Der Saustall

Der Saustall

Die EU-Kommission ist eine der undemokratischsten Strukturen der Eurokratie, wird seit Jahrzehnten von der Direktwahl der Bürger ferngehalten, teilt sich selbst aber immer mehr Aufgaben zu, die direkt in das Leben besagter Bürger eingreifen. Währenddessen zeichnen sich die Mitglieder jenes Staats im EU-Staate zunehmend durch befremdliche Verhaltensweisen aus. Jüngstes Beispiel ist die Lotterie-Spielsucht des ehemaligen EU-Kommissars für Justiz und Rechtsstaatlichkeit Didier Reynders (MR).

Als am 30. März eine Führung der FTGB-Gewerkschaftsjugend durch das Quartier du Prince d’Orange – einem der teuersten Viertel Brüssels – führte, war die Empörung groß, fühlten sich doch viele der dort lebenden politischen wie ökonomischen Oligarchen in ihrer Privatsphäre gestört. Das Ganze fand auch noch unter Teilnahme einer fachkundigen Soziologin statt, die unter anderem diskutieren sollte, wie man reich wird, wie dadurch Ungleichheiten zunehmen, welche Rolle ein Erbe dabei spielt und wie sich Vermögen im städtischen Raum verteilen.

Jeder hat das Recht, in alle Stadtteile zu kommen, auch nach Uccle, aber jede Demonstration muss vorher genehmigt werden. Sobald ich ihren Antrag erhalten habe, wird er geprĂĽft, und um Probleme zu vermeiden, kann ich die Polizei um UnterstĂĽtzung bitten.

Der Bürgermeister von Uccle, Boris Dilliès (MR), über die in seiner Partei offenbar unbeliebte Führung

Alles verlief in ruhigem Rahmen, Polizei war nicht beteiligt und Straßenkämpfe unbezasterter Linker mit ausrastenden Milliardären blieben aus. Das Ganze erinnerte eher an die touristischen Zurschaustellungen der Anwesen überglorifizierter Darsteller in Beverly Hills. Man sah die Villa des Unternehmers Georges Forest, der sein Geld im von Belgien bereits ein klein wenig ausgebeuteten Kongo machte, die ehemalige Wohnung des französischen Milliardärs und Steuerflüchtlings Bernard Arnault (LVMH) oder die ganz und gar asbestfreie Villa der Familie vom Eternit-Gründer Alphonse Emsens. Was man aber auch sah, das war das Haus des MR-Politikers Didier Reynders:

Wir werden vor dem Haus von Didier Reynders anhalten. Er selbst ist zwar kein Superreicher, hat aber als Finanzminister viel fĂĽr sie getan.

Der Kommunikationsverantwortliche und Sozialkulturarbeiter Hugo Boutsen ĂĽber Didier Reynders

Das Gebäude mit den blauen Fensterläden wusste nicht besonders zu beeindrucken, der Lütticher Sohn eines Handelsvertreters und der Betreiberin eines Tante-Emma-Ladens stammt aus eher kleinen Verhältnissen. Sein Sinn für Ästhetik mag darunter gelitten haben, der für Geld war aber stets ausgeprägt. Im Laufe seiner Karriere erarbeitete sich Reynders einen derart zweifelhaften Ruf, dass er im Norden des Landes schlechthin als „Teflon-Reynders“ galt – die Zahl der meist finanziellen Unregelmäßigkeiten um ihn herum wurde zwar immer größer, sämtliche legale Konsequenzen glitten aber an ihm ab.

Didier Reynders Ansehen war bereits derart gering, dass es kaum mehr abwärts gehen konnte. So war er 2008 in die Fortis-Affäre verwickelt, die zwar zum Rücktritt von Premierminister Yves Leterme führte, nicht jedoch von seinem Finanzminister Didier Reynders. 2009 dann kam es zu einem unerwarteten Verlust von Steuereinnahmen über mehrere Milliarden Euro. Die Finanzbehörde hatte Finanzminister Reynders zwar mehrfach gewarnt, dieser indes zog es vor, sämtliche Hinweise zu ignorieren – wiederum kein Rücktritt.

Im so genannten Kasachgate von 2011 wurde ihm beinahe die Einbürgerung des kasachischen Milliardärs Patok Chodiev zum Verhängnis. Der französische Präsident Sarkozy hatte 2011 den Präsidenten des belgischen Senats Armand De Decker (MR) dabei um Hilfe gebeten, Chodiev und seine zwei Geschäftsfreunde durch ein neues Gesetz vom Vorwurf der Urkundenfälschung, Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung freizusprechen. Von Bestechungsgeldern Chodievs i. H. v. fünf Millionen Euro, gezahlt über dessen Anwältin Catherine Degoul, war die Rede. Es folgte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Klärung der Zusammenhänge zwischen der Anwaltstätigkeit De Deckers und politischer Einflussnahme. Am 17. Juni 2017 trat Armand De Decker als Bürgermeister von Uccle (zufällig die Gemeinde, in der sich obiges Viertel befindet) zurück, auch hier folgten freilich keine Konsequenzen für Finanzminister Didier Reynders. Trotz des Todes De Deckers im Juni 2019 ermittelt die Staatsanwaltschaft allerdings immer noch.

In seiner neuen Funktion als Außenminister wurde es nicht besser. Selbst die Affäre um den illegalen Zugriff auf international sanktionierte libysche Staatsgelder im Jahre 2012 führte nicht zu seinem Sturz, obgleich Reynders unbestritten auf dem Laufenden war und seinen Amtskollegen in einem Brief darüber aufklärte, dass die eingefrorenen Gelder durchaus verwendet werden könnten, da eine Regelung der EU vorsehe, Teile dieser Beträge für die neue libysche Regierung freizugeben, so das Geld für humanitäre Zwecke benutzt würde. Reynders überreichte mit dem Schreiben eine Liste von Nutznießern, darunter unter anderem der Waffenhersteller FN Herstal.

Nicolas Ullens (vollständig: Nicolas Ullens de Schooten Whettnall), Mitarbeiter der Staatssicherheitsbehörde von 2007 bis 2018, übergab im April 2019 der belgischen Polizei ein eindrucksvolles Dossier, in dem wiederholt die Namen Didier Reynders und dessen rechter Hand Jean-Claude Fontinoy (damals Präsident der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCB) auftauchten. Neben den bereits bekannten Affären, bislang ohne juristische Konsequenzen, kamen weitere schwere Fälle von Korruption und Geldwäsche, unter anderem im Zusammenhang mit dem Bau der belgischen Botschaft in Kinshasa, von diversen Bahnhöfen der SNCB sowie dem Umzug der belgischen Bundespolizei in ein Gebäude, das vom Staat an eine private Firma verkauft wurde, aufs Tapet. Weiter gab Ullens vor, er wäre im August 2015 aufs Abstellgleis geschoben worden, als ein Mitglied des Kabinetts Reynders einen hohen Posten im Staatssicherheitsdienst bekleidet hätte.

Anstelle unmittelbarer Ermittlungen in Richtung Reynders und Fontinoy wurde Ullens nahegelegt, er solle auf Frau und Kinder achten und fortan die Finger von politischen Angelegenheiten lassen. Schließlich versetzte man ihn in die Anti-Dschihadismus-Abteilung, womit die Geschichte um Ullens aber noch nicht endet. Nicolas Ullens, dessen Familie durch den Verkauf der Raffinerie Tirlemontoise 1989 an Südzucker mehrere Milliarden einnahm, erschoss am 29. März 2023 seine Stiefmutter Myriam Ullens in ihrem Fahrzeug, während sein Vater auf dem Beifahrersitz saß. Ullens war der Ansicht, dass die Frau an Papas Seite mit Geld um sich warf und das Familienerbe verschleuderte.

Doch kommen wir zurück zu Reynders und seinen Affären. Am 3. Dezember 2024 machte der ehemalige Parteivorsitzende des Mouvement Reformateur (MR) und bis zum 30. November 2024 EU-Kommissar für Justiz und Rechtsstaatlichkeit ein weiteres Mal Schlagzeilen. Dieser Mann, weiterhin Schatzmeister der Liberalen Internationale, Lehrbeauftragter an der HEC Liège und Gastprofessor an der Katholischen Universität von Louvain, der eigentlich vorhatte, Generalsekretär des Europarates zu werden und damit scheiterte, dieser Mann wird nun erneut der Geldwäsche verdächtigt.

Ja, das ist ein Charakterzug. Ich hebe alles auf und wenn ich mal eine Sammlung beginne, bringe ich sie auch zu Ende. Ich bewahre die Stifte von Treffen auf, ich bewahre Taschen auf, ich werfe nichts weg. Es scheint ganz so, als wäre ich konservativ (er lacht).

Didier Reynders am 12. August 2015 ĂĽber seinen Sammeltrieb

Der 66-jährige Bewohner des Hauses mit den blauen Fensterläden, der kaum unter Geldproblemen leiden dürfte, wurde der Geldwäsche mittels Lotterielosen verdächtigt, die Nachforschungen dazu laufen schon seit vergangenem Jahr. Reynders habe seit etwa fünfzehn Jahren bargeldlos und seit etwa fünf Jahren in bar sowie in „relativ hohen Beträgen“ so genannte E-Tickets gekauft, also Lose von 1 bis 100 Euro, die es an allen Verkaufsstellen gibt und deren etwaige Gewinne zunächst auf ein Spielkonto der Nationallotterie und anschließend auf ein beliebiges Girokonto übertragen werden können, im vorliegenden Fall das von Reynders. Die Glücksspielgesellschaft erlaubt zeitlich und räumlich begrenzte Hinterlegungen von 500 € pro Woche in Stückelungen zu maximal 100€.

Dies würde zu Kosten der Geldwäsche von 40% führen. Bei einigen Spielen stiege der Gewinn auf 78%. Aber wenn es um die Geldwäsche einer großen Summe geht, ist das ein sehr mühsames und eher grobes Verfahren

RTBF-Journalist Baptiste Hupin am 5. Dezember 2024 ĂĽber die Reynders-Strategie

Gehen wir von durchschnittlich 40.000 verlorenen Euro bei zu waschenden 100.000€ aus, bleiben bei der ganzen Aktion letztlich 60.000€ und eine mögliche Gefängnisstrafe übrig. Der Politiker sieht sich indessen in der Pflicht stehend, die Herkunft von rund einer Million Euro nachweisen zu müssen – in Losen ausgedrückt ergibt sich abgesehen von der Menge ein beträchtliches Quantum an Besessenheit und/oder Irrsinn. Haus und Zweitwohnsitz von Reynders wurden bereits von den Ermittlungsbehörden durchsucht, er selbst verhört. Bislang wurden dabei Barmittel i. H. v. 7.000 Euro gefunden. Reynders selbst weist wenig überraschend alle Vorwürfe zurück. Oder gleiten sie an ihm ab?

David Andel