Premierminister Gamal Abdel Nasser (rechts) und PrÀsident Mohammed Naguib (links) in einem offenen Auto wÀhrend der Feierlichkeiten zum zweiten Jahrestag der Àgyptischen Revolution von 1952

Revolution ohne Lehrbuch

Der gewaltsame Sturz der Feudalherrschaft im Jemen, die SchĂŒsse an der Grenze dieses arabischen Staates und ihr Echo auf der diplomatischen BĂŒhne haben die Aufmerksamkeit erneut auf ein Land gelenkt, das vor wenigen Monaten den 10. Jahrestag seiner Revolution feiern konnte und seitdem Vorbild und Zentrum aller arabischen Revolutionen ist, Ägypten. Das Reich Gamal Abdel Nassers ist im Begriff, zum Zentrum des „arabischen Sozialismus“ zu werden.

Ägypten feierte Ende Juli den zehnten Jahrestag der Revolution. Die Festmusik war noch nicht verklungen, das glanzvolle Bild der Paraden noch nicht verblaßt, auf den großen PlĂ€tzen in Kairo standen noch die Raketenattrappen und an den Straßen hingen noch die JubilĂ€umstransparente, als es im Verlauf der in dem libanesischen Mittelmeerkurort Schtaura stattfindenden turnusmĂ€ĂŸigen Ratstagung der Arabischen Liga zu einem Eklat kam. Er machte den PlĂ€neschmieden im State Departement und Foreign Office, die schon davon getrĂ€umt hatten, Gamal Abdel Nasser doch noch an die goldene Kette großzĂŒgiger Dollarkredite zu legen, schlagartig klar, daß Politik sich an keinem Platz der Erde so wenig vorausberechnen laßt und so voller Überraschungen ist wie im Nahen Osten.

Die ZusammenhĂ€nge, die zu der spektakulĂ€ren Explosion in der Arabischen Liga fĂŒhrten, sind von einigem Belang; sie bieten einen wichtigen SchlĂŒssel zum VerstĂ€ndnis nahöstlicher Politik.

Die Arabische Liga entstand sozusagen im Windschatten von Ideen, die auch jenen Riesen mit dem Kindergehirn gebaren, der sich Vereinte Nationen nennt. Am 22. MĂ€rz 1945 wurde in Kairo ein Pakt unterzeichnet, der die Liga begrĂŒndete. Damals gehörten ihr sieben Staaten, heute sĂ€mtliche arabischen Nationen des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas an. Die Liga krankte von Anfang an an einer gewissen Unaufrichtigkeit in den Absichten, die zu ihrer GrĂŒndung fĂŒhrten, und in den GefĂŒhlen, die ihr entgegengebracht wurden. WĂ€hrend ihre britischen Initiatoren die auf den Reißbrettern des Foreign Office entstandene Konstruktion nur deshalb ersonnen hatten, um den Einfluß John Bulls auf die arabischen LĂ€nder den verĂ€nderten VerhĂ€ltnissen anzupassen und fĂŒr kĂŒnftige Zeiten sicherzustellen, sahen die Mitgliedsstaaten, von denen fĂŒnf Monarchien waren, in ihr lediglich das Instrument zur StĂ€rkung ihrer dynastischen Interessen.

Beide Hoffnungen blieben unerfĂŒllt. Weder vermochten es die EnglĂ€nder, durch die Liga einen dauerhaften Einfluß auf die Araber geltend zu machen, noch konnten sich die feudalistischen HĂ€upter der GrĂŒnderstaaten mit ihrer Hilfe vor den sozialrevolutionĂ€ren Forderungen ihrer Untertanen schĂŒtzen. Aber die widerstreitenden imperialistischen und dynastischen Elemente wirken bis heute nach und haben bewirkt, daß die großen PlĂ€ne der Liga – politische, wirtschaftliche und militĂ€rische Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Föderation aller Mitgliedsstaaten – auf dem Papier stehenbleiben.

Vor zwei Jahren – am fĂŒnfzehnten Jahrestag ihrer GrĂŒndung — erhielt die Arabische Liga in Kairo einen modernen Palast als stĂ€ndigen Sitz. Das mit erlesenem Geschmack ausgestattete GebĂ€ude steht, inmitten prĂ€chtiger Parkanlagen, am rechten Nilufer — unmittelbar gegenĂŒber dem Ă€gyptischen Außenministerium. Diese Tatsache hat dazu gefĂŒhrt, daß man die Liga oft als Zweig der Ă€gyptischen Außenpolitik abqualifizierte. Immerhin ist der GeneralsekretĂ€r von Anfang an ein Ägypter gewesen, und die Ă€gyptische Regierung bestreitet seit je fast die HĂ€lfte des Etats. Dennoch ist der Ă€gyptische Einfluß der GrĂ¶ĂŸe dieses Aufwandes keineswegs adĂ€quat.

Hierin liegt denn auch eine der Ursachen fĂŒr den inzwischen schon fast wieder verheilten Bruch von Schtaura: Wenige Tage nach dem Auszug der Ă€gyptischen Delegation aus der Ratssitzung lief nĂ€mlich die Amtszeit des bisherigen GeneralsekretĂ€rs, Hassuna, ab. Es galt keineswegs als sicher, daß die ĂŒbrigen Mitgliedsstaaten wieder der Wahl eines Ägypters in die SchlĂŒsselposition zustimmen wĂŒrden. Die Opposition dagegen, kam vor allem von den feudalistischen Königreichen Saudisch-Arabien und Jordanien, denen die sozialen Ideen Nassers sehr viel lĂ€stiger sind, als es seine panarabische Propaganda jemals war. Der Ă€gyptische GeneralsekretĂ€r wurde wiedergewĂ€hlt, und Kairo schied nicht aus der Organisation aus.

Die sozialreformerischen Ziele Gamal Abdel Nassers aber beeindrucken die ĂŒbrigen arabischen Völker weiterhin. Dies wurde in den letzten Wochen im Jemen besonders deutlich, dessen neues Revolutionsregime eindeutig zu Nasser und seinen Vorstellungen hinneigt. Diese Tatsache wird so lange ein Unruhefaktor in der nahöstlichen Welt sein, bis die feudalistischen Herrschaftssysteme modernen Regierungsformen gewichen sind. Es ist eine fruchtbare Unruhe, die von Kairo ausgeht.

„Sind Sie auf der Flucht?”, fragte ein schnauzbĂ€rtiger Polizist lauernd den Fahrer des soeben gestoppten schwarzen Austin. „Warum fahren Sie so, schnell?”

Ehe der am Steuer sitzende junge Offizier eine Antwort finden konnte, fĂŒgte der Polizist hinzu: „Wenn Sie es schon so eilig haben, achten Sie wenigstens darauf, daß Ihr RĂŒcklicht brennt!”

Achselzuckend ließ der Offizier den Motor wieder an und hörte gerade noch die Frage: „Wie heißen Sie eigentlich?”

„Gamal Abdel Nasser”, rief er dem auf das Trottoir zurĂŒcktretenden Polizisten zu, wĂ€hrend der Wagen schon anlief. Einen Augenblick spĂ€ter war der Austin um eine Ecke verschwunden.

Eine solche Szene – sie spielte sich vor genau zehn Jahren, am Abend des 22. Juli 1952 ab — könnte man sich heute kaum noch vorstellen. Das Leben in der Ă€gyptischen Hauptstadt hat sich von Grund auf gewandelt. Wer die Verkehrsvorschriften ĂŒbertritt, kommt nicht mehr ohne Protokoll davon. Das ist das Werk jenes Mannes, den ein nachlĂ€ssiger OrdnungshĂŒter einst entwischen ließ und der fĂŒnf Stunden spĂ€ter die FĂ€den der Macht in Ägypten in seinen HĂ€nden hielt: Gamal Abdel Nasser.

Damals brodelte es in Ägypten. Kairo war ein unsicherer Ort, wo es stets zu blutigen AusbrĂŒchen des jahrelang aufgestauten Hasses gegen die Regierung, gegen die EnglĂ€nder oder gegen die religiösen Minderheiten kommen konnte. Ein vom König insgeheim geförderter Aufruhr, der Dutzenden von EuropĂ€ern das Leben gekostet hatte, lag erst ein halbes Jahr zurĂŒck. Die Ruinen der geplĂŒnderten WarenhĂ€user und die Überreste des berĂŒhmten „Shepeard’s Hotel”, auf dessen Terrasse sich der wĂŒtende Mob eines auslĂ€ndischen Diplomaten und seiner ganzen Familie bemĂ€chtigt und sie nach furchtbaren Mißhandlungen ĂŒber die BrĂŒstung in die Tiefe gestoßen hatte, standen noch. Den EuropĂ€ern saß der Schrecken noch tief in den Gliedern; sie wagten sich nur am Tag, in Gruppen oder unter bewaffnetem Schutz auf die Straßen. Die in der Suezkanalzone stationierten britischen Einheiten standen Gewehr bei Fuß.

Faruk verließ auf seiner Yacht „Mahroussa” fĂŒr immer das Land
Faruk verließ auf seiner Yacht „Mahroussa” fĂŒr immer das Land

Fellachen und Raketen

Heute geht es in Kairo ebenso friedlich zu wie in jeder anderen Metropole der Welt. Die Zahl der Bettler ist nicht grĂ¶ĂŸer, die der Leuchtreklamen nicht geringer als anderswo. Es gibt ebenso viele ĂŒberfĂŒllte Omnibusse und Trambahnen wie in London oder New York, und die Taxifahrer betrĂŒgen nicht schlimmer als in Athen oder Hamburg.

Die Revolte einer Gruppe junger Offiziere, die fast alle dem gleichen Jahrgang der MilitÀrakademie Abbasiya angehörten, war vielleicht die notwendigste gewaltsame VerÀnderung in einem Land seit der russischen Oktoberrevolution.

Die Art und Weise, mit der es Gamal Abdel Nasser fertigbrachte, Ägypten vom sozial unterentwickelten, wirtschaftlich ausgepowerten und einflußlosen Interessengebiet europĂ€ischer KolonialmĂ€chte in ein selbstĂ€ndiges Land zu. verwandeln, dessen dynamische AufwĂ€rtsentwicklung sich in wachsenden außenpolitischen Einfluß ummĂŒnzt, ist wohl eines der interessantesten LehrstĂŒcke moderner Staatkunst.

Zehn Jahre sind im Leben eines Menschen eine lange Spanne, in der Geschichte der Völker jedoch nur ein kurzer Augenblick. Und die Uhren Arabiens gehen um Dekaden nach 


Auf diesem Hintergrund muß man die Entwicklung Ägyptens seit 1952 sehen. Und man wird verstehen, warum die Fellachen noch immer in so unvorstellbarer Armut leben; warum Ägypten eigene GlĂŒhbirnen, ElektrogerĂ€te und Arzneien produziert, obwohl die Herstellungskosten ĂŒber und die Produktionsergebnisse unter dem Weltmarktniveau liegen; warum Nasser eigene DĂŒsenflugzeuge entwickeln und eigene Raketen bauen lĂ€ĂŸt, obwohl sie von geringem militĂ€rischem Wert sind und der Ă€gyptischen Volkswirtschaft Mittel entziehen, die sie fĂŒr die soziale Entwicklung nötiger hĂ€tte.

Politik ist im Orient nicht die Sache intellektuellen KalkĂŒls, sondern unvorhersehbarer Emotionen. Nur so ist es ĂŒbrigens auch zu erklĂ€ren, daß die jungen Offiziere, die im Juli 1952 den König stĂŒrzten und die Dynastie beseitigten, die ein 1849 in geistiger Umnachtung gestorbener albanischer Landsknecht gegrĂŒndet hatte, zwar einig waren, daß sie die alte Ordnung beseitigen, nicht aber darĂŒber, was sie an ihre Stelle setzen wollten. Die Revolution, die das politische Antlitz der arabischen Welt so sehr verĂ€ndern sollte, war die improvisierte Tat von MilitĂ€rs, die eine sich unerwartet bietende gĂŒnstige Gelegenheit ergriffen, ohne zu wissen, was sie wollten. Sie wĂ€re fast im letzten Augenblick an der Intervention eines einfachen Verkehrspolizisten gescheitert.

Ab mit Harem und Segelyacht

„Was ist denn in Kairo eigentlich los?“, rief die vor Empörung zitternde Stimme eines nervösen kleinen Mannes in die Telefonmuschel. WĂ€hrend er erregt auf eine Antwort wartete, zog er zitternd den weiten Pyjama fester um seinen Körper und wischte sich mit einer fahrigen Geste den Schweiß aus dem Gesicht. Die kurze Antwort, die er von seinem zweihundert Kilometer entfernten GesprĂ€chspartner erhielt, war kaum geeignet, seine Aufregung zu dĂ€mpfen.

„Sie sind einmal Regierungschef gewesen”, tönte es aus dem Hörer an das Ohr des Anrufers, und ehe er sich vergewissern konnte, ob er diese Ungeheuerlichkeit richtig verstanden hatte, knackte es in der Muschel und die Leitung war tot.

Es war fĂŒnf Uhr an einem der letzten Julitage 1952. Das kurze GesprĂ€ch zwischen einem General, dessen IdentitĂ€t nicht mehr feststellbar ist, und Ägyptens letztem königlichen MinisterprĂ€sidenten, Hilaly Pascha, an den sich heute niemand mehr erinnert, ist gleichfalls historisch geworden. Der Morgen sah den wenige Stunden vorher noch von der Gunst eines Polizisten abhĂ€ngenden Obersten Nasser schon als neuen Herrn am Nil.

Unterdessen rasselten Panzer durch die Straßen Kairos, Truppeneinheiten besetzten gleichzeitig alle in der Stadt verstreuten RegierungsgebĂ€ude und die strategischen Punkte. Der Abdin-Palast, die königliche Residenz, war hermetisch abgeriegelt. Seit ein Uhr nachts war die Armee im Besitz der Hauptstadt und damit des Landes. Als kein Zweifel mehr ĂŒber das Gelingen des Putsches bestehen konnte, schickten die RevolutionĂ€re eine Abordnung zum König nach Alexandria, um ihn durch ein auf drei Tage befristetes Ultimatum zur Abdankung aufzufordern.

Faruk mag einen Augenblick lang mit dem Gedanken gespielt haben, die Hilfe der in der Suezkanalzone stationierten britischen Einheiten zu erbitten; der amerikanische Botschafter Caffery soll ihm aber geraten haben, das Ultimatum anzunehmen. (In ihm gewannen die jungen Offiziere sogleich einen aufrichtigen Freund. Leider unterstĂŒtzte ihn seine Regierung nicht.) Zweiundsiebzig Stunden spĂ€ter verließ Faruk, ohne daß ihm ein Haar gekrĂŒmmt wurde, unter Mitnahme seines gesamten transportablen Harems und Besitzes an Bord der Luxusjacht „Mahroussa” fĂŒr immer das Land.

Den Reinen ist alles rein

Nach einem kurzen Zwischenspiel ĂŒbernahmen die jungen rebellierenden Offiziere die Macht. Regierungschef und – nach der Entthronung des zunĂ€chst zum nominellen König erhobenen minderjĂ€hrigen Faruk-Sohnes Achmed Fuad II — StaatsprĂ€sident wurde Mohammed Naguib. Dieser populĂ€re General, der wĂ€hrend des zweiten Weltkrieges als oppositionell gegolten hatte, war von den grĂ¶ĂŸtenteils unbekannten Offizieren zum FĂŒhrer des Aufstandes gemacht worden. Wirklicher Initiator war jedoch von Anfang an der damals vierundvierzigjĂ€hrige Oberst Gamal Abdel Nasser, der das „Komitee der Reinen”, wie die Freien Offiziere sich nannten, schon in den vierziger Jahren um sich geschart hatte. WĂ€hrend des PalĂ€stinafeldzuges 1948, in dem die unzulĂ€nglich ausgerĂŒsteten, jedoch zahlenmĂ€ĂŸig ĂŒberlegenen Ă€gyptischen Truppen gegen eine kleine und moderne Armee kĂ€mpften und verloren, entschlossen sich die jungen Idealisten zum Handeln. WĂ€hrend sie in den SchĂŒtzengrĂ€ben des WĂŒstenkrieges ihr Leben fĂŒr eine aussichtslose Sache opferten, verdienten der König und seine Höflinge am Schmuggel der fĂŒr die Armee bestimmten Waffen MillionenbetrĂ€ge. Damals schworen die „Freien Offiziere”, ihr Vaterland vom britischen Einfluß und den Paschas zu befreien. Weil ein Putsch ohne eine profilierte und vertrauenerweckende Persönlichkeit aussichtslos erschien, trat Nasser an den General Naguib heran, der sich dem Unternehmen zur VerfĂŒgung stellte.

Als der Revolutionsrat die Macht ĂŒbernommen hatte, zeigte es sich, daß zwischen dem General und den RevolutionĂ€ren schwere Meinungsverschiedenheiten ĂŒber den zukĂŒnftigen Weg Ägyptens bestanden. Im November 1954 trat Naguib nach monatelangem Hin und Her endgĂŒltig zurĂŒck. Die Vermutung, der General werde in einem oberĂ€gyptischen Konzentrationslager festgehalten oder sei tot, bewahrheitete sich nicht. In Wirklichkeit lebt der pensionierte RevolutionĂ€r völlig zurĂŒckgezogen in einem versnobten Kairoer Villenviertel.

Nachdem die Revolutionsregierung bereits fĂŒnf Wochen nach dem Staatsstreich das erste Bodenreformdekret erlassen, im Dezember 1952 die Verfassung von 1923 aufgehoben und kurz darauf alle Parteien aufgelöst hatte, verkĂŒndete sie die Schaffung einer Einheitspartei. Nach einem Mordanschlag auf Nasser wurde die militante orthodox-religiöse Moslembruderschaft verboten. Damit hatte Nasser, der als Nachfolger General Naguibs provisorischer PrĂ€sident wurde, freie Hand zur Neuregelung der innerpolitischen VerhĂ€ltnisse. Am 23. Juli 1956 wurde die neue Verfassung in einer Volksabstimmung gebilligt und Nasser als Staatsoberhaupt bestĂ€tigt.

Waffen aus Prag – Ideen aus Bandung

Inzwischen hatte die Außenpolitik der Revolutionsregierung ein Profil gewonnen, das dem Westen klarmachte, daß er nicht lĂ€nger auf Ägypten als Bundesgenossen rechnen konnte.

Als Gegenzug zum Bagdadpakt schloß Ägypten im MĂ€rz 1955 ein MilitĂ€rbĂŒndnis mit Syrien, aus dem hervorging, daß sich die beiden Staaten nicht in das WettrĂŒsten zwischen Ost und West hineinziehen lassen wollten. Diesem BĂŒndnis schlossen sich spĂ€ter Saudi-Arabien und der Jemen an.

Als Nasser im Herbst gleichen Jahres Waffenlieferungen aus der Tschechoslowakei und der Sowjetunion erhielt, war der Bruch mit dem Westen perfekt. Schon vorher war der PrĂ€sident auf der Konferenz der afro-asiatischen Völker in Bandung als einer der WortfĂŒhrer einer dritten Kraft aufgetreten und hatte sich zum „aktiven Neutralismus” bekannt, der seither die Grundlage der Ă€gyptischen Außenpolitik geblieben ist.

Die Quittung des Westens ließ nicht lange auf sich warten. Ein Dreivierteljahr nach den ersten östlichen Waffenlieferungen ließ der damalige amerikanische Außenminister Dulles den Ă€gyptischen Botschafter in Washington wissen, die Vereinigten Staaten und die Weltbank seien nicht bereit, die ursprĂŒnglich versprochene Finanzierung des Assuanstaudammes zu gewĂ€hrleisten: die politischen VerhĂ€ltnisse in Ägypten seien nicht stabil genug, eine Tilgung der Kredite zu garantieren.

Der Damm von Assuan, das wichtigste Projekt der jungen Regierung soll eines Tages nicht nur eine gleichmĂ€ĂŸige BewĂ€sserung der im Niltal gelegenen Agrargebiete sichern, die bisher stĂ€ndig von Trockenheit oder Überschwemmungskatastrophen bedroht waren, er soll auch weitere achthunderttausend Hektar WĂŒstenboden urbar machen – ein Viertel der gegenwĂ€rtigen NutzflĂ€che des Landes. Die Bedeutung des Projektes wird erst verstĂ€ndlich, wenn man hinzufĂŒgt, daß eine unvorstellbare Übervölkerung auf Ägypten wachsenden Druck ausĂŒbt. Die Bevölkerung des Nillandes wĂ€chst jede Minute um einen Menschen, jĂ€hrlich um eine halbe Million. Die einzige Lösung des Problems ist Wasser und wieder Wasser, das vom Assuandamm gespeichert und gleichmĂ€ĂŸig auf wachsende Anbaugebiete verteilt werden soll. Die kahle WĂŒste nĂ€mlich entwickelt unter der Einwirkung von Feuchtigkeit eine erstaunliche Eigenschaft: sie verwandelt sich wie durch Zauberkraft in blĂŒhenden Ackerboden, dem die glutheiße Sonne drei Ernten jĂ€hrlich abgewinnt.

Der Wortbruch des Westens und die beleidigende BegrĂŒndung mĂŒssen Gamal Abdel Nasser tief getroffen haben. Als er die Hiobsbotschaft auf der Insel Brioni erhielt, wo er sich gerade zu GesprĂ€chen mit Tito und Nehru aufhielt, sagte er nur: „Ich werde den Damm doch bauen!“

Der Kanal bezahlt den Damm

Über das Wie ließ Nasser die Weltöffentlichkeit nicht lange im Zweifel: am 23. Juli 1956, dem vierten Jahrestag seiner Revolution, klagte er den Westen auf dem von seiner unĂŒbersehbaren Menschenmenge gefĂŒllten Mohammed-Ali-Platz in Alexandria mit dem ganzen Pathos des tödlich enttĂ€uschten RevolutionĂ€rs an. Noch wĂ€hrend seiner Rede besetzten Ă€gyptische Truppen den Suezkanal und die BetriebsgebĂ€ude der Kanalgesellschaft. „Ich nehme hiermit den Kanal, der Kanal wird den Damm bezahlen!“ rief Nasser aus.

Der Westen reagiert empört, indes Nasser die einzige Chance ergriffen hatte, die ihm geblieben war.

Als Ende Oktober 1956 israelitische FallschirmjĂ€ger auf der Sinai-Halbinsel, nur vierzig Kilometer von Suez entfernt, absprangen und in einem siebentĂ€gigen Blitzfeldzug bis an den Kanal vorstießen, richteten England und Frankreich ein auf zwölf Stunden befristetes Ultimatum an die KriegfĂŒhrenden, nach dessen Ablauf anglo-französische VerbĂ€nde Port Said bombardierten und die strategischen Punkte des Suezkanals besetzten. Die US-Regierung distanzierte sich offiziell von dem Vorgehen ihrer europĂ€ischen VerbĂŒndeten, und die Sowjetunion drohte, Paris und London mit Raketen zu belegen. Einen Augenblick lang stand die Erde am Abgrund eines dritten Weltkrieges. Dann trat zum erstenmal jenes inzwischen mehrfach wirksam gewordene „InteressenbĂŒndnis” zwischen beiden SupermĂ€chten auf, mit dessen Hilfe der Weltsicherheitsrat eingreifen und die OkkupationsmĂ€chte zum Waffenstillstand und zum RĂŒckzug aus Ägypten zwingen konnte. Der Kanal jedoch blieb noch monatelang durch versenkte Schiffe gesperrt.

Panarabische BlĂŒtentrĂ€ume

Im Laufe des Jahres 1957 trat die unhaltbare innerpolitische Lage in einem anderen arabischen Land, Syrien, offen zutage. Als der Geheimdienst nacheinander einen kommunistischen Putsch, einen gemeinsamen tĂŒrkisch-irakischen Angriff und eine amerikanische Landung voraussagte, entschloß sich StaatsprĂ€sident Kuwatli zu einem ungewöhnlichen Schritt. Er flog mit sĂ€mtlichen Ministern seines Kabinettes nach Kairo, um Gamal Abdel Nasser einen Zusammenschluß ihrer Staaten vorzuschlagen. Beide Regierungen wollten zunĂ€chst eine Föderation bilden; unter dem Druck der immer alarmierenderen Nachrichten aus Syrien kam es jedoch zu einem straff organisierten Einheitsstaat mit der gemeinsamen Hauptstadt Kairo und dem Ă€gyptischen PrĂ€sidenten als Staatsoberhaupt.

Nach dem Zusammenschluß schien es, als sei die Verwirklichung der panarabischen Idee in ihr letztes Stadium getreten, zumal auch der wenig spĂ€ter an die Macht gelangte irakische General Kassem zunĂ€chst keinen Zweifel darĂŒber ließ, daß er in das Kairoer Lager strebte.
Als sich herausstellte, daß Kassem andere ehrgeizige Ziele verfolgte, verlangsamte sich das Tempo der panarabischen Einigung betrĂ€chtlich. Die Syrer, die sich zuerst aus dem politischen Wirrwarr in ihrem Land freiwillig unter die Hand eines starken Mannes geflĂŒchtet hatten, vermißten allzubald ihre SelbstĂ€ndigkeit. Nachdem sich das Zusammenleben zwischen beiden Partnern der Vereinigten Arabischen Republik im Verlauf der wenigen Jahre ihrer Existenz immer schwieriger gestaltet hatte, kam es im September 1961 zum Bruch. Syrien ging wieder seine eigenen Wege. Aber es zeigte sich bereits, daß die innenpolitischen Probleme des Landes keineswegs gelöst sind. Inzwischen hat sich die Lage in Damaskus wieder so zugespitzt, daß wachsende syrische Kreise einen erneuten Zusammenschluß mit Ägypten anstreben.

Sozialismus Made in Egypt

In Kairo wecken diese WĂŒnsche nicht mehr die gleiche Begeisterung wie noch vor viereinhalb Jahren. Die JugendblĂŒte der panarabischen Idee des Gamal Abdel Nasser ist vorĂŒber. Ägypten hat sich einem innerpolitischen Programm zugewandt, das von der Kairoer Presse als „gigantischstes Aufbauwerk der Epoche” bezeichnet wird. Im Mai dieses Jahres verkĂŒndete der StaatsprĂ€sident vor dem Kongreß der „Nationalen VolkskrĂ€fte” seine neue „Nationalcharta”, das Programm zur Neugestaltung Ägyptens im Rahmen einer sogenannten kooperativen Gesellschaft.

„Arabischer Sozialismus”, heißt die neue Losung, mit der Nasser das Schlagwort vom arabischen Nationalismus ersetzte. Um sie zu verwirklichen, wurde der auslĂ€ndische Besitz enteignet, wurden Banken, Versicherungsgesellschaften und Außenhandel verstaatlicht. KĂŒnftig sollen alle wichtigen ProduktionsstĂ€tten der öffentlichen Hand unterstehen und in dem noch ausstehenden neuen Parlament sollen Fellachen und Arbeiter den grĂ¶ĂŸten Teil der Sitze einnehmen. Zum erstenmal hat die Ă€gyptische Regierung damit an die Seite einer dynamischen Außenpolitik auch ein ĂŒberlegtes und geplantes innenpolitisches Programm gestellt: VollbeschĂ€ftigung, Mindestlöhne, Kapitalbeteiligung, Geburtenkontrolle, Gleichberechtigung der Frau.

Horst J. Andel