Unter der Lupe

Wissen Politiker, wovon sie reden?

„Das Internet ist eine Welt, in der jede Sauerei stattfindet“, meinte Dieter WiefelspĂŒtz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, wĂ€hrend einer Tagung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin. Auch in Familien, Unternehmen, Behörden, Armeen, religiösen Gemeinschaften oder gerade in Parteien kann so ziemlich jede „Sauerei“ stattfinden, nur eben nicht laufend und auch nicht ausschließlich. Beim Internet jedoch wird dies seit Jahren frech vorausgesetzt. Und wĂ€hrend niemand auf die Idee kĂ€me, pauschal wie permanent Bundeswehr und Polizei, CDU und SPD, Siemens und Volkswagen, die evangelische und katholische Kirche oder sĂ€mtliche Familien zu ĂŒberwachen, weil es innerhalb dieser Institutionen schon betrĂ€chtliche „Sauereien“ gab, so wird dies beim Internet beharrlich verlangt, weil es einfach vorstellbar ist, praktisch aber Unfug bleibt und auch darĂŒber hinaus die Grundrechte sĂ€mtlicher Nutzer missachtet. Flugs soll im Allmachtsrausch beim Kampf gegen alles Böse ein Kommunikationsnetz zum Überwachungsapparat gegen TerrordiebesschĂ€nder aller Art werden.

Dabei könnte man im beliebten Politiker-Neusprech ĂŒber das Internet doch auch sagen, dass es zwar seine vereinzelten weniger positiven Seiten hat, dies angesichts der immensen Bedeutung fĂŒr die Standortsicherung jedoch ein zu vernachlĂ€ssigender Nebeneffekt ist, der insgesamt die Unantastbarkeit des Netzes in keiner Weise in Frage stellen darf. Spricht ein Spitzenpolitiker vom Internet, so hat dies mittlerweile allerdings in den seltensten FĂ€llen noch etwas mit dessen VorzĂŒgen zu tun. Hervorgehoben wird wahnhaft wiederholend, wie gefĂ€hrlich und wenig ĂŒberwacht das Netz der Netze doch ist. Was man alles Schlimmes darin tun kann, pornografische Bilder vor allem von Kindern austauschen, Anleitungen vor allem zum Bombenbau abfragen, vor allem terroristische AnschlĂ€ge vereinbaren und vor allem enorme Mengen geistigen Eigentums stehlen.

Damit dies endlich aufhört, muss abgehört, protokolliert und sehr viel verboten werden. Es bedarf toller technischer Möglichkeiten, Computer ohne Wissen jener Besitzers zu durchsuchen, die all diese schlimmen Dinge tun. Der Staat muss umfassend Bescheid wissen und schnell gÀnzlich unkontrolliert handeln können, damit er sofort zuschlagen kann.

Leider steht diese Sichtweise nur fĂŒr eine unglaubliche NaivitĂ€t unserer Regierungsmitglieder, eine regelrecht maßlos-infantile Angst vorm Kontrollverlust. So wie der Dorftrottel sich nicht aus seinem heimeligen Kaff heraus traut und alles ihm Fremde und Unheimliche konsequent verteufelt, genauso stellen Innenpolitiker das Internet dar. Dort hinterm Zaun, da regiert das Verbrechen, und es könnte in unsere Wohnzimmer ĂŒberschwappen, schotten wir uns nicht ab, beobachten wir nicht alles haargenau und werfen wir nicht jeden in den Kerker, der unsere muffige kleine Idylle kaputtmachen könnte. Das alles erinnert an Fremdenhass, betrifft diesmal jedoch uns Anwender, denn wir sind es ja, die pauschal und nicht fallweise begrĂŒndet ĂŒberwacht werden. Die Unschuldsvermutung gegenĂŒber dem BĂŒrger wird abgeschafft, das Internet wird zum Stereotyp des Bösen und dient als willkommenes Feindbild zur Ablenkung vom Übermaß an Unvermögen auf fraglos zahlreichen anderen Gebieten.

Der Erfolg des ganzen Unterfangens ist einzig der Sieg der NaivitĂ€t viel zu vieler BĂŒrger und die zunehmende Nichtbenutzbarkeit eines niemals als Überwachungssystem gedachten Kommunikationsnetzes. Wer das Internet unbedingt „missbrauchen“ will, der kann dies abgesehen von all den Abhörmaßnahmen auch weitgehend ungehindert fortsetzen – siehe Spam –, denn von technischem Sachverstand sind Legislative und Exekutive meist grundsĂ€tzlich befreit. Und wer diesen Artikel empört liest, weil er nichts zu verbergen hat, der stelle sich nackt mit rotem Hut auf den Potsdamer Platz in Berlin und singe seinen Lebenslauf.

David Andel