Bibi-Karikatur

Bibis Recht auf Selbstbereicherung

Nach dem vom US-Fernsehen jahrzehntelang gewĂ€hrten Recht auf SelbstbeweihrĂ€ucherung folgten dank der MittĂ€terschaft von Sarah’le samt Nachwuchs Jahrzehnte der Selbstbereicherung: Binjamin Netanjahu ist der ideale Chef eines Staates, dessen Recht auf Selbstverteidigung nichts anderes als Angriff, Diebstahl, Mord und Totschlag meint. DĂŒstere Aussichten fĂŒr den Wertewesten.

Netanjahu fiel dem Verfasser dieser Zeilen erstmals vor Jahrzehnten im US-Fernsehen auf. In der ABC-Sendung Nightline, die auch in deutschen StĂ€dten mit US-Besatzungstruppen ĂŒber den Soldatenkanal AFTV zu empfangen war, schien Binjamin „Bibi“ Netanjahu Dauergast zu sein. Im populistischen Medienenglisch des eher als Zirkusdirektor denn Nachrichtenmoderator zu erkennenden Fernsehgauklers erklĂ€rte er fortwĂ€hrend den schwer bewaffneten US-amerikanischen Angsthasen, weshalb man PalĂ€stinensern nicht trauen könne, dieser oder jene arabische Staat eine große Gefahr wĂ€re und welche finstere Hinterlist der Iran abermals vorbereiten wĂŒrde, seitdem der zuverlĂ€ssige und berechenbare Schah nicht mehr wĂ€hrte.

Israel hĂ€tte die UnterdrĂŒckung der Demonstrationen in China, als sich die Weltöffentlichkeit auf dieses Land konzentrierte, nutzen sollen, um Massenvertreibungen unter den Arabern in den (besetzten) Gebieten durchzufĂŒhren.

Aus der Netanjahu-Rede „Über den Frieden“ am 24.11.89, Bar-Ilan-UniversitĂ€t in Tel Aviv, Israel

Er beherrschte alle Manipulationsmethoden des Artisten unter der Studiokuppel, sprach Gastgeber Koppel und Kollegen kumpelhaft beim Vornamen an und tat stets so, als vertrete er das offizielle Israel, was nicht der Fall war. Kritik oder Widerspruch behandelte er lĂ€ssig-schroff mit AusdrĂŒcken wie „idealistisch“, „lachhaft“, „naiv“, „unerfahren“, „vertrĂ€umt“, „weltfremd“ oder auch schlichtweg „feindselig“ sowie „gefĂ€hrlich“ fĂŒr Israel. Sich selbst sah er als „erfahren genug“, „ernĂŒchtert“, „pragmatisch“ oder „realistisch“. Sein Synonymwörterbuch hatte er auswendig gelernt, seine dazugehörigen Gesten saßen wie SchĂŒsse von Revolverhelden in „High Noon“ – dessen Hauptrolle er jederzeit ĂŒbernehmen hĂ€tte können, ein Rollentausch von vielen. Ausschließlich seine Schokoladenseite kam ins Bild – darauf beharrt er bis heute, obgleich er im Inland zumindest nur noch ungern Rede und Antwort steht und mittlerweile gar als Pressevermeider gilt (in Deutschland mĂŒsste er kaum Angst haben).

Israel hat keinen besseren Freund als Amerika. Und Amerika hat keinen besseren Freund als Israel. Wir stehen zusammen, um die Demokratie zu verteidigen. Wir stehen zusammen, um den Frieden zu fördern. Wir stehen zusammen, um den Terrorismus zu bekÀmpfen.

Netanjahus Rede vor der gemeinsamen Sitzung des US-Kongresses am 24.5.11

Die OmniprĂ€senz Netanjahus hatte schwerwiegende Folgen. Als die palĂ€stinensische MSNBC-Journalistin Rula Jebreal (die sowohl die israelische als auch die italienische Staatsangehörigkeit besitzt) am 21. Juli 2014 darauf hinwies, dass Netanjahu und andere Israelis wie Naftali Bennett ihr Lied mehr oder weniger dauerhaft im US-Fernsehen sangen und ĂŒber eine fast zehnmal so hĂ€ufige BildschirmprĂ€senz verfĂŒgten, wohingegen PalĂ€stinenser vergleichsweise kaum mehr als einige Sekunden zu Wort kĂ€men, wurde sie kurzerhand entlassen. Ihre damaligen Worte waren deutlich und die US-amerikanische Öffentlichkeit sollte davor verschont bleiben:

Wegen AIPAC und wegen des Geldes dahinter, wegen Sheldon Adelson und wegen uns allen in den Medien. Wir sind lÀcherlich! Wir sind ekelhaft voreingenommen, wenn es um dieses Thema geht

Rula Jebreal am 21. Juli 2014 in MSNBC

Über Jahrzehnte konnte Bibi ungehindert und AIPAC-gefördert sein mediales Unwesen treiben. Von Anfang an hatte er dabei nur eine Grundlinie im Sinn: Israel verteidigt glorreich westliche Werte und Arabern (oder Iranern) ist aufgrund ihrer hinlĂ€nglich bekannten Niedertracht sowie mit dem Westen inkompatiblen Weltanschauung (Religion) nicht zu trauen. In jedem Auftritt fand er dafĂŒr immer neue Superlative und die erschreckend geringe intellektuelle Tiefe der US-Moderatoren sog die absurden Schilderungen, die befremdlichen Behauptungen oder den charmant servierten ungezĂŒgelten Hass begeistert auf, denn all das wurde in einem US-kompatiblem Wildwest-Englisch vorgetragen, das sich der notorisch zĂŒndelnde Politiker durch seinen Schulbesuch in den USA angeeignet hatte.

Staat im Staate AIPAC

Die jĂ€hrliche AIPAC-Konferenz in den USA ist als starker Richtungsgeber fĂŒr die Entscheidungen der jeweiligen außenpolitischen Entscheidungen der US-Administration zu sehen, handelt es sich hierbei doch um eine der grĂ¶ĂŸten Interessenvertretungen der dort lebenden Juden. Obgleich es mittlerweile auch innerjĂŒdische Konkurrenz gibt, kann sich das AIPAC (American Israeli Public Affairs Committee = Amerikanisch-Israelisches Komitee fĂŒr öffentliche Angelegenheiten) damit rĂŒhmen, ĂŒber die grĂ¶ĂŸten Spendengelder und die einflussreichsten Mitglieder zu verfĂŒgen, weshalb die New York Times das AIPAC auch „die wichtigste Organisation, die Amerikas Beziehungen zu Israel beeinflusst“ nennt.

Das Hauptziel des AIPAC ist es, die Beziehungen zwischen Israel und den USA eng und stark zu halten, die jeweiligen Mitglieder der US-Regierung geben sich dort die Klinke, US-PrÀsidenten fortwÀhrend ihre öffentlichen LiebeserklÀrungen, inklusive des selbsternannten Zionisten und Nichtjuden Biden. Welche Plattform neben AIPAC wÀre besser dazu geeignet, die fast acht Millionen US-amerikanischen Juden (knapp zweieinhalb Prozent der dortigen Bevölkerung) mit einem Schlag auf seine Seite zu ziehen? Obgleich Teile der Familie Donald Trumps mittlerweile konvertiert sind, bevorzugen die Juden der USA mehrheitlich die NÀhe zur demokratischen Partei, was angesichts der zahlreichen Israel-freundlichen Entscheidungen der Trump-Administration verwundern mag.

In meinem BĂŒro in Jerusalem befindet sich ein altes Siegel vom Ring eines jĂŒdischen Beamten aus der Zeit der Bibel. Das Siegel wurde direkt neben der Klagemauer gefunden und stammt aus der Zeit von König Hiskia, also vor 2.700 Jahren. Auf dem Ring ist der Name des jĂŒdischen Beamten in hebrĂ€ischer Sprache eingraviert. Er lautet Netanjahu.

Netanjahus (dessen Vater seinen Familiennamen von Mileikowsky in Netanjahu Ă€ndern ließ) „Anekdote“ vor der UN-Generalversammlung am 23.9.11

Vor fĂŒnfzehn Jahren entstand „J Street“ als Konkurrenz zum AIPAC, was unter anderem den Vor- oder Nachteil hat, George Soros zu seinen Geldgebern zu zĂ€hlen und sich zudem um ein friedliches Miteinander mit den PalĂ€stinensern bemĂŒht. Die öffentliche ErklĂ€rung nach der so genannten Al-Aqsa-Flut der Hamas am 7. Oktober 2023 distanziert sich deutlich vom Standpunkt des Netanjahu-Regimes. Der Eindruck, dass das AIPAC sĂ€mtliche Juden in den USA vertritt, wĂ€re damit ebenso falsch wie die oftmals aufgestellte Behauptung, dass Israel sĂ€mtliche Juden der Welt vertritt. Dennoch scheinen sich die jeweiligen US-Regierungen darĂŒber alles andere als klar zu sein, weshalb die Frage aufkommt, aus welchem Grund alle unverĂ€ndert nach dem AIPAC-Orchester und Netanjahus erster Geige tanzen? Die Antwort ist im Bereich geostrategischer Interessen der USA zu verorten, die sich angesichts ihrer Handlungen im Nahen Osten darĂŒber bewusst sind, dort kaum noch ĂŒber Freunde zu verfĂŒgen. Es scheint deutlich einfacher, den AIPAC-Vorgaben und damit dem offiziellen Israel zu folgen, als sich der Apartheidspolitik Israels entgegenzustellen und so zu riskieren, eine USA-freundliche und Araber-feindliche Bastion in der Region zu schwĂ€chen. Zwar waren arabische Stimmen fĂŒr die GrĂŒne Partei der USA (die mit den abkömmlichen europĂ€ischen Varianten keine Gemeinsamkeiten hat) einer der GrĂŒnde, weshalb Kamala Harris die Wahl zur US-PrĂ€sidentschaft verlor. An der US-Strategie der bedingungslosen UnterstĂŒtzung zionistischer Besatzungspolitik Ă€ndert dies jedoch nichts.

Bibi einst (1982)
Bibi einst (1982)

Wann immer es im Nahen Osten Ärger fĂŒr den Wertewesten gibt, steht Israel Gewehr bei Fuß. Dies ist lĂ€ngst die falsch verstandene Hilfe eines vorgeblichen Freundes, da Israel ausschließlich gewillt ist, weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Dennoch obsiegt die Bequemlichkeit derjenigen, die daran gewohnt sind, aus einer Position der StĂ€rke heraus zu handeln. Die USA scheinen grundsĂ€tzlich nicht auf den Gedanken zu kommen, dass Netanjahus Israel wĂ€hrenddessen sein eigenes imperialistisches SĂŒppchen kocht und sollten dies im Hinterkopf behalten, wenn sie sich auf israelische Geheimdienstinformationen verlassen. Leider wird die Tradition der beiden Staaten beibehalten, jeweils fĂŒr den anderen zu lĂŒgen. Dies erhöht die ZuverlĂ€ssigkeit der ausgetauschten Informationen zwischen Israel und den USA nicht und stellt den blauĂ€ugigen Wertewesten vor große Gefahren.

So bleibt das AIPAC weiterhin die einzige Stimme Israels in den USA, auf deren Konferenzen (Eintrittskarten kosten hunderte US-Dollar) man einem Àhnlichen Reichsparteitagsrausch unterliegen kann wie auf den einst von Steve Jobs moderierten Keynotes des Apple-Konzerns. Riesige Poster der sich umarmenden Politiker Begin und Sadat, an der Klagemauer betenden Soldaten, den immer höher werdenden Skylines von Jerusalem und Tel Aviv oder der neuen US-Botschaft in Jerusalem sollen das Bild eines Landes vermitteln, das es geschafft hat, seine Nachbarschaft in Schach zu halten.

Der neue Bibi (2013)
Der neue Bibi (2013)

Die AIPAC-Podiumsdiskussionen vermitteln zwar Offenheit, lassen aufgrund der Einseitigkeit ihrer Teilnehmer aber jede Kritik verstummen – in heiklen Angelegenheiten hat die Presse keinen Zutritt. Jedes GesprĂ€ch kommt zum gleichen Ergebnis, die Vorgaben der Regierung Israels gelten. Jahrelang war es der vermeintlich gefĂ€hrliche Iran, dann der vermeintlich gestĂ€rkt wiederkehrende Antisemitismus und schließlich das von Israel selbst geschaffene Monster der Hamas. Lange Listen besonders engagierter UnterstĂŒtzer von Rang und Namen werden offen verlesen, unter den vielen tausend Besuchern finden sich seit Jahren auch vermehrt fundamentalistische Christen evangelikaler Sekten. Jeder, dem bereits das Weltwirtschaftsforum in Davos oder die Bilderberg-Konferenz kalte Schauer ĂŒber den RĂŒcken laufen lĂ€sst, fĂ€nde auf den AIPAC-Konferenzen Material fĂŒr viele Stunden Grusel und Horror.

2020 kamen noch 15.000 Besucher, die bitteren Erfahrungen mit COVID-19-Spreadern inmitten des Pandemie-Ausbruchs fĂŒhrten jedoch zur Absage der Veranstaltungen von 2021 und 2022 – jene von 2023 fand in kleinerem Rahmen statt. Netanjahu hielt seine unabwendbare Ansprache per Live-Schalte, Joe Biden war direkt vor Ort. Mit keinem Wort kam die rechtsextreme Koalition Israels aufs Tapet, stattdessen die politische Situation in den USA. Die bisherige Strategie, sich nicht direkt in die inneren Angelegenheiten der USA einzumischen, wurde ĂŒber den Haufen geworfen, bei der US-PrĂ€sidentschaftswahl 2024 wollte man mitreden.

Obgleich es noch keine AIPAC-Ă€hnliche Organisation in Europa gibt, ĂŒbernimmt Deutschland erwartungsgemĂ€ĂŸ die Position der USA, spielt dabei alles andere als eine Nebenrolle in der EU und zementiert mit seiner starren Sichtweise das Bild völliger Harmonie zwischen allen Juden dieser Welt und Israel. Es ist weit einfacher, US-amerikanischen Vorgaben zu folgen, als eine eigenstĂ€ndige Außenpolitik zu entwickeln, die universelle Lehren aus dem Holocaust zieht, die ĂŒber ein quid pro quo hinausgehen. Deutschland ist stumpfsinnig willens, Israel alles durchgehen zu lassen, auch wenn dies Apartheid, Diaspora, Deportation, Folter, Kriegsverbrechen, Tötung, unmenschliche Behandlung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verfolgung, VerstĂ¶ĂŸe gegen die Genfer Konventionen und Völkermord beinhalten sollte. Die blasse, heuchlerische und mutlose Außenpolitik des Landes der Richter und Henker im Dritten Reich ist keinem Staat gegenĂŒber hilfreich und hat den brachialen Nebeneffekt, nicht nur den Ruf Deutschlands, sondern auch Europas in der Welt zu ruinieren. Die EU ist fortan eine bedeutungslose Regionalmacht.

AtatĂŒrk oder der Anfang vom Ende aller Hoffnung

Als er vor hundert Jahren, genauer gesagt am 29. Oktober 1923, der erste PrĂ€sident der noch jungen tĂŒrkischen Republik wurde, konnte sich kaum jemand ausmalen, was Mustafa Kemal aus dem einstigen Osmanischen Reich machen wĂŒrde. Die dank ihm sĂ€kularisierte und pro-westliche TĂŒrkei des „AtatĂŒrk“ (Vater der TĂŒrken) genannten Reformers unterliegt heute einer permanenten Erosion, deren wesentlicher Auslöser eine EU der Ausgrenzung und ĂŒberkommenen christlichen Werte ist. WĂ€re die TĂŒrkei mit dem gleichen Elan in das StaatenbĂŒndnis integriert worden, wie es heute im tragikomischen Fall der gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich toxischen Ukraine geschehen soll, hĂ€tte dies das nurmehr unglaubwĂŒrdig wie ĂŒberfordert wirkende BĂŒndnis auf eine völlig andere Machtebene gehievt, bei der die Aufnahme Israels wie PalĂ€stinas unter der Bedingung der Zweistaatlichkeit im Sinne einer neuen eurozentrischen und friedfertigen Levante vorstellbar gewesen wĂ€re. Der hinlĂ€nglich als zerstörerisch bekannte deutsche Provinzialismus verhinderte diese progressive Wirtschaftsregion bis an die Grenze Ägyptens jedoch und setzt die EU spĂ€testens mit dem Brexit einem vom Westen her ausgehenden Zerfallsprozess aus. Im Nahen Osten ist Deutschland schon seit Jahrzehnten Vasall der USA und bevorzugt die Aufnahme von FlĂŒchtlingen gegenĂŒber einer aktiven Rolle zur Entwicklung der Region. An die Stelle Deutschlands und der EU treten nun China und das von Deutschland unter US-amerikanischer Vorgabe ausgegrenzte Russland.

Weder der TĂŒrkei noch der EU blĂŒht eine rosige Zukunft. WĂ€hrend die EU ihr Seelenheil in den maroden USA sucht, verirrt sich die TĂŒrkei in den Phantasien einer Wiedergeburt des Osmanischen Reiches, wie aktuell in Aleppo zu beobachten ist. Obgleich die Erfolgsaussichten der TĂŒrkei durchaus grĂ¶ĂŸer sind, stellen die zahlreichen Stolpersteine auf dem Irrweg zum tĂŒrkischen Imperialismus eine Verkettung von Gefahren dar, deren EinschĂ€tzung den traditionalistischen Technokraten Recep Tayyip Erdoğan zu ĂŒberfordern scheint. Ist die heutige TĂŒrkei ein verlĂ€ssliches NATO-Mitglied oder ein vor allem wirtschaftlich enger Freund Russlands? Steht es Israel oder den PalĂ€stinensern nĂ€her und wird es jemals ein unabhĂ€ngiges Kurdistan an seiner Seite akzeptieren oder nicht?

Zumindest in Sachen Israel, das fĂŒr ihn der „faschistischste und rassistischste Staat der Welt“ ist, hat sich Erdoğan mehr als nur einmal deutlich zu Wort gemeldet, was eine der Konsequenzen des christlich-deutschen EU-Protektionismus ist und ein vorzĂŒgliches Beispiel fĂŒr die Gefahren des „Laissez faire“-Prinzips Deutschlands in seiner einseitigen Beziehung zu Israel darstellt. Deutschland ist neben Israel der Hauptschuldige fĂŒr das Leid der PalĂ€stinenser und verleugnet diese Schuld seit der zionistischen StaatsgrĂŒndung bewusst, obgleich genau dies eine der vordringlichsten Lehren aus zwei angezettelten Weltkriegen sein mĂŒsste. Die TĂŒrkei wiederum ist seit dem Ersten Weltkrieg Opfer Deutschlands im Sinne des Verlustes territorialer Macht als Konsequenz seiner Gefolgschaft zum Deutschen Reich. Die heutigen tĂŒrkisch-deutschen Beziehungen sind wie die tĂŒrkisch-israelischen mittlerweile auf einem Tiefpunkt angelangt, was sich vor allem aufgrund des Netanjahu-Regimes kaum mehr Ă€ndern wird. KĂ€me es zu einer grĂ¶ĂŸeren kriegerischen Auseinandersetzung im Nahen Osten unter Einbeziehung Russlands und der USA, darf bezweifelt werden, dass der NATO-Partner TĂŒrkei Israel dabei verteidigen wĂŒrde. Und ein solcher Konflikt ist nĂ€her als je zuvor.

Die persische Operette

Auch im Iran hat der Wertewesten seine Zukunft verspielt, als er 1953 massiv dabei mithalf, den demokratisch gewĂ€hlten PrĂ€sidenten Mohammad Mossadegh abzusetzen, da dieser zuvor die Ölfelder verstaatlicht hatte. Stattdessen wurde eine westliche Marionette namens Reza Pahlevi zum iranischen Staatsoberhaupt, der mit harter Hand ein Regime fĂŒhrte, das den Großgrundbesitzern zu immer mehr Reichtum und der Landbevölkerung zu immer mehr Hass verhalf. Schah Mohammad Reza Pahlavi war wichtiger, vom 12. bis zum 16. Oktober 1971 mit beispiellosem Prunk und unter Anwesenheit seiner westlichen Kollegen wie dem belgischen, dĂ€nischen, griechischen und norwegischen König, dem luxemburgischen Großherzog sowie Gestalten wie Nicolae Ceaușescu, Yahya Khan, Imelda Marcos oder Suharto in der WĂŒste die iranische Monarchie zu feiern, als rechtzeitig die notwendigen Ventile zur Befriedung seiner ausgebeuteten Untertanen zu öffnen. Noch heute zeugen in Persepolis die Überreste der 50 Prunkzelte, vom Pariser Kitschtempel Maison Jansen entworfen, von der unaufhaltsamen Dekadenz der Operettenmonarchie. SpĂ€testens mit dieser schamlos vorgetragenen Burleske hatte der Schah sein eigenes Todesurteil gefĂ€llt. Am 16. Januar 1979 wurde Pahlavi aus dem Land gejagt und verstarb am 27. Juli 1980 in Kairo. Sein Volk entschied sich nicht etwa fĂŒr eine Regierung Bani Sadrs, sondern fĂŒr den Gottestaat des Ajatollah Chomeini – der Politiker wie der Geistliche kehrten am 1. Februar 1979 im gleichen Flugzeug aus dem französischen Exil in den Iran zurĂŒck. Auch anderthalb Generationen spĂ€ter hat sich diese vom Wertewesten geschaffene Situation kaum verĂ€ndert und sollte als deutliche Mahnung fĂŒr Eingriffe wie zuletzt auch in der Ukraine dienen. Dem gnadenlosen Opportunisten Binjamin Netanjahu ist es nicht minder zu verdanken, dass auch Israel seine sĂ€kularen Prinzipien lĂ€ngst ĂŒber Bord geworfen hat und es sich derzeit irgendwo im Zwielicht von Apartheids- und Gottesstaat bewegt.

Dan Shadurs Dokumentarfilm „Before The Revolution“ (2013)
Dan Shadurs Dokumentarfilm „Before The Revolution“ (2013)

Als der im Gegensatz zu seiner Schwester eher versponnene Schah mittels des Savak-Terrorregimes noch das Sagen in Persien hatte, waren Israelis dort gern gesehen. Eine Situation, deren RĂŒckkehr Netanjahu nur gar zu gerne wiederkehren sĂ€he. In Dan Shadurs Dokumentarfilm „Before The Revolution“ (2013) sprechen sich die jĂŒdischen Profiteure des Shah-Regimes freimutig ĂŒber ihre Zeit im Iran aus, ganz so, als wĂ€ren sie Belgier im Kongo Leopolds II. Die Kibbuz-gewohnten Zionisten hatten plötzlich allesamt ein HausmĂ€dchen, das kochte, saubermachte und die WĂ€sche per Hand wusch. Die vom Westen glorifizierten einzigen Demokraten des Nahen Ostens Ă€ußern sich unbefangen ĂŒber straffe Regimes, die manchen Bevölkerungen ganz gut tĂ€ten und schwĂ€rmen von all den VorzĂŒgen, die zu Zeiten des Schahs fĂŒr sie gegolten hĂ€tten und auf die sie nun leider keinen Zugriff mehr hĂ€tten.

Wir haben nicht einmal von Verbrechen gehört, weil das Regime stark war. Wir haben von keinem Verbrechen gehört. Ich dachte, das ist ein ideales Regime. Ich glaubte, dass ein Herrscher, auch wenn er ein Diktator ist, aber ein liberaler Diktator, möglicherweise besser fĂŒr das Volk sein könnte als ein demokratisches Regime.

Der Buchhalter Ori Bartal in „Before The Revolution“ (2013)

Der blutrĂŒnstige Geheimdienst Savak sorgte zumindest bei einzelnen jĂŒdischen Gastarbeitern fĂŒr Unbehagen, aber das Thema wurde nicht weiter angesprochen, zumal der Mossad an dessen Aufbau maßgeblich beteiligt war. Im großen Ganzen ĂŒberwogen die VorzĂŒge. Nur außerhalb von Teheran habe es gewisse Risiken fĂŒr Israelis gegeben, aber dann gab man sich halt als Deutsche oder (bevorzugt) Franzosen aus. Als die Stimmung im persischen Schlaraffenland schließlich umschlug, konnten einige von ihnen das Land in letzter Minute nur deswegen unbeschadet verlassen, weil sie vorgaben, Vertreter der PLO zu sein 


Wenn Netanjahu den Iran heute als Erzfeind seines Israels sieht, so blendet er dabei bewusst die Vorgeschichte aus und leugnet somit gleichzeitig die Unmöglichkeit einer noch herbei zu bombenden Neuauflage eines Israel-kompatiblen Regimes in Teheran. Er wird stets nur großen infrastrukturellen Schaden anrichten, was seinem Land aber eine immer grĂ¶ĂŸere werdende und lĂ€nger anhaltende Feindseligkeit beschert und die mittelfristige, nicht zuletzt wirtschaftliche, ÜberlebensfĂ€higkeit des Judenstaates unterminiert.

Gandhi ist lange her

Indien scheint mit Israel nichts gemein zu haben, ist aber dessen enger VerbĂŒndeter. Die GrĂŒnde sind in der Konkurrenz zwischen Hinduismus und Islam zu suchen, die der Konkurrenzsituation zwischen Juden und Muslimen in Israel Ă€hnelt. Schon 1940 verlangte die Muslimliga Britisch-Indiens mit der Lahore-Resolution einen eigenen Staat. Mahatma Gandhi, dessen politische Vision ein einheitliches Indien fĂŒr Hindus wie Muslime vorsah, lehnte dies jedoch ab. 1947 kam es nichtsdestotrotz zur StaatsgrĂŒndung Pakistans, das aus den mehrheitlich islamischen Teilen Britisch-Indiens entstand, wĂ€hrend die Gebiete mit hinduistischer Bevölkerungsmehrheit sowie das immer noch islamisch dominierte Kaschmir zum heutigen Indien wurden. Im MĂ€rz 1971 folgte nach dem Bangladesch-Krieg zudem die Abtrennung Bangladeschs von Pakistan.

Der heute regierende indische Staatschef Narendra Modi mag zwar in mancherlei Hinsicht fĂŒr die UnabhĂ€ngigkeit seines Staates stehen, ist jedoch Muslimen gegenĂŒber alles andere als freundlich gesinnt, was die BBC zu Jahresanfang 2023 zur vielbeachteten zweiteiligen Dokumentation „India – The Modi Question” veranlasste. Aus einer solchen Situation ergibt sich die zunĂ€chst etwas merkwĂŒrdig erscheinende Kooperation der Modi-Regierung mit dem Netanjahu-Regime, was unlĂ€ngst dazu gefĂŒhrt hat, dass Israel nun auf indische anstelle von palĂ€stinensischen Gastarbeitern zurĂŒckgreifen will. Dies hĂ€tte zur Konsequenz, dass die zur Vertreibung vorgesehenen verbliebenen Bewohner des Gasastreifens, der von Israel ganz bewusst in einem Zustand wirtschaftlicher AbhĂ€ngigkeit gehalten wurde, nicht ĂŒberleben könnten. Wie schon in der Vergangenheit im Falle ihrer engen Beziehungen zum ehemaligen Apartheidstaat SĂŒdafrika setzen die Zionisten damit wiederum auf die Freundschaft zu einer Nation, deren Hauptanliegen darin zu bestehen scheint, sich entweder einem Teil ihrer Bevölkerung entledigen oder diesen zumindest unterwerfen zu wollen.

Die BBC-Dokumentation „India: The Modi Question“ aus dem Jahr 2023
Die BBC-Dokumentation „India: The Modi Question“ aus dem Jahr 2023

Auch PalĂ€stina hat Freunde und nicht minder falsche. Arabische Diktaturen machen es sich leicht, den Frust der eigenen Bevölkerungen mit Hass auf Israel zu tilgen, wĂ€hrend unter der Hand allerlei zwielichtige Abkommen mit dem zionistischen Staat oder dessen schĂŒtzender Hand, den USA, ausgehandelt werden. Die USA geben vor, wofĂŒr es militĂ€rische Hilfe gibt, auch wenn dies nicht immer wunschgemĂ€ĂŸ umgesetzt wird. Nicht selten zieht Israel daraus einen betrĂ€chtlichen Nutzen, wie dies beim Abraham-Abkommen mit Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Marokko und dem Sudan ursprĂŒnglich der Fall sein sollte.

PalĂ€stina ist seit mehr als 80 Jahren unter militĂ€rischer Besatzung versunken. Die Briten haben PalĂ€stina mit Hilfe und UnterstĂŒtzung der USA an die Juden ĂŒbergeben, die es seit mehr als 50 Jahren besetzt halten; Jahre voller UnterdrĂŒckung, Tyrannei, Verbrechen, Morden, Vertreibung, Zerstörung und VerwĂŒstung. Die GrĂŒndung und der Fortbestand Israels ist eines der grĂ¶ĂŸten Verbrechen, und die USA sind die AnfĂŒhrer der Verbrecher. Und natĂŒrlich ist es nicht nötig, das Ausmaß der amerikanischen UnterstĂŒtzung fĂŒr Israel zu erklĂ€ren und zu beweisen.

Auszug aus dem Schreiben Usama Bin Ladins an das amerikanische Volk
Kairo sitzt bequem zwischen allen StĂŒhlen

Ägypten ist zwar der direkte westliche Nachbar Gasas, möchte das israelische FreiluftgefĂ€ngnis aber auch nicht auf seiner Seite öffnen und verwaltet den GrenzĂŒbergang in Rafah mit großer Sorgfalt. Das ist insofern verstĂ€ndlich, da dies eine ethnische SĂ€uberung durch Israel von arabischer Seite bestĂ€tigen wĂŒrde. Das Land alter und neuer Pharaonen handelte sich damit eine Vielzahl von Problemen ein, von denen der Kostenfaktor nur der geringste wĂ€re. Sein eigenes Volk hat er kaum noch im Griff, wovon die nun versammlungsfeindliche BetonwĂŒste am Kairoer Tahrir-Platz, einst Ort monatelanger Proteste gegen die WillkĂŒrherrschaft Mubaraks, eindrucksvolles Zeugnis ablegt. Neuerliche pro-palĂ€stinensische Proteste Anfang Oktober 2023 an dem Platz, der zwischen arabischer Liga, dem ehemaligen Nile Hilton (heute Nile Ritz-Carlton) und dem Ă€gyptischen Museum liegt, wurden schon nach wenigen Tagen unterbunden. Ägypten vermeidet sĂ€mtliche Schritte, die das palĂ€stinensische Schicksal zu einem weiteren seiner zahlreichen Probleme machen könnte. FĂŒr Israel ist natĂŒrlich alles eine perfekte Lösung, wodurch es sein Territorium ausweiten kann. FĂŒr alle anderen LĂ€nder der Region nicht. Den zionistischen Landhunger kennt Ägypten gut und erinnert sich schmerzhaft an die israelische Besetzung des Sinai vom 29. Oktober 1956 bis zum 7. MĂ€rz 1957 sowie vom 5. Juni 1967 bis zum 25. April 1982. In Jamit sollten bis zu 200.000 israelische Siedler eine neue Heimat finden. Der Plan wurde jedoch durch das Ă€gyptisch-israelische Friedensabkommen zunichte gemacht. Die Ortschaft, in der letztlich nie mehr als 2.500 Menschen lebten, wurde nicht, wie zunĂ€chst geplant, fĂŒr 80 Millionen US-Dollar an Ägypten verkauft, sondern auf Befehl Arik Scharons dem Erdboden gleichgemacht, damit aggressive jĂŒdische Siedler, deren Vorgehensweisen im Westjordanland fortgesetzt von den Augen der Welt beobachtet werden können, nicht der Versuchung erlagen, dorthin zurĂŒckkehren zu wollen.

Wahnsinnige aller LĂ€nder, vereinigt Euch!

Das Westjordanland, das aufgrund der Siedlerproblematik mittlerweile wie ein von Motten zerfressenes KleidungsstĂŒck wirkt, grenzt, wie der Name es vermuten lĂ€sst, an Jordanien. Rechtsnationale Juden bezeichnen die auch Westbank genannte Region revisionistisch JudĂ€a und Samaria und sehen diese mittelfristig vollstĂ€ndig in jĂŒdischer Hand. Bis zu 800.000 jĂŒdische Siedler leben dort sowie im von Israel besetzten Ostjerusalem. Darunter gibt es eine große Zahl US-BĂŒrger, die mithin von den halbherzigen US-Sanktionen gar nicht erst betroffen sind: etwa 60.000 im Westjordanland und 100.000 in Ostjerusalem. Die anti-palĂ€stinensischen Aktionen sind zahlreich und reichen von plumper Gewalt (seit dem 7. Oktober 2023 wurden dort ĂŒber 600 PalĂ€stinenser, darunter ĂŒber 100 Kinder, oftmals unter den Augen der israelischen Armee ermordet) bis hin zu subtilen finanziellen Verlockungen an die ursprĂŒnglichen Bewohner. Das KalkĂŒl lautet, die dort seit ewigen Zeiten lebenden PalĂ€stina-Araber können sich doch einfach in Jordanien niederlassen, ein Land, das ohnehin schon ĂŒber einen offiziellen Bevölkerungsanteil von 1.835.704 registrierten PalĂ€stinensern verfĂŒgt. Wer sich jedoch an den so genannten Schwarzen September 1970 erinnert, der weiß, dass das haschemitische Königreich, welches durch die GĂŒnstlinge des Ersten Weltkrieges bereits um all seine BodenschĂ€tze gebracht wurde, einen völlig anderen Standpunkt vertritt, zumal es zwischenzeitlich bis zu einer Million irakische und 1,4 Millionen syrische FlĂŒchtlinge beherbergen durfte.

Isis, Isil, IS, Daesh, „Al-Daula al-Islamiya fil Iraq wa al-Schamdar“ oder der „Islamische Staat“, ist eine Bewegung, deren Ursprung jener islamische Staat sein soll, der vor fast anderthalb tausend Jahren vom Propheten Mohammed in Madina und Makka gegrĂŒndet wurde. Die Bewegung ist hochgefĂ€hrlich und hat gerade dort einen perfekten NĂ€hrboden, wo die USA und ihre so genannten VerbĂŒndeten Tod und VerwĂŒstung hinterlassen haben. In den postapokalyptischen rechtsfreien RĂ€umen des seit dem 11. September 2001 aussichtslos wie blindwĂŒtig gefĂŒhrten „Krieges gegen den Terror“ gedeihen alle möglichen tödlichen Viren und der Islamische Staat ist nur eine Abart davon. Dass man von dort pro-palĂ€stinensische Parolen vernimmt, kommt nicht weiter ĂŒberraschend, allerdings kann man jenen, die bereits alles verloren haben und deren vielleicht schon zum wiederholten Male neu aufgebaute Existenzen immer wieder zerstört wurden, kaum vorwerfen, dass man sie zu Instrumenten des Hasses missbraucht. Es sind Freunde, die niemand braucht.

Freund und Feind

Bei der Mehrzahl pro-israelischer wie pro-palĂ€stinensischer Gruppierungen ist Skepsis angebracht. Oftmals geht es um Geld und Vormachtstellung, Gerechtigkeit ist dabei beliebtes Verpackungsmaterial. Wenn die USA Israel als antiarabische Vorhut sehen, dann heißt dies in letzter Konsequenz, dass Frieden kein Ziel sein kann und jede vordergrĂŒndig profitable Situation zu weiterer InstabilitĂ€t fĂŒhrt. Keine Besatzungs- und Kriegssituation ist von dauerhaftem Wert, was Israel nicht zu sehen gewillt ist. Wie viele der in PalĂ€stina gelandeten Waffen mögen ihre Herkunft wohl anderen Krisengebieten der USA zu verdanken haben?

Biden hat Putin wĂ€hrend seines gesamten öffentlichen Lebens verĂ€chtlich kritisiert und ihn zu verschiedenen Zeiten als „Kriegsverbrecher“, „mörderischen Diktator“ und „reinen SchlĂ€ger“ bezeichnet. Bei einem persönlichen Treffen mit Putin in Moskau im Jahr 2011 behauptete er, er habe Putin in die Augen gesehen und ihm gesagt: „Ich glaube, Sie haben keine Ahnung, was Sie tun: „Ich glaube nicht, dass Sie eine Seele haben.“ Putin erwiderte laut Biden: „Wir verstehen einander.“

Wenn Religion und Politik zur toxischen Mischung werden: Zitat aus einem Beitrag von Seymour Hersh ĂŒber den noch amtierenden US-PrĂ€sidenten Joe Biden

Einen Satz, den der altersschwache US-Amerikaner kaum jemals Netanjahu gegenĂŒber geĂ€ußert haben dĂŒrfte. Seine Skepsis gegenĂŒber diesem ist plumpe Gaukelei. Das christianistisch-okzidentalistische System, das sich Gestalten wie von der Leyen, Biden und nicht zuletzt auch Trump im Zusammenspiel mit Netanjahu wĂŒnschen, ist alles andere als zivilisatorisch tragfĂ€hig, wie dem Beispiel der Ukraine-Posse zu entnehmen ist. Alle darauf basierenden StaatenbĂŒndnisse werden durch fortwĂ€hrende Reibungen eher geschwĂ€cht als gestĂ€rkt. Eine derart konzipierte EuropĂ€ische Union ist ein ungesundes und kaum widerstandsfĂ€higes Konstrukt. Schon die von den USA gewĂŒnschte Erweiterung in Richtung Osten erfolgte zu schnell und lief fĂŒr Kerneuropa wesentlich unvorteilhaft ab, wĂ€hrend die Chance der Expansion in Richtung SĂŒden vertan wurde.

Evangelikaler Christianismus auch fĂŒr Europa?
Evangelikaler Christianismus auch fĂŒr Europa?

Die neokonservativen und christlich-wiedergeborenen USA schĂ€tzen an ihm den nicht nur vorauseilenden, sondern gar vorwegnehmenden Gehorsam. Binjamin Netanjahu verfolgt kein nachvollziehbares Ziel, seine Konfrontationspolitik ist Selbstzweck. Es ist offenkundig, dass sein fortwĂ€hrend gesĂ€ter Hass nur zur Ernte immer neuen Hasses fĂŒhren wird. Bibi ĂŒbt so oft und lange wie möglich verbale und physische Gewalt gegen Araber und Iraner aus. Mag sein, dass in seinem Kopf noch die wirren Ideen seines Vaters herumspuken, allerdings mĂŒsste er damit zum SchlĂ€chter des gesamten Nahen Ostens werden, dessen Beherrschung er dann unmittelbar im Anschluss verlöre.

Mit seinem Wirken folgt Netanjahu der Tradition der Schlimmsten der Menschheit und spiegelt dabei unter anderem auch das herabwĂŒrdigende Menschenbild des NS-Unrechtsregimes wider. Die vorgebliche Demokratie Israels, die in Wirklichkeit nur noch eine rassistisch-religiös motivierte Politkomödie darstellt, bietet ihm ein unbegrenztes BetĂ€tigungsfeld, woran selbst der jĂŒngste Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs kaum etwas Ă€ndern dĂŒrfte, da dieser Mann – wie viele andere Politiker auch – nur einem Gesetz Folge leistet: dem Gesetz des eigenen Vorteils.

Die Regierung der Vereinigten Staaten muss aufhören, im Zusammenhang mit WaffenverkĂ€ufen an Israel eklatant gegen das Gesetz zu verstoßen. Der Foreign Assistance Act von 1961 und der Arms Export Control Act sind eindeutig: Die Vereinigten Staaten dĂŒrfen keine Waffen an ein Land liefern, das die international anerkannten Menschenrechte verletzt. Abschnitt 620I des Foreign Assistance Act ist ebenfalls eindeutig: Es darf keine US-Hilfe an ein Land geleistet werden, das „den Transport oder die Lieferung von humanitĂ€rer Hilfe der Vereinigten Staaten direkt oder indirekt verbietet oder anderweitig einschrĂ€nkt.“

Bernie Sanders am 18.11.24 in seinem Beitrag Keine weiteren WaffenverkÀufe an Netanjahu

Leicht verstĂ€ndlich, dass Bibi, der Großartige, Rechtsmittel gegen den ihn betreffenden Haftbefehl des Strafgerichtshofs plant und dabei mithilfe der USA den Druck auf besagte Institution zu erhöhen gedenkt, obgleich er sonst von der Hinrichtung vor der oder ganz ohne Verhandlung ĂŒberzeugt ist. Hier stellt sich die Frage, ob er auch bei diesem gefĂŒhlt hundertsten Rachefeldzug die gleichen Druckmittel wie derzeit in Gasa oder dem Libanon einzusetzen gedenkt, der Gedanke dĂŒrfte ihm zumindest gekommen sein: Bibi gegen die ganze Welt! Er ist es gewohnt, weit ĂŒber dem Gesetz zu stehen: gegen 49 Israel betreffende UN-Resolutionen legten die USA bislang ihr Veto ein. Und da diese korrupte Karikatur von einem Mann, dieses mediale Ungeheuer, sowieso immer recht hat, braucht er sich um Beweise nicht zu kĂŒmmern. Dieses Europa wird weiterhin alles tun, was die USA vorgeben, also könnten seine Wahnvorstellungen gar Wirklichkeit werden. Das alles gilt natĂŒrlich nicht fĂŒr Wladimir Putin.

Recht auf Selbstbereicherung

Netanjahus Medienschwank in den USA verdeutlicht, was uns in Europa noch bevorsteht oder worin wir uns bereits befinden: Journalismus verkommt zur propagandistischen Verlautbarungsmaschine fĂŒr den zwielichtigen transatlantischen Politikbetrieb. Am 6. September geschah dies auch unter Beteiligung des berĂŒchtigten bundesdeutschen Versalienblattes BILD, das ein angebliches Hamas-Dokument veröffentlichte, welches der Reinwaschung Bibis dienlich sein sollte. Beim Verlag des Axel CĂ€sar Springer verwundert dies wenig, Medien und Politiker befinden sich dort lĂ€ngst im Bibi-Modus.

Bibi selbst lĂ€sst es sich wĂ€hrenddessen gut gehen. Zeugenaussagen berichteten von Netanjahus permanentem Wunsch nach Geschenken unter Zuhilfenahme von Codewörtern, was auf „eine laufende Versorgung mit Luxuszigarren, Champagner und anderen GegenstĂ€nden“ (wie Schmuck) hinauslief. Es habe „keine Begrenzung, abgesehen von einem Haus“ gegeben. Geschenkgeber war unter anderem der Hollywood-Produzent Arnon Milchan, seines Zeichens fĂŒr die Finanzierung von namentlich passenden Filmtiteln wie „Once Upon A Time In America“ („Es war einmal in Amerika“, 1984), „The Devil’s Advocate“ („Im Auftrag des Teufels“, 1997) oder „Unfaithful“ („Untreu“, 2002) verantwortlich, der sich irgendwann „angewidert“ ĂŒber die fehlenden Grenzen der Netanjahus bei der Bitte um Geschenke fĂŒhlte. Bekommen haben soll Milchan dafĂŒr UnterstĂŒtzung fĂŒr die Ausstellung eines US-Dauervisums und Beihilfe zum Erlass eines gesetzlichen Rahmens, der Milchans Steuerschuld zugute gekommen wĂ€re.

Obgleich der Generalstaatsanwalt, der Generalinspektor der Polizei und der Minister fĂŒr innere Sicherheit allesamt von Netanjahu und seiner Frau persönlich ausgewĂ€hlt wurden, kam es am 21. November 2019 zur Anklage Netanjahus wegen Betrugs und Untreue (Fall 1000 und 2000) sowie wegen Betrugs, Untreue und Bestechung (Fall 4000). Die Ereignisse seit dem Hamas-Vergeltungsschlag vom 7. Oktober 2023 gaben ihm jedoch mehrfach Gelegenheit, die Verhandlung zu verschieben. Unter richterlicher Zustimmung wurde am 5. Dezember 2023 die Zahl der Gerichtsverhandlungen auf zwei Tage pro Woche verringert, wenige Wochen darauf wurde angekĂŒndigt, die Zahl der Verhandlungstage ab Februar 2024 wieder auf vier Tage zu erhöhen. Im Januar hieß es, dass es ab dem 22. des Monats drei Verhandlungstage geben wĂŒrde. Netanjahus Aussage sollte am 2. Dezember 2024 erfolgen. Am 10. November beantragte die Verteidigung, seinen Auftritt um zehn Wochen auf Ende Februar 2025 zu verschieben, was das Gericht am 13. November ablehnte.

In Israel gibt er (Netanjahu) mit wachsendem Ansehen praktisch keine Interviews mehr. Er entscheidet, worĂŒber, wann und mit wem er spricht. Er wĂ€hlt sein Make-up, seine Haarfarbe und sogar die Temperatur des Raumes aus. Wir sehen ihn nicht mehr schwitzen. Wir hören ihn nicht mehr stottern. Er ernennt sich selbst zum Minister fĂŒr Kommunikation.

Auszug aus „King Bibi“ von Dan Shadur

Einstweilen fĂŒhrt dieser Mann einen blutigen Vielfrontenkrieg. Das Katz-und-Maus-Spiel um seine Person dĂŒrfte kein schnelles Ende finden. Auch die Vorstellung, dass er nur zusammen mit seinem Land untergehen will, scheint nicht mehr ausgeschlossen. Die Folgen der Bibifizierung werden zumindest nie zu gewinnende geschweige denn endende kalte oder heiße Dauerkriege sein. Das vermeintlich demokratische, tatsĂ€chlich aber zutiefst gleichgeschaltete, Meinungsmeer, in dem wir indes ersaufen, ist unertrĂ€glich. So entsteht lĂ€ngst keine MĂŒdigkeit oder Verdrossenheit mehr, sondern nur noch Abscheu. Weitere Waffen und Konfrontation lösen keine Probleme, sondern schaffen sie. Die Zeiten haben sich geĂ€ndert und der Westen ist keine FĂŒhrungsmacht mehr. EU und USA sind zunehmend Synonyme fĂŒr Einbildung, Überforderung und ÜberschĂ€tzung: l‘illusion de grandeur, c’est nous! Der Menschheit wĂ€re anzuraten, neben den bereits bestehenden Katastrophen keine weiteren zu suchen.

Dan Shadurs Dokumentarfilm „King Bibi“ (2018)
Dan Shadurs Dokumentarfilm „King Bibi“ (2018)

Das KrebsgeschwĂŒr USA und seine aggressivsten Metastasen Israel und Ukraine wuchern unverĂ€ndert weiter. Auch demjenigen, fĂŒr den in der heutigen Situation nicht mehr allzu viel verstĂ€ndlich erscheint, dĂŒrfte klar werden, dass die USA die Wurzel allen Übels sind und die EU oder deren inkompetente Vertreter alles in ihrer Macht stehende tun, um das Land des Sternenbanners nicht zu verĂ€rgern: irrsinnige Kriege fĂŒhren, aggressive Regierungschefs fördern und dabei die eigenen Bevölkerungen zu vergessen oder als störend zu empfinden – die EU spielt ihre Rolle als US-Wurmfortsatz ĂŒberzeugender denn je.

David Andel