So klein es ist, so groß die Nachwirkung. Kaum war die Katze aus dem Sack, gerieten die Apple-Fans auch schon in Ekstase. Erst jetzt, Wochen nach der Vorstellung, macht sich eine gewisse Ernüchterung breit. Wieso fehlt UMTS, wieso ist der Akku nicht zugänglich, was ist mit den Fingerabdrücken am Display? Ganz egal aber, der iPod-Effekt wird alles beiseite wischen, auch der iPod war ein nicht ganz ausgereiftes Gerät, verkauft hat er sich dennoch unzählige Male. Apples iPhone wird das erste nahtlos in Mac OS X integrierte Telefon sein, denn es verwendet selbst OS X. Die Zeit, in der es allerlei externer Software-Lösungen bedurfte, um die technischen Möglichkeiten des jeweiligen Telefons vollständig zu nutzen, dürfte mit dem iPhone endgültig vorbei sein.
Wer einmal den Support-Artikel „Hinzufügen eines Bluetooth Faxgeräts“ gelesen hat, der kann gar nicht glauben, dass es derart kompliziert sein soll, ein lächerliches Fax per Mobilfunk zu versenden – die beschriebene Lösung enthält dann auch noch den irritierenden Hinweis: „Außerdem wird diese Funktion nicht von AppleCare unterstützt“. Der Datenabgleich zwischen Mac OS X und dem iPhone schließlich dürfte Apples Mobilfunklösung für Mac-Anwender absolut unentbehrlich machen – zusammen findet, was zusammen gehört.
Während es im Juli 2002 hieß, „Apple hat außerdem die Zusammenarbeit mit Cingular und Sony Ericsson bekanntgegeben, um Mac-Anwendern eine einfach zu bedienende, integrierte ›Mac to Mobile‹-Lösung bieten zu können“, wird besagte ›Mac to Mobile‹-Lösung wohl erst jetzt Wirklichkeit. Sony Ericsson war längst zu sehr Konkurrent denn Kooperationspartner, hat sich mit dem Walkman-Markenzeichen auf seinen Telefonen gegenüber dem iPod-Hersteller gar fundamental ins Abseits manövriert. Aber auch der Ende 2005 offiziell abgesegnete iTunes-Ansatz ROKR E1 von Motorola war eher das Gegenteil dessen, was Apple-Nutzer erwartet hatten. Fast schien mit dem ROKR E1 der Beweis erbracht, dass Computer und Telefone eben doch zwei verschiedene Welten sind. Und wer sich vor Augen führt, dass es mit 250 US-Dollar samt Zweijahres-Vertrag mit Cingular gerade mal die Hälfte dessen kostete, was für das iPhone veranschlagt werden soll, dem dürfte schnell klar werden, welch gewaltiger Fortschritt mit der Apple-Neuentwicklung erzielt wurde.
Perfekt ist das neue Produkt natürlich nicht, zumal es als Vertreter der ersten Generation bei Apple so allerlei Kinderkrankheiten mit sich bringen dürfte. Wer auf noch nicht vorhandene Features wie die Unterstützung von UMTS pocht, sollte sich einfach Jobs’ Keynote nochmals anhören. Kurz nach der 50. Minute sagte dieser ganz unmissverständlich „… plan to make 3G phones and all those things with amazing features in the future.“ („… planen 3G-Telefone und all diese Dinge mit großartigen Ausstattungsmerkmalen in der Zukunft.“) Somit ist ganz klar, dass das iPhone in der jetzigen Form erst der Anfang ist und etwas Geduld schwerlich schaden kann, Geduld, über die echte Apple-Fans zweifelsfrei nicht verfügen.
Wie es sich in der GSM-Heimat Europa (hier starteten die Digitalnetze 1992) wohl fühlen wird, bleibt auch abzuwarten. „Homezones“, „@home“, „Zuhause“ und dergleichen bietet Cingular nicht an, während Dienste wie EDGE von einigen europäischen Providern gerade mal beschnuppert werden.
Am Ende dürften aber doch alle irgendwie zufrieden sein. Boshaft formuliert: Hessen erhalten ihr heiß ersehntes „Ebbelhenndie“, Apple-Gegner ein neues Feindbild, Ewig Gestrige den ach so unumgänglichen Newton-Nachfolger, Microsoft eine Zune-Versagensangstattacke sowie Motorola, Nokia und Sony Ericsson Gelegenheit, ihre Entwicklungsabteilungen neu zu strukturieren.
David Andel