Mohammed Abdel Hakim Amer (links) mit Gamal Abdel Nasser (rechts)

Wie starb Amer?

In Ägypten hat die letzte Phase der seit drei Jahren verborgen schwelenden und seit drei Monaten offen ausgetragenen inneren MachtkĂ€mpfe begonnen. Abdel Nassers „zweiten Mann“, Mohammed Abdel Hakim Amer, gelang nach zwei vergeblichen Versuchen — wie das Regierungsblatt „Al-Ahram“ behauptete – der Selbstmord.

In Kairo wĂŒtet der Terror; Massenverhaftungen erreichten, besagen nach Beirut gedrungene Meldungen, uferlose Ausmaße. 70.000 Regimegegner fĂŒllen Konzentrationslager und GefĂ€ngnisse. Politische und militĂ€rische WĂŒrdentrĂ€ger aller RĂ€nge, koptische Beamte und jĂŒdische Intellektuelle verschwanden plötzlich von der BildflĂ€che. Man spricht von heimlichen Hinrichtungen ohne jegliches Gerichtsverfahren. War auch der Tod des Feldmarschalls ein politischer Mord?

Der organisierte Terror zerschlug auch teilweise die Informationsnetze auslĂ€ndischer Geheimdienste. Fremde Korrespondenten verließen, bis auf wenige Ausnahmen, das Land. Die Nachrichtenverbindungen sind hĂ€ufig unterbrochen. Folglich gibt es nur unzulĂ€ngliche und widersprĂŒchliche Lageberichte. Die GerĂŒchte in Beirut ĂŒber einen RĂŒcktritt Abdel Nassers lassen aber darauf schließen, daß seine Machtstellung seit dem Tod seines engsten GefĂ€hrten erschĂŒttert ist. Amer war nicht nur Ă€ltester Freund und wichtigster Mitarbeiter Abdel Nassers, sondern galt lange auch als aussichtsreichster Nachfolgekandidat.

GegensÀtze ziehen sich an 


Der ehemalige Erste VizeprĂ€sident und Feldmarschall Amer wurde 1919 in dem Dorf Istal in der oberĂ€gyptischen Provinz Al-Minia geboren. 1939 verließ er die MilitĂ€rakademie Abbasia bei Kairo, die Ă€gyptische St.-Cyr, mit dem Leutnantspatent. Nach Kriegsausbruch kam er in den Sudan. Dort, in der Garnison Dschebel Aulia, traf er auf den knapp zwei Jahre Ă€lteren Gamal Abdel Nasser und stieß zu der damals gerade von diesem gegrĂŒndeten antimonarchischen Verschwörergruppe der „freien Offiziere“. GegensĂ€tze ziehen einander an, folglich waren der hitzköpfige und leicht aufbrausende Amer und der ruhige und eher trĂ€umerische Abdel Nasser bald enge Freunde.

Im ersten PalĂ€stina-Krieg, 1948, gehörte Major Amer zu den wenigen tapferen arabischen TruppenfĂŒhrern. Vier Jahre darauf hatte er eine SchlĂŒsselposition bei dem Staatsstreich der „freien Offiziere“. Der noch nicht DreiunddreißigjĂ€hrige wurde Mitglied der MilitĂ€rjunta, 1953 Generalmajor und Kriegsminister, 1956 Oberbefehlshaber, 1958 Feldmarschall und Erster VizeprĂ€sident. Kenner der VerhĂ€ltnisse bezeichneten ihn immer als verlĂ€ĂŸlichsten AnhĂ€nger Abdel Nassers.

Es gibt ein Erinnerungsbild, das die Offiziersverschwörer nach der MachtĂŒbernahme zeigt. Von den elf Kampfgenossen, die es zeigt, sind drei inzwischen tot und vier Staatsgefangene: Mohammed Nagib, der erste PrĂ€sident, Abdel Latif al-Baghdadi, Kamal Eddin Hussein und Hassan Ibrahim. In den Kulissen kam es schon bald nach dem Staatsstreich zu rĂŒcksichtslosen MachtkĂ€mpfen im zweiten Glied und um den ersten Platz. Nur Amer war es zu danken, daß Abdel Nasser sich behaupten und seine AnhĂ€nger und Konkurrenten gegeneinander ausspielen und matt setzen konnte.

Amers „Dolce vita“

Der Feldmarschall blieb seinem Freund unerschĂŒtterlich treu und, was wichtiger war, gewann steigende Beliebtheit in der Armee. Genau das war allerdings ein zweischneidiges Schwert: Amer sicherte dem Diktator zwar die Gefolgschaft des Offizierskorps, indem er es zum ersten Machtfaktor im Staat und zum grĂ¶ĂŸten Nutznießer des Regimes machte. Doch er versank im „sĂŒĂŸen Leben“. Er galt als haschischsĂŒchtig und hielt sich, obwohl er verheiratet war und mehrere Kinder hatte, hĂ€ufig Freundinnen. In den sechziger Jahren wurde eine seiner Favoritinnen, eine fette algerische SĂ€ngerin mit dĂŒnner Stimme, Star des Ă€gyptischen Fernsehens. Sein schlechtes Beispiel verfĂŒhrte die Offiziere, und es gab sogar mehrere nur mĂŒhsam vertuschte KorruptionsfĂ€lle in seiner engsten Umgebung.

Die Folgen blieben nicht aus; die Armee erlitt im Sinai-Feldzug und im Jemen-Konflikt verheerende Niederlagen. Amer war wohl auch hauptverantwortlich fĂŒr die militĂ€rische Katastrophe im diesjĂ€hrigen Juni-Krieg gegen Israel. Auch politisch hatte er wenig GlĂŒck. Er war „Held der Sowjetunion“ und erlangte – im November 1957 und im Juli und Oktober 1958 in Moskau – die bis heute andauernden sowjetischen Waffenlieferungen. Sie ersparten seinen Soldaten jedoch keine einzige Niederlage.

Im September 1961 flog er nach Damaskus, um die zerfallende Union mit Syrien zu retten. Es gelang ihm nicht, die Sezession zu verhindern, und er wurde von den AufstÀndischen im Schlafanzug ergriffen und abgeschoben. Anfang Juni dieses Jahres hÀtte ihm beinahe noch einmal ein Àhnliches Schicksal gedroht. Nur eine knappe Viertelstunde, bevor israelische Truppen den Ghazastreifen besetzten, konnte er von dort entkommen.

Der mittelmĂ€ĂŸig begabte Offizier wĂ€re ohne seine verhĂ€ngnisvolle Freundschaft zu Abdel Nasser vermutlich nie bekannt geworden. Er war durch die ihm nach dem Umsturz, 1952, zufallenden Ämter ĂŒberfordert. Dennoch blieb er die wichtigste StĂŒtze Abdel Nassers. Erst vor rund zwei Jahren heiratete sein Sohn eine von dessen Töchtern. Damals munkelte man allerdings schon von schwerwiegenden politischen ZerwĂŒrfnissen zwischen den Freunden. Amer soll sich gegen die Jemen-Intervention ausgesprochen haben und war nach Ansicht des britischen Feldmarschalles Montgomery gegen den provokatorischen Aufmarsch in der Sinai-WĂŒste.

Horst J. Andel