Pi-hole (Bildschirmfoto)

Pressefeind Werbemuffel

Der Skandal ist hausgemacht – wenn inhaltsarme Medien kaum mehr etwas verkaufen, dann ist immer die Zielgruppe schuldig, niemals aber die konsequent abwesende Qualität leidenschafts- und kenntnislos verfasster Beiträge. Als ob die Flut von Firmen-PR, Verlautbarungen von Interessengruppen und die ewig gleichen Statements aus der Politik nicht schon anstrengend genug wäre, soll der geneigte Datenwanderer auch noch hüpfende, lärmende und über Länder hinweg verfolgende Brachialgrafiken mit Jahrmarktscharme über sich ergehen lassen, nur damit die werbetreibende Industrie sich auch weiterhin der Illusion hingeben kann, es interessierte sich noch jemand für deren Ergüsse und Verlage infolgedessen davon finanziell profitieren können, da ihnen sonst so offenkundig jede andere Daseinsberechtigung fehlt.

Niemand hatte sie gerufen, sie kamen aber trotzdem: Unternehmen im Internet. Als in den frĂĽhen Neunzigern das zuvor noch vorwiegend akademische Kommunikationsnetzwerk vermehrt kommerzialisiert wurde, war kaum absehbar, dass jene zugewanderten Kräfte eines Tages versuchen wĂĽrden, das derart unfreundlich ĂĽbernommene Netz gleich beherrschen zu wollen. Nach und nach gerieten die Inhalte von Wissenschaftlern und später auch engagierten Amateuren durch Seiten von Medienhäusern mit ihren 1:1 aus den Druckerzeugnissen ĂĽbernommenen Beiträgen und einer immer aggressiver auftretenden Werbung in eine befremdliche Konkurrenzsituation. Die später geborene Tagebuchszene sorgte mit so genannten Weblogs zwar fĂĽr ein klein wenig mehr inhaltliche Vielfalt und damit auch Konkurrenz zu traditionellen Veröffentlichungsformen, nur rekrutierten besagte Medienkonzerne dann genau dort die bekanntesten Namen, sodass der unweigerlich folgende Assimilationsprozess zu einer abermaligen Konzentration fĂĽhrte. 2015 ist die Lage insofern dĂĽster, als in Zeiten besonders knapper Mittel mit aller Gewalt fĂĽr alle möglichen und unmöglichen Dienste Profit erzielt werden soll. Nichts anderes als die totale Kommerzialisierung des Internet wird angestrebt â€“ und so sie der Anwender nicht freiwillig ĂĽber sich ergehen lässt, helfen die altbekannten Schuldzuweisungen sowie Zugangssperren und Klagewellen nach.

Ein Blick zurück: schon das Leben vor dem Internet war von Kommerz geprägt, nur konnte man den wegblättern (Druckerzeugnisse), wegschalten (Live-Fernsehen), rausschneiden (Aufzeichnung) oder durch zu spätes Eintreffen im Kino (der Beginn des eigentlichen Films konnte stets erfragt werden) problemlos ignorieren. Nicht selten fanden Telefonanrufe oder der Weg zur Toilette gerade während der Werbepausen statt, besonders bei großen Sportereignissen war dies von Wasserwerken oder Kommunikationskonzernen gar messbar. Solche Werbeverweigerer soll es nun aber nicht mehr geben, denn gebrandmarkt ist dies in den Köpfen der unter starkem Druck stehenden Vermarkter längst als asozial, dem Erschleichen großartiger Leistungen, gar Diebstahl. Wer Fernsehen schaut, soll auch Kommerz ertragen und wer Presseerzeugnisse liest, soll auch die Reklame sehen, die – so wird immer wieder hervorgehoben – für die Artikel zahlt. Andernfalls bleibt schließlich die Zwangsgebühr für den Staatsrundfunk – nur offenkundig versorgt besagte Grundversorgung niemandem grundsätzlich, sondern dient nur als teures Presseversorgungswerk. Zwang und Schuldzuweisung sind schon aufgrund kirchlich verankerter Tradition universell einsetzbare Mittel zum Erreichen aller nur erdenklichen Ziele, machen ganz bestimmt dauerhaft unbeliebt, führen dennoch aber zu schnellen Ergebnissen. Wir erinnern uns: nachdenkliche Hintergründigkeit ist schon bei den Inhalten unbeliebt.

In letzter Konsequenz könnten uns Medienschaffende auch subventionierte VR-Brillen in Aussicht stellen, die das Schließen der Augen verhindern oder Fernsehsessel, die den Weg zur Toilette während der Werbung mit Hand- oder Fußschellen verunmöglichen. Oder wie wäre es mit einer pauschalen Preiserhöhung im Supermarkt, sofern zuvor keine Produktwerbung genossen wurde? Messbar wäre ja alles, da ergäbe auch der Bewegungsmelder vorm TV-Gerät schnell einen Sinn, der alle versäumte Werbung nachträglich abspielt – gern auch im Schlaf –, sodass nur ja nichts verpasst wird. Je mehr Zwang, desto mehr Geld, so einfach ist das Kalkül.

Erinnern wir uns an das System der Seifenoper. Im Kommerz-Mekka USA erfunden, dienten TV-Kitschserien vor allem zur Umrahmung von Werbung, oft – daher der Name – für Seife. Besagte Inhalte waren meist billig produzierter Mist, der geistig schläfrige Zeitgenossen dazu verführen sollte, von irgendeinem Groschendrama abhängig zu werden und somit willig zahlreiche Werbeblöcke zu konsumieren. Leider haben Zeitungen mit dem Siegeszug des Internet aufs genau gleiche Pferd gesetzt, wollen uns nun aber einreden, deren Seifenopern seien keinesfalls nur billige Rahmenhandlung, sondern das Gelbe vom journalistischen Ei. Wie das? Ob man plötzlich den Wert dessen entdeckt haben sollte, was über viele Jahre hinweg im Gegensatz zu den Druckerzeugnissen verschenkt wurde?

Auch dieser Versuch, den willenlosen Medienkonsumenten oder -sklaven heranzuziehen, wird schiefgehen. Man höre und staune, Werbung funktioniert nämlich nur bei absoluter Freiwilligkeit. Wird man durch sie verführt, hat sie triumphiert, wird man jedoch dazu gezwungen, handelt es sich um einen Vorgang, für den es kaum einen anderen Begriff als intellektuelle Vergewaltigung geben kann. Welchen Wert soll Werbung noch haben, wenn sie nicht mehr wirbt, sondern zwingt? Glaubt tatsächlich irgendwer an einen von Zwangswerbung provozierten Lustkauf? Warum dann nicht gleich der Zwangskonsum ohne medialen Umweg? Inwiefern und in letzter Konsequenz ist Journalismus als Werbedeckmäntelchen überhaupt noch vonnöten?

Diese so offenkundig verunglĂĽckte Entwicklung ist im Ergebnis und wider Erwarten vermutlich sogar eine gute, provoziert sie doch alternative Medien, alternative Finanzierungsformen und schlieĂźlich auch die Frage nach der generellen Notwendigkeit medialer Dauerberieselung. Es wird bei weitem zu viel grundlos geplappert, denn Kontingente mĂĽssen auch dann gefĂĽllt werden, wenn es nichts zu sagen gibt. Längst haben sich bei uns allen Automatismen ergeben, die zum Weghören, Wegsehen oder gar zu glatter Ignoranz fĂĽhren. Schon das System des milliardenschweren öffentlich-rechtlichen Konstrukts bewirkte von Anfang an einen medialen Erstickungsprozess auf qualitativer Kellerebene, sowohl nach innen als auch nach auĂźen. Und gibt es dennoch Alternativen, dann mĂĽssen sie entweder anders als das sein, zu dem BĂĽrger bereits hundertfach verdonnert wurden oder aber zumindest vom gleichen Finanzierungsmodell profitieren. Aber selten war all das, was gesendet und geschrieben wurde wirklich wert, was sich die nun so gierig und kompromisslos gewordenen Vertriebskanäle davon versprechen. Inhaltsleere wie kataphasische Politiker-Statements kann sich der geneigte Informationsgesellschafter direkt bei den Parteien holen, sie sind nämlich allesamt im Internet – mit Pressemeldungen, TagebĂĽchern und gar der Möglichkeit des direkten Dialogs. Propaganda gibt es auf Wunsch auch direkt von der NATO oder deren zahlreichen Gegenspieler â€“ dazu bedarf es keiner „vernetzten“ Scheinberichterstatter. Stammtischparolen erhält der vereinsamt Unterversorgte in Foren jeder nur denkbaren Couleur mit Kusshand und der Option, sich von morgens bis abends ĂĽber alles mögliche zu streiten. Und Werbung erhält er jederzeit gratis und franko von den Firmen im Direktvertrieb, deren gesammelte PR-Macht ist auch fĂĽr Nichtjournalisten völlig offen zugänglich, weder eine Bezahlschranke noch Fremdkommerz terrorisieren nämlich bei jenen im eigenen Hof, die andernorts mit von unfähigen Agenturen verbrochenen aggressiven Werbeschaltungen fĂĽr nichts anderes als Nervosität und Verärgerung sorgen.

Schlagwörter wie NATO-Nutten oder Putin-Trolle, Blockflöten, Verlautbarungs- oder Lügenpresse und vieles andere mehr sind allesamt nicht verkehrt, sieht sich doch das, was seit Jahren schon als Journalismus präsentiert wird mit jenen am selbstverständlich ebenfalls stark wirtschaftlich motivierten akademischen Fließband massenhaft produzierten Presse-Ameisen getragen, die vor allem Angst um ihren Posten und daher auch vor der eigenen Meinung haben. „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing“ ist eine altbewährte Vorgehensweise, insofern absurd, da viel zu oft schon ohne zweckorientiertes Brot gesungen wird, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen, die die Staatsferne allenfalls noch als überkommene Illusion hochhalten. Jene Schere im Kopf erklärt sich dadurch, dass die eigene Meinung doch nichts anderes als Ärger bringt und zum gepflegten Trugschluss führt, dass die größten Nichtssager immer noch kommerziell am erfolgreichsten sind, da sie nirgends anecken, es daher allen recht zu machen scheinen. Diese endlos nach unten driftende Mittelmaßschleife hat zur Folge, dass heutige Presseerzeugnisse kaum noch auf Interesse treffen, da sie lediglich wiedergekäute, zusammengefasste oder vorwiegend zitierte Inhalte und Artikelanstöße zu bieten haben, ganz so, als wären sie von Schreibrobotern unterster Fertigungsqualität verfasst worden.

Der Bedarf nach dem, was heute Zeitungen und andere Medien dominiert, ist längst nicht so groß, wie sich das deren Verursacher vorspiegeln. Jene, die nun nach immer mehr Geld schreien, werden es zu deren eigener Überraschung nicht erhalten und schon kraft Auflagen-Abwärtstrend verschwinden – vermissen wird sie niemand. Investigativer Journalismus (Zusammenfassungen aus nicht selbst entdeckten/erarbeiteten Quellen), politische Kommentare (Partei- und Verbandspropaganda), Wirtschaftsberichterstattung (Interessensgemeinschafts- und Unternehmensstandpunkte) müssen überarbeitet werden, nicht der Leser oder dessen Werkzeuge zur Belästigungsvermeidung.

David Andel