Seine Stimme ist eine Mischung aus Barry White und Isaac Hayes und sein Erscheinungsbild orientiert sich an Letzterem. Der Sizilianer reitet seit Jahren auf einer vor allem regionalen Erfolgswelle, die nach und nach nun auch in nicht-italienische Ohren überschwappt. Am 10. Juni kam Mario Biondi auf einen Abstecher ins Ancienne Belgique. Und obgleich das Konzert bis zuletzt noch nicht einmal auf den WWW-Seiten des Sängers vermerkt war, entsprachen Stimmung und Besucherzahl Auftritten von Lokalpatrioten à la Sttellla. Die italienische Fangemeinde Brüssels war komplett angetreten …
Der 44-jährige sizilianische Sänger, dessen tatsächlicher Name Mario Ranno ist, stellt seit seinem 2006 veröffentlichten Erstlingswerks A Handful Of Soul nicht weniger als eine italienische Kulturgröße dar. Seine Aufnahmen verkaufen sich in heimischen Gefilden ausnahmslos wie warme Semmeln, was selbst für exotischere Projekte wie A Very Special Mario Christmas (2014) gilt. Tragisch jedoch, dass man ihn außerhalb des Stiefels nur per Zufall kennenlernt. Der Ursprung dieses Mankos ist hausgemacht. Die Tendenz, Musik mal eben über die Landesgrenze hinaus zu hören, bleibt schon alleine deswegen eine Seltenheit, weil die Pflege von Mikrokulturen mittlerweile zur Daseinsberechtigung vieler regional-kommerziell orientierter Rundfunkanstalten oder Streaming-Konstrukte geworden ist – je Zielgruppen-orientierter, desto besser.
Der Abend fing gut an, denn die Veranstalter ließen Gnade walten und den als „Vorgruppe“ angekündigten DJ Te Ki La nicht aus der leergefegten Lobby heraus. Auch die Angst des zunächst übermäßig leeren Hauptsaals verflog schon nach kurzer Zeit, selbst die hinteren Reihen füllten sich bis zum Konzertauftakt um 20 Uhr 30. Was dann folgte, war ein Auftakt à la Frank Sinatra in Vegas – Fans kennen das Ritual aus dem Album Sun (2013): überschwängliche Jazzfanfaren samt Ankündigung „Ladies and Gentlemen: introducing Mario Biondi!“ tönen aus der PA, er selbst folgt mit einem „Bonsoir, tout le monde, stanno tutti bene?“ – der Saal stimmt lauthals in mehreren Sprachen gleichzeitig zu. Biondi trägt ein seltsames Outfit, die markante Glatze verbirgt sich unter einer Kopfsocke und der Bart ist seit dem letzten Album „Beyond“ ebenso ergraut wie verwildert, vor der Slim-Fit-Lederhose wedelt eine Art Schürze. Biondi ist ein Hüne und er überschattet mühelos seinen auf einem Podest stehenden Saxofonisten Marco Scipione. Aber alle Äußerlichkeiten sind schnell vergessen, denn sobald Mario Biondi die erste Silbe singt, geraten seine Zuhörer entweder in Ekstase oder verfallen in ungläubiges Schweigen – die Stimme trifft wie ein Blitzschlag, die Sessel beben, manche Damen haben Tränen in den Augen. Biondi braucht keinen Anheizer, er heizt gleich selbst.
Sein Gesang geschieht mühelos und ohne Firlefanz. Hier tritt ein Profi auf, der keine falschen Tatsachen vorspiegeln oder stimmliche Grenzen umschiffen muss. Den Einstieg macht der Dauerbrenner „A Handful Of Soul“, komponiert vom serbischen Jazztrompeter Dusko Gojkovic. Der Textanteil des Songs stammt vom 2005 verstorbenen Jazz-Bassisten Jimmy Woode, den manche deutschsprachige Musikliebhaber aus seiner Zusammenarbeit mit Helge Schneider kennen. Weitere Titel aus Biondis Erstlingswerks folgen, denn er verleugnet seine frühen Erfolge nicht und füllt damit gut die erste Konzerthälfte. Das Publikum weiß dies zu schätzen, folgt auch ohne Aufforderung dem Rhythmus klatschend oder singt den Refrain gleich mit, sodass die fehlenden Background-Sängerinnen Romina und Miriam Lunari gar nicht weiter auffallen. Der Sound ist insgesamt sehr dynamisch, die hohe Lautstärke ausgesprochen willkommen.
Biondi trifft nach wie vor eine eigenbrötlerische Musikauswahl, die zunächst stark vom Jazz geprägt war, jüngst aber auch kommerziellere Dancefloor-Varianten auslotet. Das geht mit dem unsäglichen Pop-Trallala I Chose You (zum Glück an jenem Abend ausgelassen) manchmal schief, klappt bei All Of My Life (tanzend vorgetragen, beides aus seinem jüngsten Album Beyond) aber ausgesprochen gut, bleibt er doch vorwiegend auf einem Qualitätsniveau, das sowohl neue als auch alte Zuhörer gleichermaßen bei der Stange hält. Er spannt Genre-Brücken besser als der in späten Jahren im Kitsch versunkene Lou Rawls und beherrscht den Crooner überzeugender als der Kaffeetanten-Gigolo Jamie Cullum. Und zu Jazz-Größen wie wie Kurt Elling wahrt er einen musikalisch geschickten Abstand, der eine Konkurrenzsituation gar nicht erst entstehen lässt. Elling wie Biondi lassen sich je nach Stimmung und Zweck gleichermaßen gut in jeder Musiksammlung vereinen.
Wer je das GlĂĽck hatte, Biondi mal leibhaftig zu erleben, der wird seine Musik nicht so schnell ad acta legen. Ăśberall dort, wo er bislang auftrat, hinterlieĂź er einen bleibenden Eindruck, was seinen immer noch viel zu geringen Bekanntheitsgrad fortwährend erhöht und seinem vielfältigen Talent gerecht wird. Sein Repertoire ist mittlerweile fĂĽr etliche Stunden der Zerstreuung ausreichend und die Tatsache, dass er bis auf seltene Ausnahmen wie die am Abend auch vorgetragene Eigenkomposition La Voglia La Pazzia L’idea (aus dem Album Sun, 2013) fast grundsätzlich in Englisch singt, dĂĽrfte einem internationalerem Erfolg kaum abträglich sein. Auf der BĂĽhne kann man von Mario Biondi alles erwarten, da er sowohl mit kleineren Besetzungen als auch ĂĽppigen Bigbands nicht nur harmoniert, sondern stets ein Maximum herausholt. In BrĂĽssel setzte sich die Band aus fĂĽnf dynamischen Musikern zusammen, die ebenfalls als Background-Chor zur VerfĂĽgung dienten: neben dem schon erwähnten Saxofonisten Marco Scipione war am Schlagzeug Alessandro Lugli, am Bass Federico Malaman, am Keyboard ein entspannter Massimo Greco und David Florio mit Gitarre, Percussions und Flöte. Fabio Buonarota an der Trompete fehlte diesmal, doch lag dafĂĽr der Eintrittspreis mit 28 Euro auf demokratischem Niveau.
Die etwas schwache Ballade There’s Not One Like You (aus dem Album Sun, 2013) macht sich live besser als erwartet und dient als willkommene Pause feinerer Töne. Biondis eingestreute und meist auf Italienisch vorgetragene Anekdoten sind nicht perfekt pointiert, dennoch aber charmant. So erzählt er vom exotischen BrĂĽsseler Wetter, das im Schatten eisig und der Sonne heiĂź wäre oder seinen Problemen, den Flug nach „Brussels“ zu finden, was man in Moskau angeblich erst als „Brouksell“ vorgetragen verstand. Die weiteren Titel im Verlauf des Abends waren I’m Her Daddy, Rio De Janeiro Blue, A Child Runs Free (alle aus dem Album A Handful Of Soul, 2006), Ecstacy (aus dem Album If, 2009), My Girl (aus dem Album Due, 2011), Never Stop, Shine On, What Have You Done To Me, die Incognito-Koproduktion Lowdown (alle aus dem Album Sun, 2013), Open Up Your Eyes, Love Is A Temple, und Blind (alle aus dem Album Beyond, 2015). Das Konzert schlieĂźt mit der Zugabe This Is What You Are (aus dem Album A Handful Of Soul, 2006) und einem trotz der Sitzplätze entfesselt tanzenden Publikum – wer sich in der ersten Reihe glaubte, der blieb an diesem Abend nicht alleine. Zu guter Letzt schĂĽttelte Mario noch dutzendweise Hände und der Saal leerte sich widerwillig in einer Fellini-haften Atmosphäre, italienische Sprachfetzen ĂĽberall.
David Andel