Wunschhölle

Eröffnung der Wunschhölle

Da haben wir den Salat! Das neue iPhone ist raus und kann das, wonach jeder verlangt hat. Aber reicht uns das, um wirklich glücklich zu werden? Nein, natürlich nicht.

Wir führen zwar nie Bildtelefonate, weil sie ganz einfach die meiste Zeit überflüssig sind und man sowieso nicht immer in allen möglichen Lebensphasen beobachtet werden möchte, aber das fehlt uns jetzt plötzlich.

Wir behalten zwar unsere Mobilfunkgeräte selten mehr als zwei Jahre, können uns aber nicht vorstellen, in geraumer Zeit mit mehr als nur einem Kratzer auf der fürchterlich empfindlichen Rückseite des iPhone überleben zu können.

Wir arbeiten zwar nie zehn Stunden am Stück mit unserem iPhone, sind aber empört darüber, dass es nach fünf Stunden exzessiver Nutzung schon keine Puste mehr hat.

Wir finden es zwar sagenhaft beeindruckend, alles mit zwei Fingern bedienen zu können und führen dies auch laufend jedem vor, doch macht uns dieses Fettfingermonster auf Dauer regelrecht wahnsinnig.

Wir wollen zwar das kleinste, sparsamste und billigste Gerät, doch ist uns das immer nur viel zu langsam.

Wir haben zwar zwei Fünf- und eine Zehn-Megapixelkamera im Schrank und benutzen diese im Schnitt nur einmal im Monat, wollen aber auch eine Fünf-Megapixelkamera im Telefon.

Kaum ist Apples neues Telefon auf dem Markt, ist es schon wieder größtenteils unbeliebt. Was sagt uns das? Richtig, wir sind soeben in der Wunschhölle angekommen. Das iPhone eröffnet uns Perspektiven, die wir vorher einfach gar nicht hatten, daher stellen wir uns nun immer neue und immer extremere Dinge vor, die wir theoretisch auch damit machen können sollten. Natürlich ist Steve Jobs nicht Merlin und Jonathan Ive kein Zauberlehrling, natürlich sind Mobilfunk-Provider keine gemeinnützigen Vereine und natürlich ist auch das nächste iPhone wieder unvollständig, so wie jeder Macintosh, iPod oder überhaupt alles andere auf der Welt. Aber das kümmert uns nicht.

Die Wunschhölle ist ein schrecklicher Ort, denn einmal dort angekommen, fällt einem laufend etwas Neues ein, laufend ist man unzufrieden, laufend fehlt etwas, zehrt irgendein Mangel an einem wie irgendein blutsaugendes Insekt. Auch die Symptome sind denen eines Mückenstichs nicht unähnlich. Es juckt, virtuell zwar, aber es wird schlimmer, je mehr man sich damit befasst. Akkulaufzeit zehn Stunden? Nein, besser eine Woche oder zehn Wochen oder gleich ein Jahr!

Die Wunschhölle ist aber auch ein wunderbarer Ort, denn sie beschäftigt uns unentwegt. Was würden wir schon groß tun, wären wir nicht in ihr? Wir langweilten uns nur zu Tode, alles wäre klar, nichts würde uns fehlen, Zufriedenheit ist auf Dauer völlig unerträglich. Man stelle sich vor, es fiele einem absolut nichts mehr ein, es käme einem jeglicher Trieb nach Neuem abhanden, eine Verbesserung unseres gegenwärtigen Zustandes erschiene uns gar unvorstellbar. Ja, dann würden wir irgendwann zum Faultier, hingen an irgendeinem Ast in der Nachbarschaft und zögen Unmengen von Ungeziefern an. Faultiere haben eh keine Ahnung von irgendwas, denen ist das iPhone völlig egal, schwarz wie weiß. Kann man nicht essen, gibt blöde Töne von sich.

Machen wir uns also nix vor, die Wunschhölle ist Teil von uns, sie ist sozusagen in uns. Auch ein Akku mit einem Monat Laufzeit ist immer dann leer, wenn es gerade überhaupt nicht passt. Und auch eine Zehn-Megapixel-Kamera im iPhone macht unglücklich, weil der Speicher dann so schnell voll ist oder wir laut unseren Gesprächspartnern auffällig oft alt und verlottert aussehen. Ist also ganz in Ordnung, nie zufrieden zu sein, ist ein Zeichen dafür, dass man noch am Leben ist …

David Andel