Nokias unruhige Zukunft

Mit Gummistiefeln zum Fensterputzen

In den Neunzigern hÀtte sich noch kaum jemand vorstellen können, dass eines Tages ausgerechnet Apple den Mobilfunkkonzern Nokia so in Angst und Schrecken versetzen könnte, dass den Finnen keine andere Wahl mehr bleibt, als auf eine Firma Microsoft zu setzen, die sich lÀngst im Vorruhestand befindet.

Ein Leserbrief vom MĂ€rz 2007 teilte mir unter anderem folgendes mit: „Das iPhone als Grund fĂŒr die Entlassungen bei Nokia zu nennen, ist ja wohl sehr an den Haaren herbeigezogen und journalistischer Unfug, um nicht zu sagen Schwachsinn. Die fĂŒr das iPhone geplanten Mengen sind Peanuts im Vergleich zum weltweiten Handy-Bedarf.“. Einer Ă€hnlichen Sicherheit gab sich wohl auch Nokia selbst lange Zeit hin, beschrĂ€nkte sich da und dort auf ein paar kosmetische Korrekturen, entließ den fĂŒr seine Uneinsichtigkeit und Negativschlagzeilen bekannten Vorstandsvorsitzenden und PrĂ€sidenten Olli-Pekka Kallasvuo und ersetzte ihn im September 2010 durch den Ex-Microsoft-Manager Stephen Elop, der aufgrund ebenjenes „Peanuts“-Telefons von Apple aus einer klaren Verzweiflungstat heraus Nokia schließlich an Microsoft heranfĂŒhrte.

Das Telefon, das die FBI-Agenten Dana Scully und Fox Mulder aus der Serie „Akte X“ ĂŒber die Jahre miteinander verband, war von Nokia und auch das erste Telefon, das im Film „Matrix“ von Andy und Lana Wachowski den Hacker Neo vor dem Zugriff durch die omniprĂ€senten Agenten rettete, war von Nokia. Den firmentypischen Klingelton „Nokia Tune“ kennt bis heute jeder, es handelt sich um das StĂŒck „Gran Vals“ vom spanischen Musiker Francisco TĂĄrrega und stammt aus dem 19. Jahrhundert. All das steht sinnbildlich fĂŒrs positive Image einer ehemals unglaublich erfolgreichen finnischen Firma, die immer noch insgesamt mehr Mobilfunktelefone verkauft, als jeder Konkurrent. Nokia-Telefone galten einst als die GerĂ€te mit der besten MenĂŒfĂŒhrung, dem innovativsten Design und der pfiffigsten Technologie. Deutlich abgeschlagen folgten Motorola, ehemals vor allem bekannt mit seinem materialisierten TV-Zitat namens StarTAC sowie Ericsson mit einem vergleichsweise minimalistischen Ansatz und schließlich die mit ihren MobilfunkgerĂ€ten sehr konservativ agierende Firma Siemens.

Nokia begann seine Firmengeschichte mit der Herstellung von Produkten abseits jeder Telekommunikation, nĂ€mlich Gummistiefeln und RadmĂ€nteln fĂŒr RollstĂŒhle. Erst Ende der Sechziger entstand das uns heute bekannte Unternehmen Nokia Corporation, das auch mithilfe von deutscher Technologie expandierte, so 1988 durch die Übernahme der Standard Elektrik Lorenz AG (Schaub Lorenz und Graetz). Der große Erfolg kam aber erst mit der Realisierung eines neuen digitalen Mobilfunkstandards namens GSM (zunĂ€chst als AbkĂŒrzung fĂŒr Groupe SpĂ©cial Mobile stehend, spĂ€ter fĂŒr Global System for Mobile Communications) Anfang der Neunziger, zu welcher Nokia neben Siemens, Ericsson und Motorola mit in den Startlöchern stand. Die ersten GerĂ€te waren zwar noch klobig und groß wie LexikonbĂ€nde, Nokia aber konnte schon frĂŒh mit einem etwas besseren Design ĂŒberzeugen. Besonders bekannt gewordene Modelle waren 1995 der zwar teure aber erstmals auch in der Hosentasche unterzubringende Bestseller 2110, 1996 der Matrix-Designklassiker 8110 mit seinem Spitznamen „Banane“, 1997 das ebenfalls schnell zum Verkaufsschlager avancierte Modell 6110 mit seiner fĂŒr damalige VerhĂ€ltnisse besonders angenehmen BenutzerfĂŒhrung sowie Ende 1999 das weltweit erste WAP-fĂ€hige Modell 7110. Zu den Exoten zĂ€hlte der so genannte Communicator, der als eines der ersten Smartphones auch zahlreiche Organizer-Dienste ĂŒbernahm und vor allem durch das iPhone weitgehend obsolet wurde.

Anfang Februar dieses Jahres wurde es schließlich auch denn Finnen bewusst: „Das erste iPhone kam 2007 auf den Markt und wir haben immer noch kein vergleichbares Produkt. Android betrat vor etwas mehr als zwei Jahren die BĂŒhne, um uns diese Woche beim Smartphone-Verkauf zu ĂŒbertreffen. Unglaublich.“, so Stephen Elop in seinem firmeninternen Memo. „Apple hat den Markt zerschlagen, indem es das Smartphone neu definiert und Entwickler mit einem geschlossenen, aber sehr leistungsfĂ€higen Ökosystem angezogen hat. 2008 lag Apples Marktanteil im Segment oberhalb von 300 US-Dollar bei 25 Prozent, 2010 vervielfachte er sich auf 61 Prozent. Sie [Apple] können sich an einer bemerkenswerten Wachstumskurve von 78 Prozent im vierten Quartal 2010 erfreuen. Sie haben das Spiel verĂ€ndert und heute gehört Apple das High-End-Segment.“, so Elop weiter. „Wir dachten, mit MeeGo könnten wir im Markt der High-End-Smartphones gewinnen, mĂŒssen nun aber feststellen, dass wir es vor Ende des Jahres zu keinem fertigen Produkt bringen werden.“ und „DarĂŒber hinaus hat sich Symbian in einem immer anspruchsvoller werdenden Markt als schwierige Entwicklungsumgebung herausgestellt, das zu einer langsamen Produktentwicklung fĂŒhrt und dort Nachteile bewirkt, wo wir Vorteile brĂ€uchten.“, so der Nokia-CEO ĂŒber die eigenen Systeme, um dann zu folgendem Fazit zu kommen: „Wir haben Benzin auf unsere brennende Plattform gegossen. Ich glaube, es mangelte uns an Verantwortungsbewusstsein und FĂŒhrungskraft, um das Unternehmen in diesen zerstörerischen Zeiten auszurichten und zu steuern. Wir mussten eine Reihe von VersĂ€umnissen verbuchen, haben Innovationen zu langsam geliefert und intern nicht zusammengearbeitet. Nokia, unsere Plattform brennt.“

Mit anderen Worten: Das Management hatte auf ganzer Linie versagt. Die Telefone wurden mit jeder Generation etwas langweiliger, die MĂ€rkte waren gesĂ€ttigt und die interessanten Anwendungen fĂŒr die schnellen Netze fehlten. Zwar gab es auch bei Nokia innovative AnsĂ€tze, nur fehlte der Mut zur Umsetzung. Stattdessen pflegte man konsequent sein schlechtes Image. Niemand schien mehr dazu in der Lage, dem Mobilfunkmarkt jenen Anstoß zu verleihen, der ihn fĂŒr Kunden wie Investoren wieder hĂ€tte attraktiver werden lassen. Selbst neue Technologien wie UMTS Ă€nderten daran nichts, denn die dazu erforderlichen GerĂ€te waren viel zu lange viel zu teuer und viel zu unpraktisch, verkrustete Tarifstrukturen taten ein ĂŒbriges – die Netzbetreiber hatten die UMTS-Frequenzen zu völlig ĂŒberhöhten Preisen erstanden und dann die Energie dazu verloren, sie auch in der Praxis zu nutzen. Ohne Apple hĂ€tte sich dies auch bis heute kaum geĂ€ndert.

Ob die NĂ€he zu Microsoft hilft, bleibt fraglich, sie wird aber immer intensiver. Am Wochenende wurde der Ex-Microsoft-Manager Chris Weber als Nokias neuer US-Chef berufen und weitet damit den Einfluss von Redmond aus. Der gemeinsam zu bekĂ€mpfende Feind scheint ausgemacht: Apple. Bis Nokiasoft mit seinem iPhone-Konkurrenten aber soweit ist, dĂŒrfte Apple schon seine fĂŒnfte iPhone-Generation sowie ein Einsteigermodell hinter sich haben, durch das es weitere Marktanteile gewinnen wird. Nokia war einmal ein Unternehmen von ausgezeichnetem Ruf, eine nach außen hin ĂŒber die Jahre immer extremer erscheinende Arroganz, mangelnde NĂ€he zum Kunden und ein Ausbleiben publikumswirksamer Innovationen fĂŒhrten jedoch zu einem rasanten Abstieg, der wie die Negativvariante des in den Neunzigern erfolgten rasanten Aufstieges wirkt. Vor fĂŒnfzehn Jahren konnte sich der finnische Hersteller fast alles erlauben, es klappte einfach. Jetzt kann sich Nokia zwar noch vieles ausmalen, es geht aber fast grundsĂ€tzlich schief.

David Andel