Soldat im BrĂŒsseler Stadtbild

BrĂŒsseler Terrorspitzen

Es ist Montag frĂŒh in BrĂŒssel, die Stadt ist voller MilitĂ€r und Polizei. Eine Beamtin tritt aus einem RegierungsgebĂ€ude im Stadtzentrum und wird gefilmt. Da die beiden KameramĂ€nner alles andere als professionell oder auch nur glaubwĂŒrdig wirken, stellt sie die Frage, fĂŒr wen sie arbeiten. Die mutmaßlich nicht echten Journalisten flĂ€mischer Herkunft verweigern die Antwort und reagieren aggressiv. Daraufhin wendet sich die Frau an einen Polizisten, der die Papiere der beiden ĂŒberprĂŒfen will. Doch die falschen KameramĂ€nner sind bereits verschwunden 


Es wĂ€re wenig ĂŒberraschend, gehörten die beiden mageren und ausgesprochen mĂŒrrischen Flamen zum Staatsschutz und wĂ€re das gedrehte Material dazu gedacht, festzuhalten, wer alles das RegierungsgebĂ€ude verlĂ€sst und betritt – eine missratene Vorspiegelung ziviler PrĂ€senz. GlaubwĂŒrdigen inoffiziellen Quellen zufolge gibt es nicht nur die deutlich sichtbare Anwesenheit des MilitĂ€rs an Orten mit erhöhtem SicherheitsbedĂŒrfnis, sondern auch noch einen nicht unbetrĂ€chtlichen Anteil bewaffneter Mitarbeiter des Staatsschutzes in Zivil.

Die militĂ€rische PrĂ€senz in BrĂŒssel ist keineswegs neu, sondern gehört schon seit den Attentaten auf ein Pariser Satiremagazin im Januar zum Alltag. Damals beschrĂ€nkte sie sich jedoch lediglich auf einige Botschaften (die zum Teil dafĂŒr bezahlen) sowie den Regierungssitz (16, rue de la Loi), mittlerweile hat sie sich aber regelrecht infektionsartig ĂŒber die ganze Stadt verbreitet, wobei davon auszugehen – und zu hoffen – ist, dass es sich nur um eine vorĂŒbergehende Maßnahme handelt.

ErklÀrt werden sollte in diesem Zusammenhang, dass der Regierungssitz 16, rue de la Loi vor allem dekorativer Natur ist, denn die wahren AmtsgeschÀfte finden andernorts statt. Kurierdienste können ein Lied davon singen, denn wer jemals ein Paket dort abgeben wollte, der wird sofort zur 4, rue Ducale geschickt, ein weit weniger reprÀsentativer Zugang zur Macht.

Solange aber die höchste Sicherheitsstufe 4 aufrecht erhalten wird, werden die BĂŒrger BrĂŒssels Zeugen eines nicht ganz so friedlichen Alltags und die ĂŒblichen Diskussionsthemen wie der unertrĂ€gliche FluglĂ€rm, das ewige MĂŒllproblem, die Ende Juni eröffnete FußgĂ€ngerzone riesenhaften Ausmaßes, die Zerstörung des Reyers-Viadukts oder der jĂŒngste Kauf des enormen CitroĂ«n-GebĂ€udes aus den Dreißigern durch die Stadt zum Zwecke der Ansiedlung des Museums fĂŒr moderne Kunst geraten aus dem Fokus.

Apropos FluglĂ€rm. Die NATO befindet sich in unmittelbarer NĂ€he des Nationalflughafens in Zaventem vor BrĂŒssel und wird fast andauernd ĂŒberflogen. Das ist ĂŒberraschend, stellt dies in Zeiten erhöhter Terrorgefahr doch ein betrĂ€chtliches Risiko dar. SuizidgefĂ€hrdete Piloten sind schließlich nichts Neues mehr, doch scheint dies in den Köpfen der politisch verantwortlichen KrĂ€fte nur eine Nebenrolle zu spielen, lĂ€sst sich so doch der gesammelte FluglĂ€rm sehr viel leichter ĂŒber die in Flandern unbeliebte Stadt verlagern, weshalb eine vor Jahren noch vorhandene alternative Startbahn SĂŒdost still und heimlich abgebaut wurde.

Nun ist in BrĂŒssel alles anders, denn der kleine im Westen BrĂŒssels gelegene Stadtteil Molenbeek-Saint-Jean ist heute nicht mehr nur durch den Film Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles der unlĂ€ngst verstorbenen belgischen Regisseurin Chantal Akerman, die zu kulturellen Zwecken genutzten alten GebĂ€ude der Brasserie Bellevue oder das ebenfalls kulturell sehr aktive ChĂąteau du Karreveld bekannt, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass dort heute zahlreiche Einwohner marokkanischen Ursprungs leben. Ein Stadtteil, aus dem der Kern der Verantwortlichen fĂŒr die jĂŒngsten Attentate in Frankreich stammen soll.

An dieser Stelle muss erklĂ€rt werden, dass der Ruf BrĂŒssels im Norden des Landes maßlos ĂŒbertrieben schlecht ist, da das unter einem ewigen Minderwertigkeitskomplex leidende Flandern die auf seinem Territorium am untersten Rand befindliche Stadt BrĂŒssel an vorwiegend frankophone Bewohner verloren hat, die jĂŒngsten demografischen SchĂ€tzungen der Association pour le DĂ©veloppement de la Recherche AppliquĂ©e en Sciences Sociales (ADRASS) zufolge 66,5% der Bevölkerung darstellen, wohingegen sich der Rest in 28,1% AuslĂ€nder (inklusive EU-, Lobby- und Botschaftsmitarbeiter) und 5,3% Flamen aufteilt. Und was vor allem die nationalistisch-separatistischen KrĂ€fte Flanderns, bestehend aus (unter anderem) N-VA/VolksunieVlaams Belang/Vlaams Blok und LDD/Lijst Dedecker nicht in ihr Macht- und Sprachterritorium einbeziehen können, wird mit einer geradezu abenteuerlich herabwĂŒrdigenden Propagandaschlacht permanent schlecht geredet. Jene seit vielen Jahren wĂ€hrende Schmutzkampagne fĂŒhrt denn auch dazu, dass viele Flamen vor BrĂŒssel regelrecht Angst haben, so als handele es sich bei dieser Stadt um einen einzigen großen Gefahrenherd, in den man allenfalls aus beruflichen GrĂŒnden hinein- und dann schnell ins heimelige Flandern wieder herausfĂ€hrt. Die Zahl flĂ€mischer Pendler ist betrĂ€chtlich – profitiert wird gern von der stĂ€dtischen Infrastruktur BrĂŒssels, aus flĂ€mischen Steuermitteln finanziert soll davon aber möglichst wenig bis nichts werden. So landeten unter anderem die SchĂ€tze des botanischen Gartens (heute in Meise) zur Überraschung und zum Entsetzen vieler Bewohner BrĂŒssels durch allerlei Geschacher auf politischer Ebene in Flandern, was hier nur als ein Beispiel fĂŒr die kulturelle Austrocknung der Stadt dienlich sein soll.

Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Herkunft der AttentĂ€ter des 13. November in Paris von der aktuellen N-VA-dominierten Regierung maßlos ausgeschlachtet wird. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist dabei kaum glaubwĂŒrdig, dass die bisherigen Überwachungsmaßnahmen die so offenkundig radikalisierten KrĂ€fte nicht zutage gefördert haben sollten. Offenkundig aber ist auch dieser Vorgang nur ein weiteres Beispiel fĂŒr das universelle Versagen der stets ausgeweiteten staatlichen Überwachungsmaßnahmen. Je mehr Daten der Staat hat, desto weniger kann er damit anfangen und allenfalls erst nach vollendeter Tat entsprechend reagieren. Und dabei sei dahingestellt, ob dies nun tatsĂ€chlich anhand der ĂŒber Monate hinweg immer intensiver erhobenen Daten erfolgte oder ob nicht abermals die ĂŒbergroße Dummheit der TĂ€ter die bedeutendste Ermittlungsrolle spielte.

David Andel