Zahllose Nächte müssen US-Neokonservative vom Nahostfinale einer billigen Rohstoffkolonie südlich der Türkei geträumt haben und fabulierten von Domino-Theorien in diesem Sinne, Putin hingegen sieht in Syrien nur mehr klar mit Wodka. Und tatsächlich sei der Expertenmeute mit militärischem Beißreflex eine Wodkakur anempfohlen, denn nüchtern führten sie uns doch nur nach Absurdistan.
Jene, die uns glauben machen wollen, all das noch reparieren zu können, was in der Levante mittlerweile kaputt gegangen ist, sind nicht besser als fanatische Wunderheiler eines Sterbenden, eines jedoch schon seit hundert Jahren Dahinsiechenden, der immer neuen Kuren aus Schlangenöl und Quecksilber ausgesetzt ist. Die Zukunft der Syrer ist wie die Vergangenheit der Libanesen. Dort wurden fünfzehn Jahre heißer Bürgerkrieg von zwanzig Jahren kaltem Bürgerkrieg abgelöst und Fatalismus wie Zynismus längst Gesellschafter des Alltags. Inmitten jenes stabilen Ungleichgewichts entrechteter palästinensischer Flüchtlinge, verzweifelter syrischer Gastarbeiter, eklig protzender Saudis und versklavter Asiaten findet sich keine harmonische Lebensgrundlage mehr. Nicht lange ist es her, dass Libanesen im eigenen Land Urlaub machen mussten, um die im Bürgerkrieg unerreichbaren Stätten wie Baalbek, Byblos oder Tripoli erstmals zu sehen. Kaum fünfzehn Jahre später saßen in den gleichen Bussen traumatisierte Iraker, die sich mit ungeliebter fremder Hilfe soeben ihres Diktators entledigt hatten. Und schon droht mit jedem Tag ein Funke aus Syrien das Großfeuer erneut zu entfachen, vor dem alle Angst haben, auch die Fatalisten und Zyniker. Jeder schießt auf jeden, religiöse, ethnische und familiäre Bündnisse, die sich einander ohnehin nie geheuer waren.
Nein, zu stark könnte solch ein Wodka-Rausch gar nicht sein, denn Syrien ist noch schlimmer als der Libanon. Hier treffen seit Jahrzehnten Gegensätze aufeinander, die auf verschiedenen Planeten besser aufgehoben wären. Im Syrien der letzten fünfzehn Jahre herrscht ein fast tropisch anmutender Leichtsinn. In den Restaurants der Hauptstadt stellen Christen mitten auf dem Tisch demonstrativ ihre Whisky-Flasche zur Schau während außen junge Schönheiten mit iPod oder iPhone in den Straßen herumstolzieren und junge Männer mit öligen Haaren und spitzen Schuhen lautem Techno frönen. Trotz Diktatur ist an Syrien nichts mehr homogen, längst entwickelte sich das Land in völlig unterschiedliche Richtungen auseinander. Regimetreue Studenten einerseits, ironisch-verklärte alte Intellektuelle andererseits, zunehmend intolerante Kleriker, Flüchtlinge aus Palästina und dem Irak sowie überall die Schärfe einer sich emanzipierenden Jugend – Cafés, Eisdielen, Bars, Einkaufsstraßen in Aleppo und Damaskus sind voll davon, eine ewig vernachlässigte Jugend im Aufbruch.
Wer das alte Syrien des alten Assad kannte, in dem lärmende Kinder auf der Straße noch von Polizisten geohrfeigt wurden, der konnte sich nur schwer an das neue Syrien des neuen Assad mit seiner sympathisch-klugen und ansehnlichen First Lady ohne jegliche Berührungsängste mit dem Volk gewöhnen. Alles schien möglich, der Wandel war radikal, geschah aber ohne großen Lärm. Was die erste Dame des Landes zu sagen hatte, das ließ hoffen. Während sie eine Schule nach der anderen besuchte, ermutigte sie junge Mädchen zur Emanzipation und Fortbildung, nicht etwa zur Anpassung und Familiengründung. Das gab es in keinem Nachbarland, noch nicht einmal beim von Populisten befallenen zionistischen Feind, der seine Fundamentalisten hegt, pflegt und blind gewähren lässt. Vielleicht könnte man Syrien noch vorm arabischen Frühling retten, ließe man den Augenarzt nur gewähren?
Alles nur Makulatur, sagen viele. Noch immer benahm sich die Diktatorenfamilie wie ein Haufen verzogener Kinder. Und wenn es denn jemandem aus deren Dunstkreis gefiel, dann wurde auch kurzerhand die erst vor zwanzig Jahren neu geteerte Straße zum Hauptstadt-Flughafen gesperrt und als Rennstrecke herangezogen. Das alles fand natürlich nicht unbemerkt von jenen Sorglosen statt, die dort im Auftrage der Vereinten Nationen ihren Dienst taten. Und die wussten oft derlei Anekdoten zu erzählen. Leben ließ es sich in Syrien wie ein König – Hauptsache nur, man tat es mit Geld aus dem Ausland oder war Feind des Staatsfeindes Israel. Alle anderen überlebten, mal mehr, mal weniger gut.
Dass das nicht gutgehen konnte, wurde deutlich, als vor zehn Jahren eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Gestalt von Unmengen gelber Taxis iranischer Bauart auftauchte. Sahen so etwa Reformen des Sohns vom alten Nussknacker aus? Gefahren werden sollte dieses Transportüberangebot auch von einer bislang vergessenen arbeitslosen Jugend. Deren Schweigen wollte sich die Regierung mit diesem und anderen Ablenkungsmanövern billig erkaufen, nur geschwiegen haben die natürlich nicht. Dass aber eine Protesthochburg ausgerechnet in der Stadt Homs sein würde, über deren Einwohner sich das ganze Land ansonsten Witze im Ostfriesenstil erzählt, das ist nur eine von viel zu vielen Cocktail-Kirschen im Wodka-Glas.
David Andel