Je reiĂźerischer, desto besser

Der kalifornische Patient

Das erste Mal, das Steve Jobs eine Keynote aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, war im Sommer 2004. Seither scheint es dem Apple-Mitbegründer nicht mehr wirklich gut zu gehen. Alle sichtbaren Etappen seiner Krankheit(en) werden öffentlich diskutiert, nur einer schweigt dazu, er selbst.

Auch der private Steve Jobs ist kein Unbekannter. Man kennt zahlreiche seiner Vorlieben und Ideen bis ins letzte Detail, teilweise aus Interviews, die er selbst über die Jahre gegeben hat, teilweise aus Biografien, die meist ohne seine Einwilligung über ihn verfasst, deren Inhalte aber einigermaßen glaubhaft belegt wurden. Und schreibt man ihm eine E-Mail, bekommt man in manchen Fällen sogar eine Antwort.

„Das meiste, was man in der Schule lernt, ist völlig nutzlos.“ (Steve Jobs 1996 über das Bildungssystem)

Auch gibt es recht privat wirkende Bilder von ihm, man kann seinen Lebensraum beobachten oder ihn ĂĽber die Jahre altern sehen.

„Ich bin jetzt vierzig und dieses Zeug ändert einfach nicht die Welt.“ (Steve Jobs 1996 über Technologie)

Steve Jobs ist eine Person des öffentlichen Interesses, geht Medien nicht aus dem Weg. Sogar die Geburt seines Sohnes Reed im September 1991 gibt er während einer NeXT-Keynote Ende Oktober bekannt. Und wer jemals einen NeXT-Computer gekauft hat, der wird nicht vergessen haben, dass jeder neue Benutzeraccount eine am 1.11.90 vorkonfigurierte E-Mail von Steve Jobs enthielt, in der er den neuen Anwender per Audio-Nachricht begrüßte. Kurzum, Jobs war und ist bei Apple- und NeXT-Anwendern in irgendeiner Form präsent.

„Wissen Sie, da hat mich niemand wirklich vermisst.“ (Steve Jobs 1985 über sein Ende bei Apple)

Ob nun bewusst oder unbewusst von ihm gewollt, um Steve Jobs entstand ĂĽber die Jahrzehnte ein Personenkult, den es sonst nur bei Musik- oder Filmgrößen gibt. Und auch wenn er besagtes Theater um seine Person manchmal bereuen mag, gibt es nach wie vor oftmalige Begegnungen mit SchauspielernMusikern oder Staatsmännern, die ebenfalls seine Nähe zu suchen scheinen.

„Ich mache mir nichts mehr daraus, reich zu werden.“ (Steve Jobs 1985 über seine Motivation)

Warum aber kann ein solch öffentlich nachdenklicher Mensch keine Stellung zu seinem Gesundheitszustand nehmen, damit den andauernden Gerüchten ein Ende bereitet wird? Das Phänomen ist hinlänglich bekannt. In seinem Dokumentarfilm „Ces malades qui nous gouvernent“ (Die Kranken, die uns regieren) spricht Claude Vajda ein Verhalten an, dem auch Steve Jobs unterliegen könnte.

„Ich meine, ich esse kein Fleisch und gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche.“ (Steve Jobs 1985 über seine privaten Grundsätze)

Roosevelt starb zwei Monate nach der Konferenz von Jalta, was Stalin beträchtliche Vorteile verschaffte. Churchills Arzt Lord Moran über Roosevelts damaligen Zustand: „Er ist ein sehr kranker Mann. Er hat alle Anzeichen einer Arteriosklerose im fortgeschrittenen Zustand, so dass ich ihm nur noch einige Monate zu leben gebe.“ Auch François Mitterrand verschwieg seine Krebserkrankung, um wiedergewählt zu werden und der oft unter dem Einfluss von Steroiden und Amphetaminen stehende John F. Kennedy verheimlichte seine chronischen Rückenschmerzen, um nicht als schwächlich zu gelten. Die Beispiele in der Politik sind zahllos: Chirac, Pompidou, Wilson, Pahlavi und sicher auch Mubarak und Ben Ali. Eine der Konsequenzen aus Mitterands Verhalten war die Wiedereinführung des so genannten „Bulletin de santé“, welches der Öffentlichkeit über den Gesundheitszustand des jeweiligen Staatsoberhauptes Auskunft geben sollte – sehr zum Leidwesen besagter Staatsoberhäupter, die seither jeweils den genauen Zeitpunkt für die Untersuchung festlegen wollen, um nicht im Krankheitsfall als zu schwach fürs Regieren eingestuft zu werden.

„Das ist der Grund, weshalb ich den Tod für eine der wundervollsten Erfindungen des Lebens halte.“ (Steve Jobs 1985 über technologischen Fortschritt)

Krankheit bedeutet Verletzlichkeit, den Verlust von Macht und der Teilnahme an wichtigen Prozessen. Was auch immer der Grund für Jobs Offenheit einerseits und sein Schweigen andererseits ist, er führt zu einer Menge unerwünschter Nebenwirkungen und dürfte genau das Gegenteil dessen erreichen, was damit geplant war. Nicht anders also als bei noch unveröffentlichten Apple-Produkten führt die Verhaltensweise des kalifornischen Patienten zwangsläufig zu einer lästigen Dauervorstellung mit Halbwahrheiten und Reaktionen darauf, über die Jobs sich dann wiederum lustig machen kann.

„Die Berichte von meinem Tod sind stark übertrieben.“ (Mark Twain 1897, Steve Jobs 2008)

Und während sich die Meldungen hinsichtlich seiner Krebserkrankung im Sommer 2004 noch im überschaubaren Rahmen hielten, ist der Gesundheitszustand des Apple-Chefs seit seinem sichtbaren Gewichtsverlust in den Medien dominierend. Alleine die Tageszeitung Frankfurter Rundschau, die gewiss nicht als Apple-zentrisches Medium eingestuft werden kann, brachte seit September 2008 zwölf Meldungen zum Thema:

10.9.08: Sorge um Steve Jobs

24.10.08: Falschmeldung kam von Teenager

17.12.08: Kein Auftritt von Apple-Chef Steve Jobs

5.1.09: Chef muss pausieren

15.1.09: Apple-Chef nimmt Auszeit

16.1.09: Hormonstörung statt Krebs

20.6.09: Apple-Chef hatte Leber-Transplantation

17.1.11: Apple-Chef Steve Jobs wieder krank

17.1.11: Apple-Chef nimmt wieder Auszeit

17.1.11: Krankmeldung bringt Apple ins Trudeln

17.1.11: Jobs‘ Krankheit ĂĽberschattet Apple-Rekordzahlen

17.1.11: Ein Krankheitsfall, der 24 Milliarden Dollar kostet

Apples CEO tut sich keinen Gefallen damit, einerseits offen über seine Sicht der Dinge zu sprechen und andererseits eine Strategie der Heimlichtuerei und vollendeten Tatsachen zu betreiben, die sowohl ihn als auch Apple als diffus und unberechenbar erscheinen lassen. Seine erneute berufliche Pause tritt wenig überraschend eine Lawine laufender Hiobsbotschaften los, deren Inhalt ebenso dürftig wie ihr Wahrheitsgehalt fragwürdig ist. Vermeintlich erfahrene Ärzte stellen bizarre Ferndiagnosen, während unscharfe Bilder einen Steve Jobs zeigen, der nach dem Frühstück mit seiner Frau angeblich gerade auf dem Weg zu einem Krebszentrum ist – ein selbstverursachtes Schmierentheater. Als Reaktion sinkt der AAPL-Kurs wieder ein klein wenig, um gewiss kurz darauf wieder anzusteigen. Bis zum nächsten Mal.

David Andel