicht zu wahren, das nurmehr die hĂ€ssliche Fratze eines Strafvereitlers ist, geht dieser Regierungschef nicht nur sinnbildlich, sondern auch buchstĂ€blich ĂŒber Leichen. Er fĂŒhrt Israel in eine immer gewalttĂ€tigere, religiösere sowie insgesamt kompromisslosere Richtung und setzt dessen BĂŒrger immer grĂ¶ĂŸeren Gefahren und Unannehmlichkeiten aus, Gefahren und Unannehmlichkeiten wohlgemerkt, denen er selbst mit Ă€ußerster Sorgfalt aus dem Weg geht.

SpĂ€testens unsere Nachfahren werden von ihm sagen, dass der Menschheit viel erspart geblieben wĂ€re, hĂ€tte er nur seine Karriere als Architekt oder Unternehmensberater weiterverfolgt. Aber er hatte wohl nicht das Zeug dazu, etwas aufzubauen, sondern folgt stattdessen seinem beeindruckenden Talent, korrupt, paranoid und zerstörerisch zu bleiben. Netanjahu umgibt sich zudem mit einer Gruppe fanatischer Wahnsinniger, zu der auch seine eigene Familie zĂ€hlt, da dies die Einzigen sein dĂŒrften, die noch mit ihm zusammenarbeiten oder mit ihm in Verbindung gebracht werden wollen. Die fortwĂ€hrend gesteigerte Erwartungshaltung des radikalen Netanjahu-Zirkus ist mittlerweile derart bombastisch, dass immer drastischere Maßnahmen erforderlich werden, damit niemand aus seiner kontrademokratischen Manege, bestehend aus Hasardeuren, Kriegsverbrechern und Rassisten, ausbricht und das fragile Machtgleichgewicht mit den Jasagern, MitlĂ€ufern, ErfĂŒllungsgehilfen und Untertanen zerstört.

Von diesem Tag an schwor sich der König, nur noch fĂŒr das Volk zu leben, keinem einzigen König, Prinzen, Minister oder sonstigen WĂŒrdentrĂ€ger mehr zu vertrauen, außerhalb der PalĂ€ste zu wohnen, verlassene HĂ€user niemals zu betreten und die Bauernhöfe sowie die Friedhöfe des Volkes zu ehren.

aus Zabiba und der König von Saddam Hussain, Seite 98

Netanjahu ist unter keinen UmstĂ€nden gewillt, als gescheiterte FĂŒhrungsexistenz hinter Gittern zu enden und wird alles tun, um sein Schicksal abzuwenden und ins Gegenteil umzukehren. Von Anfang an pflegte Bibi, der Langzeitkrieger, sein „Reality Distortion Field“ (Wirklichkeitsverzerrungsfeld) mit einem handverlesenen Umfeld, das bis zu einer ihm genehmen Presse reichte. Personal wurde ausgetauscht, bis es keinen Widerspruch mehr gab, die Wirklichkeit gemĂ€ĂŸ seiner steigenden Erwartungshaltung fortgesetzt umdefiniert. Er ist damit der FĂŒhrer eines verzerrten Staates im verblichenen Staate. Der Hass, den die ihm getreu folgenden Gesellen in den letzten Jahren gesĂ€t haben, hat lĂ€ngst biblische Ausmaße ĂŒberschritten, immer neue Feinddefinitionen lassen sĂ€mtliche FriedensbemĂŒhungen verblassen. Gesetzt den Fall, das isra-amerikanische Duo Infernal schreckt auch vor einem Krieg gegen den Iran nicht zurĂŒck, dĂŒrfte das so genannte Recht auf Selbstverteidigung bei gleicher Marschrichtung damit enden, den gesamten Nahen Osten zerstört zu haben und ihn auch immer wieder aufs Neue zu zerstören, sollte er ganz oder nur zum Teil wieder aufgebaut werden. Eine Strategie, die sich bereits im Libanon, PalĂ€stina und Syrien beobachten lĂ€sst.

Als er im Januar 2023 drei erfahrene Regierungschauffeure entließ, die zuvor nicht nur ihm, sondern auch Ehud Barak, Schimon Peres, Jitzhak Rabin, Jitzhak Schamir und Ariel Scharon treue Dienste geleistet hatten, war dies die Fortsetzung besagter Strategie, die immer neue, absurdere Bereiche betrifft. Die Ereignisse des 7. Oktober 2023 fĂŒhrten zu einer wahren RĂŒcktrittsserie, nur nicht zum RĂŒcktritt von Netanjahu selbst. Generalmajor Aharon Haliva, Chef des militĂ€rischen Geheimdienstes der Armee, trat im April 2024 zurĂŒck. Avi Rosenfeld, Kommandeur der Gasa-Division der israelischen Armee, kĂŒndigte seinen RĂŒcktritt am 9. Juni 2024 an. Am 5. November 2024 folgte Verteidigungsminister Joav Gallant, ebenso wie Netanjahu per Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs gesucht. Generalmajor Jaron Finkelman, Chef des militĂ€rischen SĂŒdkommandos, gab am 21. Januar seinen RĂŒcktritt bekannt. Herzi Halevi, Stabschef der israelischen Armee, kĂŒndigte zunĂ€chst seine Absicht an, am 21. Januar zurĂŒckzutreten und trat Anfang MĂ€rz zurĂŒck. Generalmajor Oded Basiuk, Chef der Operationsdirektion der israelischen Armee, trat am 4. MĂ€rz 2025 zurĂŒck. Am 17. MĂ€rz sollte schlussendlich der Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar entlassen werden, da dieser eine Gefahr fĂŒr Netanjahu hinsichtlich seiner Korruptionsverfahren darstellte. Die Entlassung wurde jedoch am 8. April durch eine einstweilige VerfĂŒgung vorerst vereitelt. Am 9. April entschied das Gericht, dass Bar nicht entlassen werden dĂŒrfe, solange die einstweilige VerfĂŒgung in Kraft wĂ€re und setzte eine Frist bis zum 20. April, um einen Kompromiss zu finden.

Auch einer von Netanjahus finsteren Gesellen, der 2007 von einem israelischen Gericht wegen rassistischer Aufhetzung und UnterstĂŒtzung einer terroristischen Vereinigung verurteilte Minister fĂŒr die Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir verließ die Regierung mit sechs weiteren Abgeordneten, darunter drei Minister, aus Protest gegen die Nichtabsetzung des Generalstaatsanwalts, des Schin-Bet-Chefs und des Waffenstillstands in Gasa, kehrte jedoch wenig ĂŒberraschend nach Wiederaufnahme der KĂ€mpfe in das Lager der religiösen Irren um Netanjahu zurĂŒck. Am 19. MĂ€rz gelang es Netanjahu, ein Gesetz ĂŒber den Wechsel der Mitglieder des Auswahlausschusses fĂŒr Richter zu verabschieden. Hinzu kommt die verweigerte Anerkennung des PrĂ€sidenten des Obersten Gerichtshofs, Jitzhak Amit, den Netanjahu als ihm gegenĂŒber feindlich eingestellt sieht.

House Of Corruption (2020)
Anti-Netanjahu-Protest „House Of Corruption“ (2020)

Es bleibt wĂ€hrenddessen unklar, ob Trump Netanjahus bellizistische Abenteuer weiterhin bedingungslos unterstĂŒtzt. 79% der Stimmen US-amerikanischer Juden gingen an dessen Konkurrentin Harris. Der Judenstaat ist ausufernder Kostenfaktor der ĂŒber ihre VerhĂ€ltnisse lebenden USA. Mit 310 Milliarden US-Dollar (228 Milliarden US-Dollar MilitĂ€r- und 80 Milliarden US-Dollar Wirtschaftshilfe, inflationsbereinigt) seit 1946 liegt Israel weit vor Ägypten (168 Milliarden US-Dollar), Afghanistan (158 Milliarden US-Dollar), SĂŒdvietnam (144 Milliarden US-Dollar), der Ukraine (113 Milliarden US-Dollar), dem Irak (99 Milliarden US-Dollar), SĂŒdkorea (95 Milliarden US-Dollar), der britischen Insel (88 Milliarden US-Dollar), Indien (82 Milliarden US-Dollar) und der TĂŒrkei (81 Milliarden US-Dollar).

Was also könnte der Deal fĂŒr Trump sein? Netanjahus jĂŒngstes Steckenpferd ist die Ausschaltung der TĂŒrkei als regionale Großmacht im Nahen Osten, was Trump jedoch eher zu verĂ€rgern scheint. Auch einem Feldzug gegen den Iran scheint Trump zumindest noch nicht blind zu folgen. Die Schlagkraft der iranischen Luftwaffe ist niedrig, verfĂŒgt sie schließlich nur noch ĂŒber hoffnungslos ĂŒberaltertes Material aus der Zeit des Schahregimes. Teilweise wurden Kampfflugzeuge und andere GerĂ€tschaften aus den Siebzigern zwar nachgebaut und verbessert, doch blieben die StĂŒckzahlen und auch deren ZuverlĂ€ssigkeit klein. Die Lufthoheit zu erlangen wĂ€re vergleichsweise einfach. Um den Iran zu beherrschen, mĂŒssten Israel und die USA aber wie im Irak Bodentruppen einsetzen und dann zu einem Krieg bereit sein, der unberechenbar ist. Es kann wie in Syrien schnell gehen oder auch wie in Afghanistan endlos dauern.

Prinzipiell ist das von geringer Bedeutung, denn das Fragezeichen bleibt der Tag danach. Im Irak wie auch in Syrien befinden sich große Kontingente unberechenbarer religiös motivierter FreischĂ€rler. Und wie das nur verbal kampfbereite Europa hat auch Israel ein Personalproblem, denn das Land ist klein und die Ultraorthodoxen werden weiterhin vom Waffendienst verschont. Jeder von den USA in der Region gewonnene Krieg erwies sich bislang als Pyrrhussieg, so ĂŒberhaupt von Sieg gesprochen werden kann. Wie wird sich der Irak, wie wird sich die TĂŒrkei verhalten, sollte es zu einem weiteren Feldzug westlicher Kolonialisten kommen und wer trĂŒge fĂŒr all das die unabsehbaren Kosten? GĂ€be es erneut eine westliche Koalition? Wohl kaum, da die Ukraine eine Lehre ist, die abgesehen von Deutschland und Frankreich gerade erst gezogen wird.

Hier dĂŒrfte auch der Ursprung der BemĂŒhungen Donald Trumps zu suchen sein, was den Dialog mit Wladimir Putin angeht. Drei Kriege gleichzeitig können die USA nicht fĂŒhren, vermutlich nicht mehr einen einzigen. Schon der Verlauf der Ukraineposse wirft Fragen auf. Der zunehmende Ruin der europĂ€ischen Wirtschaft kam unerwartet und ist Symptom westlichen Verfalls. Europa ist nicht mehr in der Lage, weitere Kriege im Nahen Osten oder China mitzutragen. Erst mĂŒsste die Front im Osten beherrscht, bevor die nĂ€chsten PulverfĂ€sser im Nahen und Fernen Osten geöffnet werden. Ein ausufernder Dritter Weltkrieg birgt fĂŒr die Menschheit weit grĂ¶ĂŸere Gefahren als ein Iran mit Atomwaffen oder China als fĂŒhrende Großmacht.

Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht; Drum besser wĂ€r’s, dass nichts entstĂŒnde. So ist denn alles, was ihr SĂŒnde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element.

Mephistopheles, Faust (Vers 1338 ff.)

Es ist eine nĂŒchterne Beobachtung, dass immer dann, wenn sich die Schlinge um Bibis Hals wieder etwas enger zu ziehen droht, Bomben auf Araber fallen. Der an seinem Posten klebende korrupte Politiker reagiert sich bei jedem Angriff auf seine Person am arabischen Feind des Tages ab, was fĂŒr unmittelbaren Zuspruch von seinem rechtsextremen Umfeld sorgt und seine mörderische Koalition festigt. Durch neue Waffenlieferungen aufgeblĂ€ht, sitzt der Griff zur Waffe immer wieder locker genug, Waffenstillstand hin oder her. Bibi in Gefahr, PalĂ€stinenser tot. Netanjahu bereitet sich auf einen Dauerkrieg vor und verfĂŒgt dazu ĂŒber leidlich ausreichende Ressourcen. ZunĂ€chst mĂŒssen Syrien, der Libanon und Jemen unter Kontrolle gebracht, erst dann kann der Iran in Angriff genommen werden. Syrien wird dabei die Rolle des israelischen Luftkorridors zuteil, die TĂŒrkei allerdings kaum stillstehen, da sie Syrien schon jetzt als ihr Protektorat erachtet.

Ein Premierminister, der bis zum Hals in Ermittlungen steckt, kann nicht funktionieren. Er hat weder ein moralisches noch ein öffentliches Mandat, um schicksalhafte Entscheidungen zu treffen, und es ist zu befĂŒrchten, dass er Entscheidungen auf der Grundlage seiner persönlichen Interessen und nicht des nationalen Interesses treffen wird.

Binjamin Netanjahu ĂŒber das Korruptionsverfahren gegen Ehud Olmert im Jahre 2008

Nach Golda Meir, der bis heute Versagen im Oktoberkrieg von 1973 vorgehalten wird, Ehud Olmert, der als erster MinisterprĂ€sident wegen Korruption im GefĂ€ngnis landete und einen unnĂŒtzen zweiten Libanonfeldzug begann, Jitzhak Schamir, der ein Abkommen mit Jordanien und damit eine der letzten Friedensmöglichkeiten mit PalĂ€stina vereitelte sowie Ehud Barak, der auf ganzer Linie in seinen FriedensbemĂŒhungen versagte, ist Langzeitkrieger Netanjahu der heißeste Kandidat fĂŒr die am umfassendsten gescheiterte politische Existenz Israels. Wer die Rolle seines „blutrĂŒnstigen Zwerges“ in der aktuellen israelischen Regierung einzunehmen gewillt ist, sei dahingestellt, geistige Zwerge sind sie allesamt, blutrĂŒnstig nicht minder.

David Andel